Regionale 20
24.11.2019
—
6.1.2020
Step out! Aufbruch in den Raum
Sein 20-jähriges Bestehen feiert in diesem Jahr das Ausstellungsformat Regionale, das heute 19 Institutionen im Dreiländereck umfasst, jedes Jahr rund 150-180 KünstlerInnen aus der Region vorstellt und zu deren 5 Gründungsinstitutionen auch das Kunsthaus Baselland gehört.
Das Kunsthaus Baselland stellt unter dem Titel Step out! Aufbruch in den Raum 15 KünstlerInnen vor, die mit skulpturalen Setzungen von der (zweidimensionalen) Fläche in den (dreidimensionalen) Raum agieren. Sich physisch im Raum ausbreiten, heisst für eine Reihe der KünstlerInnen auch, sich gedanklich darin einzurichten, Modelle zu schaffen, die auf etwas ausserhalb verweisen können, aber auch das Gegenüber dazu einzuladen, diese gedankliche Reise mitzumachen. Die ausstellenden KünstlerInnen, von denen fast jede/r einen eigenen Raum respektive ein grosses Raumsegment bespielt, laden somit die BesucherInnen zu einem Parcours durch das Kunsthaus ein; zu einer Begegnung mit teilweise neuen Arbeiten, die sie ausgehend von der Architektur des Kunsthauses entwickelt haben (z. B. Katrin Hotz, Simone Holliger, Maude Léonard-Contant oder auch Sanna Reitz, die von der Regionale eingeladen wurde, ein Projekt zum Jubiläum zu entwickeln, das im Aussenbereich des Kunsthauses zu erleben ist). Auch werden solche Werke gezeigt, deren Idee bereits bestand, die aber nun eine Fortführung erfahren (etwa bei Gin Bahc, Jorinde Fischer, Franziska Furter oder Jürg Stäuble). In diesem Zusammenhang konnten wir die grossformatige, vielteilige und bislang unausgeführte Arbeit des in Reinach lebenden Künstlers Dadi Wirz aus den 1990er-Jahren umsetzen. Und auch die Werke von Urs Cavelti, Kaspar Ludwig, Laura Mietrup, Kilian Rüthemann und Julia Steiner waren bislang in Basel noch nicht oder nur vereinzelt zu sehen. So zeigt sich einmal mehr die grosse Qualität der Regionale: bekannte KünstlerInnen mit neuen Arbeiten zu entdecken respektive KünstlerInnen neu kennenzulernen, die das künstlerische Schaffen der trinationalen Region prägen.
Darüber hinaus möchten wir für einmal das Sich-Bewegen bei der Regionale wörtlich nehmen und Sie einladen, mit uns — zusätzlich zu den von der Regionale angebotenen Bustouren — an drei Terminen nach Liestal, Freiburg i. Br. und Mulhouse aufzubrechen, um die dortigen Ausstellungen zu besuchen und zusammen mit den KuratorInnen zu diskutieren. So feiern wir 20 Jahre Regionale mit künstlerischen (Neu-)Produktionen, Entdeckungen, Gesprächen und Begegnungen in der Region.
Nach fast 30 Jahren kommt eines der grössten Werke von Dadi Wirz zur Ausführung — die Wandskulptur Baselbieter Gemeinden. Wirz hatte es einst als Kunst-am-Bau-Projekt für die Gemeinde Pratteln eingegeben — jedoch wurde es nicht realisiert. Damals hatte der Künstler nur drei Gemeinden des Kantons Basel-Landschaft für ein Modell aus einer 5 Millimeter dünnen Messingplatte in ihren geografischen Umrisse dargestellt. Waren es 1990 noch 84 Baselbieter Gemeinden, die im Konzept des Künstlers vorgesehen waren, sind es heute 86, die nun auf der 8 x 5 Meter grossen Wand im Kunsthaus vereint sind.
Die skulptural verstandenen Gemeindesilhouetten sind derart auf Kurzachsen aufgereiht, dass sie allesamt drehbar und einzeln mobil bleiben. Sie können daher vom Publikum vorsichtig bewegt werden. Dies erzeugt ein stets sich änderndes Gesamtbild der Wandskulptur, die sowohl als abstrakte Setzung wie auch als spezifische Repräsentation der Basel-Landschaftlichen Gemeinden funktioniert.
Doch die Wandskulptur von Dadi Wirz ist nicht allein Darstellung einer geografischen Sachlage, sondern sie ist trotz ihres Gewichts auch leicht, humorvoll und spricht von einer Sehnsucht des Künstlers nach einem Verbund und agilen Miteinander, das Grenzen auch zu überwinden vermag. (IG)
Für Kilian Rüthemann ist der Begriff der Skulptur oder skulpturalen Setzung ein offener. Zwar kommt er von einer klassischen Steinbildhauerausbildung und weiss sehr wohl mit Materialien wie Stein oder Marmor umzugehen, doch Skulptur ist gleichwohl mehr für ihn. Unterschiedlichen Zuständen von Materialien auf den Grund zu gehen, ihre Präsenz im Raum, ihre Unumstösslichkeit oder auch ihre Verhältnismässigkeit sind Themen, die den Künstler nachhaltig interessieren. Im Kunsthaus Baselland präsentiert Rüthemann nun ein Stahlgestell inmitten des Raumes, auf der die Rückwandprojektion eines von Wasser umgebenen Steins zu sehen ist. Ab und an tauchen schemenhaft Seelöwen auf, die um den Stein zu tauchen scheinen. Ein künstlicher Stein also, vom sanften Wellengang der Tiere geformt, und in einer künstlichen Umgebung wie einer Zooanlage zu verorten? Eine definitive Auflösung bietet der Künstler nicht an, stattdessen wird das Bild in unregelmässigen Abständen, fast unmerklich, durch kurze Videosequenzen unterbrochen. Darin zu sehen sind unzählige aufgeregte Hände, die die freigelegte Steinecke der Kaaba, des grössten islamischen Heiligtums, berühren — als Teil der rituellen Umrundung der grössten Wallfahrt der Muslime — und damit im Verlauf der Zeit auch verformt haben. Gekonnt setzt Rüthemann diese beiden Bildsequenzen zusammen, kommentarlos und zugleich einander aufladend: Ein eigentlich alltäglicherStein — es handelt sich bei der Sequenz nicht um die Ecke der Kaaba mit dem schwarzen Stein, einem Halbedelstein, sondern die gegenüberliegende Ecke — wird durch rituelle Handlungen zu etwas Heiligem; in der anderen Sequenz Seelöwen, die einen künstlichen Stein umrunden, aber nicht berühren oder erklimmen. Nicht zuletzt entsteht eine Assoziation zum künstlerischen, bildhauerischen Tun im Allgemeinen, das Materialien durch Handanlegen, Bearbeiten und Berühren in eine neue Form zu wandeln vermag. (IG)
Die in Biel/Bienne lebende Künstlerin Katrin Hotz verbindet raumbezogene Malerei und Architektur auf spielerische Weise. Dabei geht sie vom Material Papier aus, das sie in Installationen entwickelt, die objekthaft und räumlich werden. Bei der Werkgruppe enough — eine Weiterentwicklung der Serie tache — werden Papierbahnen bemalt, auseinandergerissen, zerknittert, gefaltet und zusammengeklebt. Durch diese Technik entstehen neue Verbindungen, Materialverluste und an manchen Stellen partielle Verdichtungen und Überlagerungen. Seit einigen Jahren arbeitet die Künstlerin bereits mit diesem künstlerischen Verfahren. Bedingt durch den Arbeitsprozess sind ihre Werke immer neuartig und vom jeweiligen Raum und seinen Bedingungen abhängig; ob das Papier reisst oder Furchen entstehen, kann nie genau geplant werden, sondern entwickelt sich im Moment der Entstehung.
Katrin Hotz geht in ihrer Arbeit stets dezidiert auf die Architektur eines Raumes ein. Im Kunsthaus entstand somit eine einzigartige Fläche, welche mit der Wand verbunden ist respektive deren Ecken überschreibt. Die eleganten Übergänge erzeugen eine neue Raumdynamik. Die Künstlerin arbeitet hier mit einem hochpigmentierten, matten und glänzenden Zitronenfaltergelb/Schwefelgelb. Mit ihrer künstlerischen Strategie bewegt sich Katrin Hotz zwischen einer raumbezogenen Malerei, einer reliefartigen Installation sowie der Leichtigkeit einer Zeichnung im Raum. (YE)
Die Skulptur steht frei im Raum, unumstösslich, beständig — ein wenig scheint sie mit der sie umgebenden Architektur zu schmeicheln. Fasst lässt sich ein Vorbeugen und Zurücklehnen ausmachen, ein Hinaufstrecken und ein Bücken. Leicht wirkt sie, auch ein wenig zart durch den hellen Farbton, gleich einem Model, das schon von Grossem spricht, aber auch auf noch Grösseres zu verweisen vermag.
Simone Holliger, die ursprünglich aus dem Aargau kommt, lange Zeit in Genf lebte und nun in Basel ihren festen, neuen Wohnsitz bezogen hat, aktiviert mit ihren skulpturalen Setzungen den Raum. Ein Besetzen-Wollen ist ihr fern. Holliger bringt ihre Skulptur nicht mit, lädt sie aus und stellt sie auf. Gleich einer plastischen Form, die langsam aufgebaut wird, wächst die Form vor Ort und sucht den idealen Standort und zugleich das eigene Gleichgewicht im Entstehen. Das Material, so standfest, elegant und permanent es wirkt, so fragil und temporär ist es: Simone Holliger arbeitet mit Papier und verleimten Kanten. Sie lässt daraus Werke entstehen, die frei stehen oder an der Wand installiert werden können. Durch die Form wird das Material gestützt und gestärkt, hält das Horizontale und Vertikale, lehnt sich gegen die Schwerkraft auf, steht auf Beinen, wird durch Arme getragen und ist vor allem ein ausbalancierter Akt, der künstlerische Idee, Möglichkeiten und Grenzen des Materials in der Waage hält.
Holligers Arbeiten gehen deutlich einen Schritt weg von der Skulptur als tonnenschwere Behauptung und finale Setzung im Raum, hin zu einem Angebot wie die Präsenz eines Menschen im Raum, wie ein Klang oder ein Gedanke, der nach der Ausstellung weitergeht und sich in eine neue Form zu wandeln vermag. (IG)
Wer kennt sie in der heutigen Zeit nicht, diese diversen Hilfsmittel zur Ablichtung oder Reflexion seines Selbst. Betritt man im Kunsthaus Baselland den Galerieraum mit der grossen Fensterfront, richtet sich der Blick umgehend in Richtung des Bodens, um beinahe gleichzeitig auf der Spiegelung des eigenen Ichs zu verharren. Jürg Stäuble präsentiert auf dem dunklen Boden des Kunsthaus Baselland mehrere Dreieckskörper aus Spiegelscherben. Die kleinen, an Pyramiden erinnernden Objekte sind wiederum aus drei kleineren Spiegeldreiecken zusammengesetzt und ragen mit ihren scharfen Spitzen in den Raum.
Obwohl die Arbeit bereits 1979 entstand, gewinnt sie — zumal in der heutigen von narzisstischen Zügen geprägten Gesellschaft — an Aktualität, weshalb der Künstler sie periodisch immer wieder auf verschiedene Weise und an unterschiedlichen Orten präsentiert. Schaut man sich die kleinen Objekte nun genauer an, fällt auf, dass die Vorderseite eine Raumecke bildet, welche den Betrachter respektive die Betrachterin kopfüber zeigt. Die eigenen Bewegungen im Raum werden in allen Spiegelecken gleichzeitig gespiegelt. Er wird quasi von sich selbst verfolgt: Das Verblüffende ist, so Stäuble, dass der Besucher beim Vorbeigehen immer nur sich selbst im Fokus hat beziehungsweise im Fadenkreuz der Spiegelecken steht und die anderen Personen nicht sieht, welche sich möglicherweise auch noch im Raum aufhalten. (PH)
Den Objekten von Laura Mietrup — ob frei stehend oder an Wänden installiert — wohnt stets eine Rätselhaftigkeit und Faszination zugleich inne. Meist erinnern sie an Bekanntes, bislang Alltägliches, doch entziehen sie sich dieser Deutung sogleich wieder. Die präzise ausgeführten Objekte spiegeln in ihrer Form und Oberfläche auch das grosse handwerkliche Können und die künstlerische Strategie der Künstlerin wider: Unterschiedlichste Materialien wie Holz, Acrylglas, Kunststoff und Chromstahl vereint Mietrup zu einer unglaublichen Homogenität in der Formensprache und zugleich einer Einheitlichkeit der künstlerischen Erzählweise. Aus ihren künstlerischen Experimenten mit Formen und Linien resultiert eine Art Alphabet, das abstrakt und narrativ zugleich wirkt. Die Sprache ist jedoch fiktiv und es entsteht — wenngleich nicht lesbar — eine Form der Kommunikation. In der Verbindung von Objekten und deren Farbe, Anordnung und Präsenz im Raum lassen sich die zeichenhaften Werke verstehen. Leicht, elegant und zugleich humorvoll spielen die Arbeiten zusammen. Die Arbeit o. T. (Fenster auf Rädern) etwa schafft durch den Bezug zur realen architektonischen Gegebenheit eine Verbindung von Aussen und Innen — eine Schrift, die trotz des hohen Abstraktionsgrades lesbar wird. Laura Mietrup vereint in ihren Werken gekonnt das Eindeutige mit dem Rätselhaft-Spielerischen, das Leichte mit dem Tiefgründigen, und schafft eine neue Zeichenhaftigkeit, die es zu entschlüsseln lohnt. (YE)
Den 20 rötlich-braunen, gebrannten Tonfiguren von Selina Baumann, die klassisch auf Sockeln präsentiert werden, sieht man schnell an, dass sie ein Ganzes bilden, eine Gruppe, die die Künstlerin schlicht mit Skulptur 1–20 betitelt. Auch die Oberfläche der unterschiedlichen Plastiken sind allesamt uneben, rau und vermitteln eine grosse Spontaneität und Direktheit im Moment der Realisierung. Worin sie sich jedoch massgeblich unterscheiden, ist ihre jeweilige Form. Jede ist ein Unikat, das in schneller Arbeitsweise zu Spiralen, floralen Elementen oder organischen Strukturen geformt wurde — manche symmetrisch, andere ungleichmässig.
Die zweite mehrteilige Skulptur der Künstlerin im Untergeschoss des Kunsthauses wiederum, die den Titel Hain trägt, setzt sich aus Pflanzentöpfen zusammen, die unterschiedlich oft gestapelt wurden. Hohe und niedrige Türme ergeben ein Stelenfeld, das nicht abgeschlossen scheint. Das Stapeln könnte weiter fortgeführt, vergrössert oder verkleinert werden. Der Hain ist ein kleiner, lichter Wald. Doch erinnern die bläulichen Vertikalen eher an Stämme von exotischen Palmen ohne Blattwerk.
Sowohl die serielle und schnelllebige Produktion als auch die häufige Repetition eines Alltagsgegenstands denken gängiges Formenvokabular neu und verfolgen einen konzeptuellen Ansatz. Entscheidend für beide Werkkomplexe, die Baumann nun im Kunsthaus Baselland zeigt, ist ihr Verständnis von Serialität, ohne die individuellen Ausprägungen dabei zu verlieren und zugleich das Gegenüber zu vergessen. Baumann konzipiert ihre Serien stets als eine Einladung des behutsamen Durchschreitens und Massnehmen zur eigenen Präsenz im Raum. (IT)
Gesellschaftliche Themen sind dieAusgangslage für das Schaffen der Künstlerin Gin Bahc. Ihr besonderes Interesse gilt der Sozialpsychologie: Was denken und erleben Menschen, und wie verhalten sie sich in ihrem sozialen Umfeld? Am Anfang steht die Zeichnung. Bahc beginnt mit Zeichnungen, die sie meist direkt auf Wände anfertigt, und geht dann weiter in den Raum hinein. Resultat sind grossformatige Wandarbeiten sowie raumgreifende Installationen. Im Kunsthaus Baselland zeigt die Künstlerin eine ebensolche: unterschiedliche Objekte wie Gepäckstücke kombiniert mit Wandzeichnungen. Allein die Form und Art von Gepäck- stücken sagt meist viel über den Träger respektive Eigentümer aus. Gin Bahcs Gegenstände verweisen meist alle auf Momente der Fortbewegung, des Transits und Transports und werden von der Künstlerin nach ästhetischen Entscheidungen verbunden. Durch Kombination und Komprimierung verlieren die Gegenstände nicht nur ihren Zweck, auch die mit ihnen verbundenen Assoziationen und Zuschreibungen können neu gedacht werden. Alle Objekte sind auf Fortbewegung ausgerichtet, wenngleich sie selbst statisch bleiben.
So lässt denn auch der Raum an einen plötzlich verlassenen Ort des Transits denken wie etwa ein Bahnhofs- oder Flughafenbereich. Alles scheint zur Abreise bereit. Wir sind in einer Situation ständiger Bewegung, die einem Stillstand gleichkommt.
So sind es gerade Themen wie Bilderflut, Medienpräsenz, Gleichzeitigkeit,Überlagerung, Uneindeutigkeit und Schnelllebigkeit als typische Begleiterscheinungen der modernen Gesellschaft, die die Künstlerin in ihren Werken diskutiert. Für sie, so Bahc, bedeutet Kunst machen, die Auseinandersetzung mit verschiedenen Lebenssituationen, den medial geprägten Erfahrungen unserer Zeit, der zunehmenden Medialisierung des eigenen Lebens. (PH)
Schwarze Stahlrohre verzweigen sich durch den Negativraum der Shedhalle, gleich den unregelmässigen Linien und Strichen einer dreidimensionalen Zeichnung. Die Arbeit von Franziska Furter spannt sich durch den gesamten Raum. Die Rohre sind am Boden abgestützt und verschwinden teilweise in Wänden oder enden scheinbar im Nichts. Gitter aus Schnüren und Netze aus Perlen auf Nylonfäden hängen nach dem Gesetz der Schwerkraft von einzelnen Rohrelementen herab. Seile mit Knoten stören die Gradlinigkeit des Gestänges und lösen sich am Boden in einzelne weiche Linien auf. Die strengen Horizontalen und Vertikalen der Stäbe kanalisieren — von den leichten, teils netzartigen Objekten unterbrochen — die Körper der BesucherInnen im Raum. Man steht, geht, bückt sich, und im aufmerksamen Durchschreiten der Installation wird das Positiv/Negativ, das Formulierte/Offene greifbar — die Leerräume werden erfahrbar.
Der Titel ist ein Zitat der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf aus dem Roman The Waves. Ein surrealer, traumhafter Raum schmiegt sich um die BetrachterInnen wie eine gebrochene Welle um ihr Ufer. Den Weg muss und darf sich das Gegenüber allein/individuell suchen. (IT)
Diffuse Töne locken die BesucherInnen in den hinteren Raum des langen Annexes im Kunsthaus. Der Sound führt das Gegenüber mitten
in eine Installation von aufgeblasenen Stahlkissen, die auf dem Boden arrangiert und über meterlange, durch den Raum geführte Kabel mit einem Mischpult verbunden sind.
Kaspar Ludwig erschafft mit seiner Arbeit why should i buy pillows if all I want is sleep einen Raum, der zu Reflexion und Erkundung einlädt. Dafür nutzt der Künstler das Storytelling, setzt teils alltägliche Objekte in einen surrealen Kontext oder verbindet Gegensätze auf humorvolle Weise. Zu seiner künstlerischen Strategie gehört es, einem Material und dessen Charakter nachzugehen und daraus seine Werke zu entwickeln. So lebte Kaspar Ludwig längere Zeit in Carrara (IT) — ein (kunst-)historisch aufgeladener Ort — und beschreibt dies rückblickend als wichtige Inspirationsquelle. Ausgangspunkt für die im Kunsthaus gezeigte Arbeit sind Stahlkissen, die in Carrara als technische Geräte zur Absprengung von Gestein in Marmorsteinbrüchen verwendet werden.
Solche Kissen können durch ihre Wucht bis zu 70 Tonnen Stein bewegen. Und so verkörpern für Ludwig diese Objekte eine unglaubliche Kraft. In seiner Installation inszenierte sie der Künstler jedoch zugleich mit einer grossen Leichtigkeit. Von diesen Kissen ausgehend werden tiefe Bassklänge erzeugt, welche durch die Bewegungen und Vibrationen der BesucherInnen im Raum generiert werden und zugleich das Werk physisch erlebbar machen. (YE)
Von den Installationen der Künstlerin Maude Léonard-Contant geht eine feine Spannung aus, die sich weniger beschreiben denn erfahren lässt — eine Auslageordnung, die feingliedrig, poetisch und im ersten Moment rätselhaft anmuten mag. Es entsteht ein Zeichensystem, das sich in Schichten entschlüsseln lässt und im Verständnis von Zusammenhängen. Aus Werkstoffen wie Ton schafft Léonard-Contant zarte Skulpturen im Raum — aus einem Material also, das Zeit und Ablagerungen benötigt, um zu entstehen; daneben Wandobjekte, deren oberste Schicht eine Plastikhaut unter Spannung besitzt und die die Künstlerin in Nachbarschaft mit Bambus-Gips-Objekten bringt, die wie zarte Antennen aus Wänden oder Böden herauszuwachsen scheinen. Plastik, Gips und Bambus stehen für Léonard-Contant für Materialien, deren Voraussetzungen sich erst in langen Wachstums- und Naturprozessen entwickeln. Die Künstlerin interessiert sich gerade für diese Verweise, die Schichten und Bezüge, welche die Werke untereinander herstellen und uns in einen Dialog treten lassen können. Diese Sprache erschliesst sich nicht über das klar zu Benennende, sondern über ein Leise, ein Laut, einen Klang, einen Rhythmus, um dabei zugleich über komplexe Zusammenhänge im Heute und Jetzt zu künden. (IG)
Sehr rasch im Durchschreiten der Räume des Kunsthaus Baselland fallen die fliegenden Vögel der Basler Künstlerin Julia Steiner ins Auge — irritierend und faszinierend zugleich. Die massiven, in Bronze gegossenen Raubvögel scheinen sich um Stangen zu winden, auf der Suche nach der grossen Beute. Diese aus dem gleichen Werkstoff gefertigten, abgegossenen Bohnenstangen hängen knapp über dem Boden und sind mit Falke und Sperber nicht nur verbunden, sondern stützen sie in ihrer Bewegung und hängen gleichzeitig selbst wie ein leicht aus dem Gleichgewicht geratenes Lot von der Decke.
Die Vögel wurden mit der Technik des verlorenen Gusses hergestellt, wobei das Vogelpräparat ausgebrannt wird und nur einmal ausgegossen werden kann. Was dabei entsteht, ist auch für die Künstlerin eine Überraschung und letztendlich nicht zu beeinflussen. Mal erkennt man ganz genau die feinen Federstreifen, mal büssen sie eine grössere Fehlstelle im Körper ein. Leicht und luftig, aber dennoch schwer und vergänglich wirken die Objekte, die zugleich wie Koordinaten den Raum, in dem sie installiert sind, vermessen. Steiners Vögel brechen auf und bewegen sich im Raum, bevor sie nach Ende der Ausstellung im Kunsthaus in ihre nächste grosse Ausstellung weiterziehen. (PH)
Um das 20jährige Jubiläum der Regionale angemessen zu feiern wurde — zusätzlich zum jährlichen Open Call — eine Ausschreibung für künstlerische Neuproduktionen lanciert. Für eine Realisierung ausgewählt wurden die Projekte von Simone Etter & Marianne Papst (Künstlerinnenkolletiv marsie) und Sanna Reitz, die beide im öffentlichen Raum angesiedelt sind.
Sanna Reitz bespielt mit TOPI (Social Sculpture Suburbia) grossformatige Wandflächen in Basel, Freiburg, Mulhouse und Strasbourg. Ihre Fotografien zeigen und untersuchen geometrisch beschnittene Hecken, die Grundstücksbegrenzungen im suburbanen Dreiländereck auf deutscher, schweizerischer und französischer Seite markieren. Die Künstlerin bearbeitet diese digital, um deren formale Architektur, skulpturale Qualität und klare Struktur zu intensivieren. Sie interessiert sich für die vorgefundene künstlerische Qualität dieser temporären, ortsspezifischen Eingriffe der liebevollen und fleißigen Hobbygärtner. Dienen sie doch eigentlich dem Zweck die NachbarInnen auf Distanz zu halten und das Eigene abzugrenzen. Gleichzeitig verknüpft TOPI dadurch den grenzüberschreitenden und trinationalen Anspruch der Regionale mit dem in der Vorstadt herrschenden „Abstandsgrün“, indem sie dieses in die urbanen Zentren der jeweiligen Nachbarländer verpflanzt.
Spiegelndes schwarzes Epoxyharz überzieht in fliessenden Linien die geometrischen Körper und bilden eine dunkle Skulptur. Sie ist Teil einer Gruppe von drei fast identischen kristallinen Formen, die der Künstler Urs Cavelti im Untergeschoss
des Kunsthaus Baselland mitten im Raum kippt, legt und stellt. In ihrer Anordnung stehen sich eine helle und grau besprayte Form gegenüber — im Dialog zueinander —, während die schwarze Skulptur mit etwas Distanz gestellt wurde. Trotz der sehr ähnlichen Grundformen ergeben sich durch die unterschiedlichen Aufstellungen und Oberflächen andereLesarten. Ein Gefühl von Leichtigkeit steht dem der Schwere gegenüber. Die Formen suchen nicht nur ihre eigene Stabilität, sondern auch nach einem Gleichgewicht der gesamten Gruppe im Raum.
Erfährt man dann noch den Titel der Installation werden sein vergehen, entsteht eine narrative Kette der aufeinanderfolgenden Verben. Sie beschreiben, so der Künstler, eine Zeitlichkeit, ähnlich wie die Abfolgen „aufstehen, gehen, fallen“ oder „Geburt, Leben, Tod“. Gleichzeitig verweist die Farbigkeit der einzelnen Skulpturen auf ein Nacheinander. Die dargestellte Zeit kann als Einladung verstanden werden, die Skulpturengruppe aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu umschreiten und dabei zu erfahren. Ob BetrachterInnen nun ein zeitliches Nacheinander verschiedener Zustände in der Skulpturengruppe lesen oder doch eine rein abstrakte und formale Interpretation bevorzugen — in beiden Fällen dient der eigene Körper als Bezugspunkt, mit dem wir in der Zeit präsent sind. (IT)
Das raumgreifende zweiteilige Werk von Jorinde Fischer zieht die BesucherInnen gleich zu Beginn der Ausstellung in das Innere des Kunsthauses. Die Künstlerin verführt mit ihrer fast perspektivisch angelegten Arbeit dazu, den Raum in seiner gesamten Tiefe wahrzunehmen. Textil, Stahl und Architektur bilden den Ausgangspunkt ihrer Installationen, mit denen sie den jeweiligen Raum individuell inszeniert. Spielerisch geht sie sowohl auf die architektonischen Gegebenheiten, das verbaute und von ihr verwendete Material — weicher sinnlicher Stoff zu hartem industriellem Stahl — wie auch die Farbgebung ein. An einem langen Stahlträger in ca. vier Metern Höhe befestigte die Künstlerin eine zartfarbige elastische Stoffbahn und lässt sie — durch die Befestigung mittels einer Stahlplatte am Boden — V-förmig den Negativraum formulieren. Auf die Architektur im Kunsthaus Baselland reagiert die Künstlerin visuell mit einer Flucht hin zur oberen Galerie. Obwohl der Stoff gespannt ist, entsteht durch das elastische Material eine leichte Drehung und dadurch grosse Dynamik und Spannung im gesamten Raum. Durch die Zartfarbigkeit des gespannten, faltenwerfenden Tuches wirkt die Arbeit beinahe malerisch — gleich einem Pinselduktus inmitten des Raumes. Klar, mit wenigen Setzungen und zugleich mit hoher Poesie regiert Fischer auf Raum und Ort. (YE)
Pressespiegel (Auswahl)
Basellandschaftliche Zeitung, 21.11.2019
Radio X, 10.12.2019
SRF2. Blick in die Feuilletons, 10.12.2019
Basler Zeitung, 3.1.2020