Kelly Tissot

Spurious Crops

23.9. —
13.11.2022

0 D6 A4228
Kelly Tissot, Coating against nostalgia/Cobalt glints I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4231
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4235
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Grower 2022; Coating against nostalgia/Cobalt glints II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl I 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4236
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Grower 2022; Coating against nostalgia/Cobalt glints II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4241
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl I 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4243
Kelly Tissot, Coating against nostalgia/Cobalt glints II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4248
Kelly Tissot, Coating against nostalgia/Cobalt glints II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolgirl II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4250
Kelly Tissot, Coating against nostalgia/Cobalt glints II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Schoolboy II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4260
Kelly Tissot, Phantom of the valley floor/Twins, 2022; Coating against nostalgia/Cobalt glints III, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Mechanic I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Mechanic II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Racer II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Racer I, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4266
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Racer I, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4269
Kelly Tissot, Coating against nostalgia/Cobalt glints III, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Mechanic I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Mechanic II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Racer II, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4277
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Mechanic I, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Mechanic II, 2022; Dubious portrait and improper meeting/Racer II 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4286
Kelly Tissot, Dubious portrait and improper meeting/Racer I 2022; Coating against nostalgia/Cobalt glints III, 2022; Phantom of the valley floor/Twins, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
0 D6 A4295
Kelly Tissot, Phantom of the valley floor/Twins, 2022. Installation view Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly

Projektpartner


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Seit 2016 arbeitet Kelly Tissot (*1995) an fotografischen Serien, die grundlegend mit einem romantischen Landschaftsbild respektive der Vorstellung, die wir davon haben, brechen. Die französische Künstlerin blickt auf Widersprüchlichkeiten zwischen Kulturellem und Natürlichem, Häuslichkeit und Wildnis sowie Abgeschiedenheit und Gemeinschaft. Begleitet von skulptural-raumgreifenden und zugleich raumdefinierenden Strukturen, die unseren gewohnten Blick auf die Fotografie irritieren, schwingt nicht selten etwas Beunruhigendes im Werk der Künstlerin mit. Menschen sind in ihren Fotografien und Raumkörpern allein durch die Massstäblichkeit sowie durch Spuren der Zivilisation präsent – durch das, was diese alltäglich gebrauchen, zähmen oder zu kontrollieren versuchen. Kelly Tissot überträgt all jene Motive in ein sich stets erweiterndes Bilderarchiv, das eine symbolische Identität der Provinz offenbart. Mit neu realisierten Arbeiten für ihre erste umfassende institutionelle Einzelausstellung im Kunsthaus Baselland nutzt die Künstlerin bislang unbekannte Narrative und befragt unsere eigene Beziehung zum Ländlichen.


Rostende Eisenträger, um die vereinzelt Gräser wachsen, stillgelegte Maschinen und Motorräder oder ein an Ketten geleinter Wachhund – all das sind Motive, die Kelly Tissot (*1995 Annecy, FR) für ihre Fotografien wählt. Sie nimmt das in den Blick, was Menschen täglich gebrauchen, zähmen oder zu kontrollieren versuchen, und präsentiert Material, welches wir in tiefe Landschaften hineintragen, Geräte und Maschinen, mit denen wir die Natur bearbeiten oder uns in ihr fortbewegen. Die Werke der Künstlerin charakterisieren einen gesellschaftlichen, soziologischen Raum, der zahlreiche Schichtungen und Reibungen in sich birgt. Wo Kultur auf Natur, Häuslichkeit auf Wildnis und Gemeinschaft auf Abgeschiedenheit trifft, beginnt ihre künstlerische Auseinandersetzung, die sich seit 2016 in einem fortlaufenden Bilderarchiv weiterschreibt, das mit einer romantischen Vorstellung vom Ländlichen bricht.

Im Kunsthaus Baselland beginnt Kelly Tissot mit einer Struktur, die an einen Zaun oder eine Barriere erinnert: eine massive Skulptur aus Metall und Holz. Sie markiert einerseits eine Grenze zwischen Aussenraum und Kunstraum, andererseits – und das ist an dieser Stelle bezeichnender – leitet sie die Besuchenden in einen Parcours, bestehend aus einem Vokabular von Formen und Bildern, das sich typisch ländlichen Codes bedient. So kühl und reduziert das Material und die Assoziationen im ersten Moment sein mögen, eröffnet die Skulptur auf der gegenüberliegenden Seite eine Leerstelle, einen Freiraum, der uns schon bei den ersten Schritten bewusst in die Auslageordnung eintreten lässt. Wir sind zur Bewegung aufgefordert, um an alles, was dahinter liegt, näher herantreten zu können. Mehrere dieser Strukturen unterbrechen beim weiteren Gang durch die Ausstellung das uneingeschränkte Überblicken des Raumes und unterteilen die weitläufige Ausstellungshalle in neue Zonen.

Dass mit den Arbeiten der Künstlerin eine Weitsicht stets gestört oder gar verweigert wird, zieht sich von den Skulpturen bis hin zu den eigens für die Ausstellung neu entstandenen grossformatigen Prints. In einem französischen Freizeitpark sind jene Fotografien aufgenommen, die Details ausrangierter Vogelscheuchen zeigen. Figuren, die auf dem Feld dem Abschrecken von Vögeln dienen, werden dort selbst als Objekt ausgestellt und in einer künstlichen Dorfsituation arrangiert. Kelly Tissot dokumentiert einzelne von ihnen mit einer analogen Kamera. Doch Dokumentation genügt der Künstlerin nicht. Sie transformiert die Aufnahmen in einem weiteren Schritt in digitale Bilder, lässt aus, hebt hervor, zoomt heran, verändert Kontraste. In einer überdimensionalen Grösse präsentiert, wirken die Aufnahmen des stereotypen Symbols der Land(wirt)schaft desillusionierend und irritierend. Die weichen und leicht unförmigen Körper der errichteten und ausstaffierten Figuren versuchen ein menschliches Aussehen zu imitieren, und doch verraten sie die Trägheit ihrer Gestalt, die aufgenähten Flicken sowie das unter der Kleidung hervordringende Stroh. Innen wie aussen, alles an ihnen ist unecht. Sie haben längst ihre ursprüngliche Funktion als Stellvertreter des Landwirts respektive der Landwirtin aufgegeben.
Innerhalb der Fotografien fehlt jegliche räumliche Orientierung wie beispielsweise ein Horizont. Die überlappenden und aneinandergenähten Stoffe und Textilien füllen den gesamten Bildraum, der von Spuren der analogen Fototechnik und einer Naht des Kunstleders, das als Trägermaterials dient, unterbrochen wird.
Dieses beinahe einengende Gefühl wird im Annex des Kunsthauses, der die architektonische Form eines langen, schmalen Gangs aufweist, durch die Wahl der Bildausschnitte noch verstärkt. In Kombination mit zwei freistehenden Skulpturen erreicht die Enge hier ihren Höhepunkt. Die Architektur lässt nicht viel Raum, um von den Werken zurückzutreten, fordert eine nahe Rezeption und bewegt schliesslich zur Umkehr. Einzig der gebrochen weisse Rahmen, der alle Drucke umgibt, löst die Verdichtung, die sich innerhalb des Bildes konzentriert, auf und erlaubt es ihnen, sich in den Raum hinein auszubreiten. Die einzelnen Aufnahmen der Serie verschmelzen – auch da sie teilweise wie auf einem Film miteinander verbunden sind – und offenbaren eine symbolische Identität der Provinz.

Spurious Crops, der Titel der Ausstellung, beinhaltet sicherlich die Brüchigkeit eines utopischen Klischees, welches mit ländlichen Umgebungen verbunden war oder ist. Vielmehr jedoch verweist er auf die trügerische Intention der abgebildeten Gestalten.
Im Verbund mit den Skulpturen porträtiert Kelly Tissot einen engen und verworrenen, vielschichtigen und auch absurden Raum, in dem ein Gefühl der Beunruhigung mitschwingt und nicht zuletzt etwas Zwiegespaltenes aufkommt – zwischen Zugehörigkeit und Exklusion, Spielerischem und Furchterregendem. (Ines Tondar)

Ein grosses Dankeschön an: Ambassade de France en Suisse et au Liechtenstein, Hans und Renée Müller-Meylan Stiftung, Ernst und Olga Gubler- Hablützel Stiftung, Abteilung Kultur Basel-Stadt und an das Team des Kunsthaus Baselland, namentlich Martina Stähli, Salome Tramèr, Meret Glausen, Oliver Minder, Finn Curry, Paula Santomé, Yasmin Emmenegger, Mariejon de Jong-Buijs, Pia Dobrowiz, Anouk Urben, Sergio Rojas Chaves und Katharina Anna Wieser sowie speziell für diese Ausstellung an Ivan Mitrovic, Osama Alrayyan, Mathieu Dafflon, Victoria Holdt, Nicolas Sarmiento, Pauline Coquart, Damien Juillard, Lorenzo Bernet von suns.work und Stephan Töngi von Prototyp Metallbau Leichtbau.

Die Ausstellung wird begleitet von der ersten Publikation der Künstlerin, für dessen Gestaltung wir herzlich Sylvan Lanz und Rebekka Hausmann danken möchten, sowie für die Beiträge Yann Chateigné Tytelman, Ines Goldbach und Tristan Lavoyer.

Kurator*in: Ines Tondar