Jochen Lempert
19.2.
—
30.4.2000
The Lecithin People. 365 Tafeln zur Naturgeschichte
Parallel zum Projekt Zwischen-Räume und Konstruktionen ist in den Räumen der Shedhalle Jochen Lemperts Einzelausstellung The Lecithin people. 365 Tafeln zur Naturgeschichte eingerichtet. Beispielhaft wird sichtbar, dass die bildende Kunst unverzichtbares Potential bei der Erforschung von Wirklichkeit ist. Gross angelegte, enzyklopädische Bildervergleiche erinnern sowohl an systematische naturwissenschaftliche Schautafeln als auch an Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas mit seinen umfangreichen Bildanalogien. In schwarz-weissen Fotoabzügen gibt Jochen Lempert Einblick in die Welt der Tiere und Pflanzen, in Textur und Muster. Aspekte der Physiologie, Fragen nach den genetischen Ressourcen, nach dem Umgang des Menschen mit Natur, auch nach Alltagskultur zeichnen ein bewegendes Bild der Welt. The Lecithin people begleitet eine weitere Ausgabe der Nummer.
Missing Link
Antike Philosophen erfanden einen Wettstreit, der der Frage galt, warum Achill niemals eine Schildkröte einholen könnte. Der Wettstreit stand unter einer denkwürdigen Voraussetzung und mathematisch beachtenswertem Reglement. Die Schildkröte, Uralttier der Natur und im Notfall geschwind, hatte schon eine Strecke zurückgelegt, bevor der hitzige Achill sie herausfordert. lhre Uneinholbarkeit wird folgendermassen bewiesen: Achill ist doppelt so schnell, aber sobald er die halbe Strecke zurückgelegt hat, ist die Schildkröte schon eine viertel Strecke weiter, legt er ¼-Strecke zurück, ist sie ihm um 1/8-Strecke voraus, und so weiter der Limes des Vorsprungs der Schildkröte beträgt schliesslich 1 zu Unendlich. Der Einwand, nach zwei ganzen Strecken hätte Achill sie überholt, liegt auf der Zunge. Auf reichlich verschrobene Weise scheint die Geschichte das mathematisch unendlich Kleine zu demonstrieren. Doch wird man vielleicht eine andere Frage nicht los: darf Achill die Schildkröte überholen?
Mit dem Thema The Lecithin people konfiguriert Jochen Lempert fotografisch Beziehungen und Brüche im Tierisch-Menschlichen. Vergrösserungen von Pfauenrädern mit ihren Augen, Streifen und Flecken eines Zebrafells, optische Zeichnungen von Schmetterlingsflügeln füllen als nahsichtige Ausschnitte Doppelseiten, gespiegelt zur dramatischen Fluchtachse oder einem apotropäischen Symmetriebild, mal irregulär über beide Seiten laufend, als unstimmige halbe Seiten kombiniert, oder als einzelnes riesiges Pfauenauge ausgebreitet. Nahsicht und Vergrösserung bringen Strukturen der dichten, kleinen Federn, der elastischen Horngerüste, der dichten Fellhaare, der Schuppen und Härchen von Flügeln zum Vorschein, härten sie aber auch gleichsam aus, lassen Oberflächen stofflicher, dynamischer und undurchdringlicher erscheinen, als würde eine Grenze sich entschiedener behaupten.
Ein Teil der Doppelblätter ist mit grösseren und kleineren Fotos am Rande überlagert. Eine fahrbare Containerwalze auf Rädern mit Firmenlogo The Lecithin people steht quer zur optisch beschleunigten Flucht von Pfauenaugen. Ein aleatorischer Verlauf von Pfauenfedern ist mit Sportschuhen, Marke Victory, und einem im Gras schlafenden Youngster kombiniert, der, um 90 Grad gedreht, nun aussieht als mache er trunken ein Siegeszeichen. Auf ein weiteres Blatt ist die untere Körperhälfte einer Reiterin mit angeschnittenem Rennpferd montiert für einen Augenblick lässt sich der Kontur eines Pferdebeins als ausladend pralle Damenhüfte missverstehen, bevor der Rehspiegel der Reiterhose korrekt die Grenzen markiert. Das Gefieder grosser Pfauenaugen wird klein mit der Zirkuswerbung Zauberwelt kombiniert, einer Kopfverschmelzung von Pferd und Mensch mit symbiotisch fliegender Haarmähne und monokularer Augenfolge von Pferd, Mann und Frau. Auf Schmetterlingsflügeln das Foto zweier wasserfeuchten Fische, die nächste Doppelseite wird ergänzt um vier lächelnde japanische Mädchen auf dem Weg zu einem seltenen Tempelerneuerungsritus, in farbig schmucken, kurzen Kimonojacken, dunklen Strumpfhosen, endend in Paarhuferschuhen, auf den Köpfen helle Krönchen mit stilisiertem Schmetterlingsaufsatz. Das letzte riesige angeschnittene Pfauenauge bietet Charles Darwin, als computergestützter Sprechpuppe im Gelehrteninterieur einer Ausstellung die Stirn, darüber ein Foto einer tristen Bahnhofsunterführung mit einer streunenden einzelnen Taube auf Futtersuche. Ob der nahsichtige Damenmantel mit Handtasche sein Innenleben ebenso schützt wie sein ungerührtes Schildkrötenpendant auf dem Deckblatt, mag angesichts der erregten Wirbelstrukturornamente zu bezweifeln sein. Die flüchtigen Fotofunde zeigen jedenfalls, wie mit Oberflächensignalen der Tierwelt eine optische, wie mit gentechnisch manipuliertem Viehfutter eine pharmakologische Magie betrieben wird.
Jochen Lemperts Bildsprache, Nahsicht, Fragmente und Ausschnitte, räumliche Nachbarschaft, Verknüpfung und Überlagerung von Motiven, folgt einem schwebenden Assoziationsgefüge, das sich der urteilenden Distanz entzieht. In unmerklichen Verschiebungen werden Momente der sozialen Realität und menschlichen Verhaltens mit morphologischen Prägungen der Tierwelt, mit denen sie sich vor ihresgleichen schützt, zu offenen Fragen des wechselseitigen Verhältnisses konstelliert.
Eine sehr spezifische Fotoästhetik trägt diese Art der Untersuchung. Das Fotopapier ist weder glatt noch glänzend kein fotografischer Papiersmoking, eher Arbeitskleidung im Gebrauch. Die Tiefenschärfe ist äusserst gering, häufig präzisiert sie nur ein Detail des Motivs, manchmal zeichnet sie episodisch ein Stück Konturstrecke zwischen Motiv und Umgebung scharf, als ob eine Erinnerung geweckt wird durch ein prägnantes Detail, während der Rest erst noch aus der Flüchtigkeit zurückzuholen wäre. Dem entsprechen die häufig mittleren Grautonwerte, das plötzliche Aussetzen von Modellierung im Licht oder Dunkel, die am Rand abbrechenden Bruchstücke. Leicht Verschwommenes oder in der Umgebung sich Verlierendes schärft auf gänzlich unromantische Weise den Eindruck, es sind nicht Fotofunde ‹von gestern›, das Gestern wird eine sich entziehende Erinnerung, ein aktiv betriebener Gedächtnisverlust, der hier seinen irritierend unbequemen Stillstand findet.
Seit die Tierwelt wissenschaftlich gebändigt und instrumentalisiert ist, gibt es privat das Pendant der Tierverkitschung. lm Traum sich zurückmeldende Tiere erscheinen in ungebrochener und unverformter Animalität. Mit nüchternem Bewusstsein kränkt es uns nicht mehr, evolutionär mit dem Affen verwandt zu sein-. Charles Darwin hatte als Biologe und Naturwissenschaftler nach dem missing link zwischen Tier und Mensch gesucht. Künstler suchen offenbar etwas anderes, wenn sie das statische Nomen jeder Forschung in eine modale Beweglichkeit transformieren. Ihr missing link betreibt ein tolerantes Sharing der animalischen Sphäre. Dies signalisieren Jochen Lemperts Fotos, die Serie The Lecithin people spitzt es zu, indem die Kamera den auf Lockung und Bannung angelegten Augen, Ozellen, Masken und Oberflächen seiner Objekte ihr Auge widmet.
Text von Ursula Panhana-Bühler
Publiziert in der Nummer 10 / 2000
Some answers in advance of some potential questions concerning my work
(written on the train between Basel and Karlsruhe, 29 January 2001)
The term EPW:0 stands for Experimental Painting Workshop: Orange. EPW was originally used as an umbrella title for a large exhibition in Melbourne in 1990, though works of this type have been produced since 1977.
l began to use the colour orange, initially as a 5 year project, in New York in January 1995. This project has now become the raison d’étre for my current work.
Before this time l had used up to 15 bright colours as my colour palette, whilst the individual paintings were usually in one or two colours.
The colour orange was chosen because it is bright, uplifting, positive and declarative. I wanted to choose a single colour that had not been used (to my knowledge) by another artist to develop a total oeuvre (e.g. Yves Klein International Klein Blue / Robert Ryman White).
The job of the artist as I see it, is to develop meta-art, here meta-painting, to increase the lexicon of possibilities for painting in general.
Such a position gives me a reason to work + develop in an intuitive and adhoc manner various dialectical positions (Le. large scale painting/mini-painting; totally orange paintings/orange and one colour paintings).
As | live in Sydney and travel internationally, works are often made in-situ using local materials (for supports wood metal canvas etc.) in the museum or gallery in the days before the opening.
Sometimes works produced in different cities over a period of years are brought together for the exhibition. This is true of the current exhibition in Basel/Muttenz.
Each exhibition is specific to the size and architecture of the museum or gallery space.
The exhibition as such provides a focal point for discussion about art and the possibilities for painting today.
Text von John Nixon
Publiziert in der Nummer 11 / 2000