Regionale 10
29.11.2009
—
3.1.2010
- Regula Abraham
- Matthias Aeberli
- Laurent Bechtel
- Manon Bellet
- Anja Bergmann
- Boycotlettes
- Frédéric Briend
- Christine Camenisch
- Damien Comment
- Esther Ernst
- Daniel Karrer
- Anita Kuratle
- Elke Lehrenkrauss / Corina Steiner
- Catrin Lüthi K.
- Jeannette Mehr
- Swana Perl
- Marie Prunier
- Monika Ruckstuhl
- Sarina Scheidegger / Alexandra Stähli
- Markus Schwander / Tina Z Rotz
- Ursula Sprecher / Julian Salinas
- Jürg Stäuble
- Patrick Steffen
- Bruno Steiner
- Karin Suter
- Lena Maria Thüring
What began many years ago as a Christmas show, has since become one of the largest cross-border projects in the region Basel, South Baden and Alsace. There are now more than a dozen institutions in the tri-national area that provide an exhibition opportunity for regional artists of all ages.
From the many applications to choose from, each institution selects its range of artistic works, and develops its own exhibition concept for the respective Regionale exhibition. The Regionale is thus not simply a reflection of the creative potential of the region and its cultural diversity, but also a platform for the trans-border exchange between artists, cultural institutions and audiences interested in the arts.
Beim Sichten der Dossiers fanden wir einerseits Künstler, welche ihr Augenmerk auf die formalen Charakteristika von Innenräumen richten, indem sie Säulen verändern, Gebäude abbilden oder Architekturelemente abstrahieren. Andererseits waren Werke zu entdecken, welche die soziale Konnotation unserer Umwelt untersuchen, mit der An- bzw. Abwesenheit des menschlichen Körpers spielen oder die Brüchigkeit von Erinnerungsräumen erforschen.
Texte von Margrit Schmid und Sabine Schaschl
Regula Abraham (*1957) setzt mit ihrer Arbeit Ausgrabungsstätte (2009) einen skulpturalen Kommentar zur Relativität bezüglich Berühmtheit künstlerischer Persönlichkeiten. Auf zwei Gipsstelen unter Plexiglashaube platziert die Künstlerin einerseits ein bearbeitetes Künsterlexikon der Schweiz von 1981, woraus sie sämtliche Angaben ausser den Namen herausschnitt bis nur noch ein fragiles Buchgerippe übrigblieb. In der zweiten Plexiglas Box präsentiert sie den herausgeschnittenen Zettelberg zur imaginären Wahl. Ihr Werk spielt auf das Erfassen, Ordnen, Sichten und Auswählen von Künstlerpositionen an — wie es nicht zuletzt beispielsweise auch bei der Realisierung eines Projekts wie der Regionale erforderlich ist. Wieviel bleibt von einer künstlerischen Arbeit und der Existenz des Menschen generell übrig? Lexikas erfassen, wer Rang und Namen — oder sich durch eine bestimmte Arbeit besonders hervorgetan hat. Die Tatsache jedoch, dass wir die wenigsten heute noch kennen, zeigt augenfällig wie vergänglich Klassifizierungen und Berühmt-Sein sind.
Matthias Aeberli (*1952) zeigt eine Kombination von Wandmalerei und darauf platzierten Malereien auf Leinwand mit dem Titel Panorama 09. Häufig sind seine Bilder von Anleihen aus einer surreal anmutenden Welt geprägt: Figuren, die durch eine schematisierte Landschaft zu fliegen scheinen, ein Aquädukt, das sich aus dem räumlichen Nichts entwickelt und von Farbstrahlen durchzogen wird, fiktive Türme, die in den roten Himmel ragen und ähnliche Szenarien beschreiben seine Bilder. Aeberli arbeitet mit einem wiederkehrenden Formenrepertoire aus landschaftlichen, figurativen, architektonischen und ornamenthaften Elementen. Nicht Zusammengehöriges wird dabei vermischt, einzelne Elemente schematisiert und mit einer künstlichen Farbgebung verfremdet. Es verwundert nicht, wenn dort und da Erinnerungen an die Welt der Comics und den Surrealismus wachgerufen werden. Aeberli generiert immer wieder neue, frische Kombinationen, die sowohl kompositionell als auch in der räumlichen Umsetzung zu überraschen vermögen.
Laurent Bechtel (*1980) zeigt eine Serie von Computerdrucken der berühmten Tintin-Comics, wobei er sämtliche Figuren aus den Bildern entfernte. Zurück bleiben stumme Bilder von menschenleeren Landschaften, die aufgrund ihrer Schematisierung als Wüsten-, Mond- bzw. Berglandschaft zu erkennen sind. Ohne die Aktion der Comic Figuren und den dazugehörigen Wortlaut, lesen sich die Bildfragmente aufgrund ihrer Titel umso zugespitzter: Somewhere in Saudi Arabia wiederspiegelt die sengend heisse Leere der Wüste, Somewhere on the Moon spielt mit der Idee eines von der Nacht umgebenden, einsamen Mondes, während Somewhere in Central Europe die zerklüfteten Gebirge wie Stereotype erscheinen lässt. Die Zeichnungen spielen mit dem Thema internationale Beziehungen und lassen dabei Hergés (Erfinder der Tintin Geschichten) subtile politische Stellungnahme umso deutlicher hervortreten. Bechtel macht den Betrachter zum Zeugen einer doppelten Bildfunktion, die einerseits den Wegfall der vermeintlichen Narration spürbar macht, gleichzeitig aber das Bild und seinen Inhalt neu auflädt.
Manon Bellet (*1979) ist in den letzten Jahren vor allem mit ihren multimedialen Zeichnungen bekannt geworden: Seien es Wandzeichnungen wie jene aus Tinte, die mittels Tintenlöscher herausgeschält werden oder Zeichnungen, welche die Frottagetechnik mit tatsächlich gezeichneten Elementen kombinieren. Auch ihr jüngstes Video Vestige erinnert an Zeichnung, obwohl rein technisch gesehen, diese nicht vorkommt. Für das Video hat Manon Bellet ein auf einem Glastisch liegendes Buch aus Seidenpapier von oben gefilmt. Immer wenn der Raumventilator die Seiten in Bewegung bringt oder sie umblättert, entstehen neue, zufallsgenerierte, konstruktivistisch anmutende Einzelmotive. Die zweite Arbeit Un faible instant (2009), eine Dia-Installation, basiert auf ‹aquarellierten› Glas-Dias, die selbst zum Träger des projizierten Bildes werden.
Anja Bergmanns (*1985) gerahmte Serie von Video-Stills basiert auf einer Fragestellung der Künstlerin, die anlässlich der VIP-Eröffnung der letzten Art Basel gestellt wurde: «Why are you important?», fragte sie einzelne herausgegriffene Personen, die mit spezifischen Preview-Tickets ausgestattet waren. Die Vielfalt der Antworten widerspiegelt unprätentiös die Ambivalenz von Kategorisierungen und hinterfragt dabei die letztlich nicht nur im Kunstbetrieb wirksamen Einschluss- und Ausschlussfaktoren, die über (Gruppen-)Zugehörigkeit entscheiden.
Die Künstlergruppe Boycotlettes, (Melanie Fischer-Fadera, *1976, Lara Schwander, *1976) ist in der Basler Kunstszene gleich in mehreren Kunstbereichen tätig. Als Mode-Designerinnen sind sie zu einem jungen Label geworden, das vor allem bequeme, mit frechen Motiven versehene Freizeitmode anbietet. Der fotografisch festgehaltenen Käufer und Träger ihrer Mode wiederum wurden zu Motiven auf Selbstklebefolien, die sie im Stile einer urban guerilla Taktik in der ganzen Stadt anbrachten. Ihre neueste Arbeit Waste Papers, eine Serie von Siebdrucken auf Papier oder Karton, entstanden in Zusammenhang mit der Reinigung von Sieben, die üblicherweise zum Bedrucken von Textilien verwendet werden. Boycotlettes recyclen und erfinden dabei neu. Sie arbeiten grenzüberschreitend, bei der Wahl der Materialien ebenso wie bei den angewandten Techniken.
Das Video von Frédéric Briend (*1984) dokumentiert in Form einer Performance den Kommentar des Künstlers zum Thema Zeichnung. Wie eine Versuchsanordnung präsentiert, zeigt der Stummfilm zuerst die Utensilien: das grossformatige 1.50 x 4.00 m leere weisse Papier an der Wand und den ‹Stift›. Dann tritt der Akteur Briend ins Bild, setzt den Hut in Form einer überdimensionierten Bleistiftspitze auf den Kopf und überträgt damit seine Körperbewegungen als Zeichnungslinien auf den Papierbogen.
Christine Camenisch(*1956) ist in den letzten Jahren mit ihren raumspezifischen, wahrnehmungsorientierten Videoinstallationen bekannt geworden. In ihrer Video-Animation Läufer 3 (2009) stellt sie Fragen zur Wahrnehmung von Bewegung. Auf eine Wand sind senkrecht verlaufende, sich kontinuierlich bewegende, regelmässige schwarze Streifen projiziert. Beim Gehen in der Bewegungsrichtung der Streifen kommt es zu einer wahrnehmungsspezifischen Erfahrung: Der Betrachter initiiert mit seiner eigenen Bewegung einen optischen Effekt und kann so die Wechselwirkung zwischen sich und dem Werk steuern — ähnlich dem Effekt beim Betrachten eines abfahrenden Zuges auf dem benachbarten Perron.
Damien Comment (*1977) zeigt drei Zeichnungen, darunter die grossformatige Arbeit Tableau de Chasse (2009), ein Panorama mit Jugendlichen auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Während z.B. bei den Inuit der traditionelle Zweikampf mit einem Eisbären den Jungen zum Mann macht, ist in der heutigen westlichen individualisierten Gesellschaft jeder sich selbst der Nächste. Der ehemals offen ausgetragene physische Kampf ist einer permanenten virtuellen Jagd gewichen; jeder kämpft gegen jeden. Listig wie ein Fuchs, kühn wie ein Adler versucht das Individuum, sich einen Platz im gesellschaftlichen Gefüge zu sichern.
Die Zeichnung Topografical Mind Map (2008) von Esther Ernst (*1977) entstand während ihres iaab-Stipendium Aufenthaltes in Südafrika. Mit Kohle, Aquarellfarbe, Buntstift, Bleistift komponierte die Künstlerin ihre Alltagsbeobachtungen, kartographische und architektonische Elemente zu einer Mind Map, einem vielschichtigen zeitlosen Erinnerungsteppich.
Daniel Karrer (*1983) verwendet in seinen Bildern oftmals Architektur- und ornamentale Elemente aus den 70er- und 80er-Jahren, die er zu neuen, teils phantastisch anmutenden Bildräumen zusammenführt. Wie aus einer filmischen Optik zoomt der Blick von oben nach unten, vom Innen- in den Aussenraum, kippt vom realen Bildraum über den Rand in eine irreale Weite. Das auf den ersten Blick vordergründig Harmlose entpuppt sich beim genauen Hinsehen als mehrdeutig und rätselhaft. In zwei in Schwarzweiss-Tönen gehaltenen Bildern komponiert er ein Szenario, in welchem das Mobiliar einer Wohnung auf der Strasse landet. Umgestürzt und hingeworfen wirken die Einrichtungsgegenstände beinahe kafkaesk — sie erinnern an Irr- und Verwirrzustände, an traumatische Momentaufnahmen.
Anita Kuratle (*1967) arbeitet mit ihren Objekten und Skulpturen stark raumbezogen. Das in der Ausstellung präsentierte Holz-Objekt (2009) zeigt eine Treppe mit beidseitigem Geländer, welche aufgrund der Konstruktion und der Masse, sich im Auge des Besuchers wie aus grosser Ferne gesehen präsentiert. Es wird eine perspektivische Tiefe evoziert, welche real nicht vorhanden ist. Indem die Künstlerin die Massstäblichkeit des Gewohnten verschiebt und die Perspektiven verfremdet, schafft sie Irritationen, welche uns das Sehen neu lehren.
In ihrer langjährigen Zusammenarbeit fokussieren Elke Lehrenkrauss (*1979) und Corina Steiner (*1978) häufig auf inszenierte Porträtfotografie. In der Ausstellung im Kunsthaus Baselland wird eine eher untypische Arbeit gezeigt. The inner outside (2007) zeigt drei Fotografien, die an Gebäude-Innenräume erinnern, wobei diese mit dunklen Haaren drapiert sind. Dort, wo es sonst weisse Wände und einen Holzboden gibt, fallen Haare herab, die sich auch über Treppen oder den Eingang ergiessen. In einem Bild scheinen die Haare durch ein Loch im Fussboden zu fallen, in einem anderen bäumen sich die Haarspitzen zu Sperrzonen auf. Steiner/Lehrenkrauss verwandeln ihre Interieurs in phantasmagorische Räume: Ist es die vermeintliche Weichheit der Haare, die uns in den Bann zieht oder die Tatsache, dass sie in ihrer Realität im Riesenformat vorkommen müssten, um solche Interieurs ausfüllen zu können? Wir werden in ein Verwirrspiel hinein verwickelt, das unsere Phantasie ankurbelt.
Gleich einem roten Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit (Modell-) Architektur durch Catrin Lüthi Ks (*1953) Werk. In der Ausstellung präsentiert sie die möbelartige Skulptur Bausicht-Lager (2009), ein Work in Progress, das die Künstlerin ständig verändert und/oder erweitert. Ganz im Sinne des Recycling-Gedankens hat sie ältere Elemente und Objekte, die schon in anderen Ausstellungszusammenhängen zu sehen waren, hinzugefügt bzw. weggenommen oder ausgetauscht. Die vielfältigen Ein- und Aussichten, diversen Materialien und Verschachtelungen der Skulptur machen neugierig und eröffnen immer neue Assoziationen beim Betrachter. Die Skulptur ist Werk und Werklager gleichzeitig. Sie nimmt einzelne Bau- und Kunstelemente in sich auf, kann diese nach aussen stülpen und wieder schützend nach innen einfahren. Sie erinnert an architektonische Diskussionen, die nach Raumoptimierung bei gleichzeitig vielseitiger Nutzbarkeit suchen. Catrin Lüthi Ks Werk lotet im Modell Optionen der Realität aus und wird somit zu einem Beispiel, bei dem die Kunst ein Weiterdenken für gegenwärtige Problemstellungen initiiert.
Jeannette Mehr (*1974) untersucht in ihren Wandmalereien, Kunst am Bau-Projekten und Bildern die Allgemeingültigkeit von Formen. Wie lange ist etwas noch als Architektur erkennbar? Welche Grundelemente müssen erhalten bleiben? Welche Formen, Farben und Kompositionen entscheiden beispielsweise über die Lesbarkeit von innen und aussen? Fragen wie diese durchziehen ihr Werk und sind auch in den jüngsten Bildern nachvollziehbar. Mehr vereint in den aus MDF-Platten gefertigten Wandobjekten die Innen- und Aussenansicht eines Gebäudes. In die weissen Silhouetten sind schwarze Flächen so eingefügt, dass ein Kippeffekt entsteht: Mit den Flächen öffnen sich neue Räume innerhalb der Umrisse, das zweidimensionale Bild erweitert sich optisch ins Dreidimensionale.
Swana Perl (*1982) gehört zu einer Generation junger KünstlerInnen, die mittels Objektinterventionen und objets trouvées poetische Raumassemblagen schaffen. Sie interessiert sich für Momente, in denen der Alltag seine Alltäglichkeit ablegt. Jenseits jeglicher Zweckgebundenheit sucht sie nach einer Verwendung von Objekten, in denen diese ihren ursprünglichen Bedeutungszusammenhang verlieren und einen neuen Stellenwert bekommen. Die Künstlerin vereint in ihrer räumlichen Installation ein breites Arsenal an Alltagsgegenständen, denen sie mittels eigenwilliger Kombinationen und Gegenüberstellungen die ursprüngliche Bedeutung entzieht. Es entsteht eine inszenierte Phantasiewelt, die nicht zuletzt aufgrund der ausgewählten Materialien und der Poesie ihrer Anordnung überzeugt.
Anlässlich eines Auslandsaufenthaltes in Reykjavik entdeckte Marie Prunier (*1979) im dortigen Museum ein paar alte Fotoalben und stellte äusserliche Ähnlichkeiten zwischen den Personen auf den historischen Fotografien und heutigen Isländerinnen und Isländern fest. Dies gab den Anstoss zur Serie Les portraits d‘Islande (2006), für welche sie Menschen suchte, welche jenen auf den von ihr ausgewählten Fotos glichen, ohne mit ihnen verwandt zu sein. Von der Künstlerin bewusst inszeniert, verblüfft die Analogie von Blick, Gestik und Körpersprache, und man mag sich die Frage stellen, inwieweit eine Landschaft, ein bestimmtes Klima, eine gemeinsame Geschichte sich über Generationen hinweg beispielsweise im Blick einzuschreiben vermögen. In einer weiteren Arbeit, der Fotografie Hidden Place (2007), versteckt die Künstlerin das vermeintliche Objekt oder Subjekt, das eine Gruppe von Menschen betrachtet. Die Lichtführung ist dabei auf die Gesichter der Menschen gerichtet, was uns unmittelbar in den Bann zieht – nicht zuletzt weil die Lichtführung eine Verbindung zu historischen Meisterwerken wie jenen von Rembrandt erkennen lässt. Wir sehen, wie andere sehen ohne zu sehen, was letztere sehen, und befinden uns damit in einer exemplarischen Ausstellungssituation.
Landschaften und Interieurs spielen eine zentrale Rolle in der Malerei von Monika Ruckstuhl (*1965). Gerade weil die Interieurs irgendwie zu Landschaften werden und so manche Landschaften an Interieurs erinnern, entsteht der Eindruck, dass Monika Ruckstuhl historisch bedeutungsvolle Genres immer wieder neu erfindet und das v.a. mit einer wohltuenden Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit. In der im Kunsthaus Baselland gezeigten Auswahl kommt dem Licht eine zentrale Bedeutung zu. Die Künstlerin malt Licht, das am Faltenwurf der weissen Bettlaken seine Wirkung manifestiert, als schimmernder Lichtreflex durch einen verglasten Eingang auf den Boden fällt, als bewegte Spiegelung eines Gewässers auftaucht oder als leuchtender Lüster im dunstigen Licht erscheint. Das Fliessen des Lichts, seine stetige Veränderung und unterschiedlichen Erscheinungsformen erzählen jedes Mal eine andere Geschichte.
Die beiden Performerinnen Sarina Scheidegger (*1985) und Alexandra Stähli (*1984) setzen anlässlich der Eröffnung im Kunsthaus Baselland ihr Projekt Her Master’s Voice II (2009) fort, welches im Ausstellungsraum Klingental im März dieses Jahres begonnen hat. Die Künstlerinnen inszenieren Texte im Raum und integrieren in ihre Choreografie die Funkkopfhörer-Technologie. So werden Texte über Funkkopfhörer an die ausgewählten PerformerInnen übermittelt, welche von jenen wiederholt werden. Lautstärke, Deutlichkeit und Dramatik der gesprochenen Wörter bestimmen die Performance. Die Künstlerinnen, die die Texte selbst schreiben, verwenden meist zeitlose Formulierungen, die manchmal auch surreal anmuten und durch paradoxe Gegensätze relativiert werden können. Inhalte sind oftmals zwischenmenschliche Beziehungen und räumliche Wahrnehmung. Die Performance, bestehend aus den Performern im Raum und gesprochenen Texten, bildet eine Choreografie, die den Betrachtern ein breites Feld an sinnlichen Erlebnissen eröffnet.
Ursula Sprecher (*1970) und Julian Salinas (*1967) treten seit einigen Jahren mit Gemeinschaftsarbeiten in Erscheinung. Aus der neuesten fotografischen Werkserie zeigen sie die Arbeit Wald I—III (2009). Für die beiden Künstler ist der Wald vergleichbar mit einer natürlichen Skulptur, die sie wie ein Porträt fotografieren. Auch wenn die Waldbilder, im Gegensatz zu vielen ihrer anderen Fotos, nicht mit Menschen inszeniert sind, erinnern sie dennoch an Bühnenbilder. Die spezifische Zurückdrängung von Farbigkeit und die Wahl des Bildausschnittes geben den Motiven etwas Allgemeingültiges. Der Wald wird zu einer Skulptur ohne Ewigkeitsanspruch, aber mit einem Appell zur Ewigkeit — zumindest im Sinne von dessen Erhaltung.
In den skulpturalen und raumspezifischen Arbeiten von Jürg Stäuble (*1948) ist das Interesse für klare Strukturen, für den reduzierten Einsatz minimaler Formen und deren Wiederholung in Variationen, ebenso wie das Hinterfragen kunsthistorischer Begriffe spürbar. In den Räumlichkeiten des Kunsthaus Baselland, die noch die Spuren ihrer ehemaligen industriellen Nutzung aufweisen, hat der Künstler die feinen Eisensäulen ins Visier genommen, die den Raum im UG stützen und gliedern. Säulen ebenso wie Skulpturen teilen mit dem Rezipienten eine per se vertikale Ausrichtung im Raum, die für den Betrachter anders spürbar ist als beispielsweise eine Fläche an der Wand. Eine dieser Säulen konzipiert der Künstler neu und legt ihr quasi ein Styroporkleid aus zahlreichen Einzelschichten um. Aus der statischen Säule wird eine bewegte Skulptur. Jeder Blickwinkel lässt sie anders erscheinen, und sie alleine vermag bereits, den Raum als Ganzes umzudeuten.
Patrick Steffen (*1969) ist in den letzten Jahren mit konzeptuellen Zeichnungen und mit Projekten, bei denen er mit Menschen mit geistiger Behinderung zusammenarbeitet aufgefallen. In der Ausstellung präsentiert er eine Papierschnitt-Installation, die aus zahlreichen, einzelnen A4-Blättern zusammengesetzt ist. Als Vorlage diente ein industriell gefertigter Vorhang, der in einem Abbruchhaus zurückgelassen wurde. Die herausgeschnittenen Papierschnipsel liegen wie herausgefallen am Boden.
In Bruno Steiners (*1970) Videoanimation Lifeboat (2009) spielt eine Schachtel die Hauptrolle. Sie wartet darauf ausgepackt zu werden, wird gedreht, gewendet und geöffnet. Zum Vorschein kommt eine weitere Schachtel, und das Spiel beginnt von vorne. Der französische Philosoph Gaston Bachelard hat darauf hingewiesen, dass in Schachteln, Schubladen und sonstigen — meist kleinen — Behältern die Phantasie der Anwesenden sich erst richtig entfaltet. Hinter der nächsten Drehung, Fläche oder Ecke wird etwas vermutet, das sich sehnsuchtsgetrieben dort versteckt. Bruno Steiner greift die Kraft dieses Objektes auf und spitzt die sehnsüchtige Suche nach Erlösung insofern zu, als er den inhaltlichen Loop (Schachtel trifft auf Schachtel trifft auf Schachtel) mit einem technischen Loop koppelt.
Karin Suter (*1979) lotet in ihren Zeichnungen, Objekten und Installationen häufig die Grenze zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit aus. Ihre Motive entstammen der Mythologie, Astronomie, Kunstgeschichte und Literatur. Die Installation Kyknos (2009) aus in Epoxidharz getauchtem Holz, Federn, Fäden und Fiberglas erinnert an die aus der griechischen Mythologie stammende Geschichte von Poseidons Sohn. Kyknos wurde als Kind ausgesetzt und am Strand von Schwänen umkreist aufgefunden. Karin Suter erzeugt mit ihrer Installation ein Stimmungsbild, das an jene Geschichte erinnert, aber auch schlichtweg als abstrakter raumgewordener künstlerischer Gestus gelesen werden kann.
Wie bereits im Film Das Haus (2008) schildert Lena Maria Thüring (*1981) auch in ihrem neuesten Werk Der grosse Bruder, der Bruder, die Schwester, die kleine Schwester (2009) eine Art Psychographie der Familie. Vier verschiedene Schauspieler lesen die Rollen der jeweiligen Geschwister, die aus individuellen Erinnerungen an gemeinsame Kindheitserlebnisse zusammengestellt wurden. Die vier Monologe decken Geschichten auf, die einen Einblick in die Abgründe einer gutbürgerlichen Familie auftun. «Thüring untersucht im Film ein familiäres Verhältnis, das exemplarisch für die Generation unserer Grosseltern stehen könnte: Die gesellschaftliche Rolle von Frau und Mann als Mutter und Vater rückt genauso ins Zentrum wie diejenige der Kinder, die von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, Verantwortungsgefühlen, gegenseitiger Abhängigkeit und geschlecherspezifischem Verhalten geprägt ist. Im Film wird durch den Akt des Sprechens das Tabu des Schweigens gebrochen, welches dieses labile Familiengefüge aufrechterhalten hat. Gleichzeitig reden aber auch die Geschwister nicht miteinander — vielmehr erhält der Betrachter selbst eine Rolle, in der er seine eigene Position und Interpretation zum Geschehenen finden muss.» (Simone Neuenschwander)