Ursula Mumenthaler und Hermann Maier Neustadt

Zwischen-Räume und Konstruktionen

19.2. —
30.4.2000

Mit der Doppelausstellung von Fotografien der Genferin Ursula Mumenthaler und von Konstruktionen des Münchners Hermann Maier Neustadt beginnt eine Reihe von Projekten, die das Jahr über Fragen von Architektur im Wort und im übertragenen Sinn, zum Beispiel als Konstruktion von Ideen, ins Blickfeld rücken. Räume, gebaute und solche im Übergangsstadium etwa des Zerfalls, ihre Geschichte und Funktionalität sind in der aktuellen Ausstellung vorgestellt und in Gestalt ausgreifender Installationen erfahrbar gemacht.

Ursula Mumenthaler setzt aufs Bild, besonders in jenen Arbeiten, die Rauminterventionen der Künstlerin zeigen, welche im Kalkül auf die monokuIare Sicht der Kamera, in der Fotografie auf stimmige Einansichtigkeit gebracht, vor Ort tatsächlich polyvalent erschienen. Neuere Werkgruppen haben dokumentarischen Charakter insofern sie Räume zeigen, die für Umnutzung oder Abriss vorgesehen sind und lange schon nicht mehr betreten werden dürfen. Zugleich argumentieren sie stimmungsvoll durch Lichtführung und kulissenhaften Ausschnitt.
Hermann Maier Neustadt setzt aufs konkrete Erleben. Aus Baumaterialien stellt er begehbare Skulpturen her, welche, formal an Strategien der minimal art orientiert, auf die architekturalen Vorgaben reagieren integrativ, aber auch irritierend und versperrend. Aus dem Raumgefüge isoliert der Künstler Besonderheiten und hebt diese Architekturfragmente hervor: im Kunsthaus wird die zentral gelegene Treppe, welche ins Untergeschoss führt, in ihrer skulpturalen Dimension exponiert.
Text von Andreas Baur

Sehr herzlicher bedanken möchte ich mich bei den Firmen Bläuer AG, Sissach, Rudolf ITA AG, Füllinsdorf, und Kneubühler, Sissach, ohne deren grosszügige Unterstützung, deren Engagement und Sachkenntnis die Konstruktion des Münchner Künstlers Hermann Maier Neustadt nicht hätte realisiert werden können.

KuratorIn: Andreas Baur

Zu den Fotografien von Ursula Mumenthaler

Raum, Struktur, Licht und Geheimnis sind Begriffe, die beim Betrachten von Ursula Mumenthalers Fotografien rasch auftauchen. Meistens wählt sie lnnenräume als Motiv. Und wenn die Kamera das Tageslicht unter freiem Himmel einfängt, so ist dies bedingt durch die offene Situation einer Baustelle. Das Auge der Künstlerin interessiert sich ausschliesslich für das lnterieur.
Oft schafft sich Ursula Mumenthaler ihre Motive selbst. Sie malt illusionistische Motive in einen Raum ein, die sie dann fotografiert. Hier handelt es sich genau genommen um die Technik ‹Malerei-Fotografie›. Seit mehreren Jahren lichtet die Künstlerin nun jenes Bild ab, das sie durch das Objektiv sieht oder sehen will. Ganz so, wie das Medium Fotografie allgemein verstanden wird. Eine dritte Bildform arbeitet mit dem technisch-chemischen Herstellungsprozess des Lichtbilds. In das Negativbad im Labor gibt sie ein Diapositiv einer Raumaufnahme, wodurch geheimnisvolle Farben in Komplementärkontrasten entstehen. Das Kunsthaus Baselland zeigt Arbeiten aus den beiden letzten Produktionsphasen.
Die Negativ-Positiv-Bilder befragen das Phänomen der Verfremdung. Man erkennt sofort den Raum als Motiv, erkennt seine Morphologie und kann die Farben benennen. Aber man kann sich zumindest als Laie nicht vorstellen, wie eine solche Fotografie ohne Einsatz eines Computers herstellbar ist. Der Trick aus dem Farblabor gibt den Bildern den Glanz des Mystischen, ein Stimmungsvaleur, welches man im Werk von Ursula Mumenthaler selten antrifft.
Die Künstlerin liebt das Detail und die Tiefe. Deshalb sind die Räume meist gross und haben den Charakter einer Halle. Oft sind die Motive frontal erfasst. Die Stimmung des Lichts ist wichtig, um das Geheimnis von Form und Funktion der architektonischen Hüllen anzudeuten. So real die Räume physisch und materiell auch sind, so anonym erscheinen sie durch ihre Leere und die völlige Abwesenheit des Menschen. Dabei sind die Spuren eines jahrelangen Gebrauchs überall ablesbar, und die Würde des Alters, die Mumenthaler mitteilt, hat auch eine anthropologische Dimension.
Bei Ursula Mumenthalers mehrteiligen Baustellenbildern ist die Situation neu, und diese ist im Stadium der Transformation. Die einstigen Industriearchitekturen zeigen einen Moment des Aufbruchs. Gerüste und Baumaterialien, Werkzeuge, herausgerissene Wände oder Bodenpartien vermitteln eine scheinbare Anarchie, aber die Räume sind aus erfahrungspsychologischen wie ästhetischen Gründen von grosser Konzentration und Ruhe. Mehrheitlich mittelachsial komponiert, gibt die Künstlerin ihren Arbeiten die Klarheit eines linearen und logischen Wandels. Da der festgehaltene Zustand ein temporärer und absehbarer ist, sind Begriffe wie Schönheit und Zukunft in ihrer metaphorischen Form ablesbar.
Die fotografischen Räume erweisen sich als Metaphern für Situationen menschlichen Lebens. Hier zeigt sich, wie unmittelbar das Phänomen der Architektur als Bild, als Raum und Hülle, als Körper und Bühne auf den Alltag und auf diese künstlerischen Arbeiten wirkt.
Mumenthalers Blick ist erstaunlich minimalistisch, obwohl die neuen Arbeiten zunächst nichts von der klaren Geometrie oder aseptischen Reinheit der Farben und Formen dieser Kunstform e besonders in der Plastik haben. Aber der angewinkelt aufgenommene Fabriksaal hat mit seinem regelmässigen Stützenraster eine morphologische Nähe zu Walter de Marias The Lightning Field in New Mexico. Und jene Fotografie, die ein horizontales Fensterband zur zentralen Achse des Bildes macht, zeigt das serielle Raster fast jeder lndustriearchitektur und das minimalistische Konstruktionsprinzip des Kunstwerks.
Text von Lutz Windhöfel

Der Erfindungsreichtum des Vorhandenen

Kunst zu Anfang des neuen Jahrtausends ist sehr den Veränderungen ausgesetzt, innerhalb derer die soziale Kommunikation abläuft. Internet wird zusehends zu einer Art öffentlichem Forum, allerdings ohne physisches Feedback. Die Welt wird mehr und mehr auf den Bildschirm des Computers reduziert, mit der Folge, dass traditionelle, auf unterschiedliche Schichten bezogene Spannungsfelder in der Gesellschaft unsichtbar werden. Die Tendenz zum Cocooning ist in unserer Gesellschaft eine Tatsache, nicht aber deren Pluralismus. Auch die Kunst eignet sich mittels fortschrittlicher Techniken die Möglichkeiten der Datenautobahnen an die digitalen Kameras, mit denen innerhalb kürzester Zeit bearbeitete oder unbearbeitete Bilder rund um den Globus verschickt werden können, sind nur ein Beispiel von vielen. Das Drehen von Videofilmen, die den Anschein der Professionalität haben, ist mit diesen Geräten keine Kunst. Die lnformatisierung der Gesellschaft wird dem Leben wohl die Tendenz geben, zu implodieren und zu einem sozialen Vakuum zu verkommen. In dieser Zeit des schnellen Wandels kann kaum noch behauptet werden, die Kunst könne einen Damm gegen die wundersame Welt der glitzernden Reproduktionen bauen, zumal heute jeder diese Reproduktionen auf dem Bildschirm manipulieren und in kreativ veränderter Form verbreiten kann. Diese Entwicklungen machen die Diskussion über die Aura der Arbeit eines bildenden Künstlers äusserst schwierig. Ein Grossteil der zeitgenössischen Kunst steht im Zwiespalt zwischen Kultuswert (Aura) und Ausstellungswert. Dem Kunstwerk wird vor diesem Hintergrund jede gesellschaftliche Relevanz entzogen; es geht in der kommerziellen Galerieszene unter, oder es wird allzu schnell im konsekralen Kontext der Museen beigesetzt. Die Produktion von Hermann Maier Neustadt ist als konkrete Antwort auf die Sackgasse zu betrachten, in welche die substantielle bildende Kunst geraten ist. Das Aufbrechen der Eingrenzungen des Kunstwerks in eine Richtung, die das Verhalten des Betrachters auf die Probe stellt, ist eine Strategie, die der Wahrnehmung des «Kunstwerks» in gewisser Hinsicht wieder eine spezifische Bedeutung verleiht. Die Architektur als organisierter Raum ist oft die von Hermann Maier Neustadt bevorzugte Perspektive, um der zuweilen als selbstverständlich empfundenen Nutzung von Raum und Architektur etwas entgegenzustellen. Hermann Maier Neustadt markiert Räume mittels Obstruktionen/Konstruktionen, die den gewohnten Gang der Passanten untergraben oder zumindest in Frage stellen. Er bringt Situationen/KonsteIlationen an, die auf den ersten Blick nicht als Kunst empfunden werden. Der Begriff der Zeitlichkeit beherrscht seine Arbeit. Das Gefühl, dass sich seine Kunst ‹im Bau› befindet, soll ein Sich-In-Frage-Stellen des Betrachters bewirken, der in einem solchen spezifischen Raum den Eindruck bekommt, dass etwas geändert wurde, aber noch keine endgültige Form bekommen hat. Daher bewegt sich die künstlerische Produktion Hermann Maier Neustadts im Bereich der Vorläufigkeit. Seine Eingriffe in Galerien, Museen oder an Orten, wo die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem markiert wird, können nicht im Sog eines wichtigen Künstlers wie Michael Asher interpretiert werden. Hermann Maier Neustadt geht bei seiner Problematisierung des Raumes nicht von einem ideologisch gefärbten, institutionsgebundenen Modell aus. Für seine Arbeiten verwendet er Materialien, die für jeden deutlich erkennbar aus dem Baubereich stammen. Er benutzt Holzplatten, Gerüste, Plastikfolien und Isolationsmaterial. Diese Eingriffe werden nicht als Kunst empfunden, was einerseits eine indirekte Erkennbarkeit bewirkt, zugleich aber beunruhigt, wenn sie als Kunst definiert werden. Sie zerrütten die impliziten Bedeutungen und Werturteile, die einem Kunstwerk zugrunde liegen: Kunst als ‹erbauliche› Widerspiegelung dessen, was «unsagbar» im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich lebt. Die Absage an das Selbstverständliche steht im Mittelpunkt der Arbeiten von Hermann Maier Neustadt. Die Klarheit seiner Eingriffe ist weiteres Merkmal. Hermann Maier Neustadt ordnet die Räume, in die er eingeladen wird, und lässt den Betrachter durch Hindernisse, Auslassungen oder Ergänzungen spüren, wie der Raum wirkt und wie selbstverständlich er benutzt wird. Der zeitliche Eingriff maskiert oder verschönert nicht, sondern ist ein vorläufiges Signal, das von den Passanten eine vorläufige Anpassung fordert. Die Konstruktionen können nicht als ‹schön› betrachtet werden, sondern bewegen sich am Rande der Funktionalität, wo nicht nur das Auge mit dem Ungewohnten konfrontiert wird, sondern auch das Verhalten oft aus physischer Notwendigkeit in eine andere Richtung steuern muss.
Die Kunstproduktion Hermann Maier Neustadts bietet daher auch keine zusätzliche soziale Funktion wie das bei junger aktueller Kunst oftmals der Fall ist, insofern sie zu einer Art Sockel für soziale Kommunikation wird. Seine Eingriffe sind obstruktive Zeichen, die genau auf der Grenze zwischen Kunst und Architektur stehen. Das Material bleibt meist unverändert, so, wie es im Handel erwerblich ist, was jede Form erhabenen Hintersinns verbannt. Hermann Maier Neustadts Kunstproduktion ist durch und durch mit dem Begriff ‹Beziehung› verbunden, weil sie Bindestrich ist zwischen der Architektur und der Art und Weise, wie sich Menschen durch (öffentliche) Gebäude und durch Raum im allgemeinen einen Weg bahnen. Wenn der Künstler solche Eingriffe nun in Japan vornimmt, bedeutet dies auch eine Verletzung dortiger Tabus in Bezug auf die Nutzung von Raum. Die Aufhebung der Aufteilung eines Galerieraumes inklusive Büro beispielsweise, ist in Japan nicht selbstverständlich. und gerade dahinter verbirgt sich die Stärke einer solch abstrakten Installation. Die Betrachter werden damit konfrontiert, dass ihre Kultur in Bezug auf die Nutzung von Raum nur eine von vielen ist. Wo immer Hermann Maier Neustadt ‹eingreift› hämmert er damit sanft auf die verrosteten Vorurteile über zeitgenössische Kunst. Seine Produktion stellt nicht nur die Kunst in Frage, sondern auch und vor allem den Raum, in dem jeder funktionieren und kommunizieren muss.
Text von Luk Lambrecht