Lena Eriksson

_957 #99_Tag und Nacht freihalten

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Liest man das Wort Leben rückwärts, dann wird es zu Nebel. Zeichnen bedeutet, vorwärts und rückwärts zu schauen. Zeichnungen sind das Ergebnis von Bewegung und Ausdruck einer Konfrontation mit der Welt und mit sich selbst. Meine Zeichnungen erzählen von einem künstlerischen Leben. Sie schildern, was ich tue und erlebe, wenn ich aus dem Haus gehe oder eben auch nicht. Ein Tag im Bett wird so zum kreativen Akt, das Nichtstun zum Moment der Inspiration.

Auf dem Gotthardpass ist es kalt und windig. Unwirtlich. Vor Ort hat sich der Mythos vom Gotthard in Luft auflöst. Zeichnen ermöglicht es, neue Narrative zu schaffen.

In Taschkent, auf dem Chorsu-Basar, hat ein Mann eine riesige blau-weiss gestreifte Blache ausgerollt. Ein Ort kann sich noch so eng anfühlen, Platz gibt es immer. Sich ausrollen kann jeder. Das Regelwerk der Kunst ist wie ein Schutzraum. Wir müssen ihm Sorge tragen, wir dürfen ihn nicht verlieren. Ich suche Sinn, Bedeutung, Beleuchtung, Autonomie, Freundschaft und Freundlichkeit. Ich möchte weniger Distanz, weniger Unterwerfung, aber mehr Unverfügbares.

In Dhaka, am helllichten Tag, ich sehe sie auf dem Weg zur Arbeit, schlafen auf einem Sandhaufen zwei Hunde. Eigentlich habe ich Angst vor Hunden. Schlafende Hunde haben keine Richtung. Wenn ich sie gezeichnet habe, dann kann ich das Blatt wenden und drehen, so alles immer wieder neu und anders sehen. Collagieren und Bricollieren.

Lena Eriksson (*1971 in Visp) findet ihre Themen im täglichen Leben, das sie auf ihre eigene Weise zu beobachten versteht. Sie pflegt die Kunst des freundschaftlichen Austauschs, der Gastlichkeit, beschäftigt sich mit der spezifischen Wahrnehmung auf Reisen oder beim Wandern und erforscht die Möglichkeiten einer künstlerischen Kunstvermittlung. Ihre wichtigsten Medien sind Zeichnung, Video und Performance.

2004–2009 leitete Lena Eriksson den Kunstraum Lodypop in Basel und arbeitet seit 2015 als Dozentin im Masterstudiengang Kunst an der Hochschule Luzern. Eriksson lebt meist in Basel und arbeitet u. a. in einem Gemeinschaftsatelier in der Genossenschaft Grenze.




_957 ist der unabhängige Druckraum im A4 Heftformat. Auf jeweils 24 oder mehr Seiten präsentiert _957 zeitgenössische Kunstschaffende oder verhandelt Beobachtungen aus dem System Kunst. Seit 2012 unterwegs entsteht nahezu monatlich eine Ausgabe. Meist ohne Text vertraut das Heft auf die Aussagekraft der Bilder. In Bilder zu denken heisst nicht zuletzt, sich auf Unbestimmtes einzulassen. So setzt sich das Magazin immer wieder selbst auf‘s Spiel, erprobt divergierende Ideen und bringt die unterschiedlichsten Ansprüche in eine visuelle Spannung. Das junge Kunstmagazin zeigt sich 2020 in Santa Fee, Tel Aviv, Münchenstein und an anderen wichtigen Orten.


Tn 99
  • Editor
    Stephan Wittmer
  • Year
    2020
  • Price
    CHF 15