View over 6 continents

Christine Zufferey & guests

12.10. —
16.11.2003

In the exhibition View on 6 continents the artist Christine Zufferey focuses on the multi-faceted options for interpretation. She also takes up the in-security of the viewer.

Based on her very own network in the young art and music scene of Basel the original concept developed into a joint project with participating guest artists Beat Brogle / Max Philipp Schmid as well as musicians Knut & Silvy.

On show are four installations specially designed by Christine Zufferey for the Kunsthaus Baselland as well as an extensive video installation by Beat Brogle and Max Philipp Schmid.

The band Knut & Silvy form the common link so to speak within the project as all participating work together since years and the artistic synergies thus created are an important source of inspiration to all.
Text by Sandra Studer


KuratorIn: Sabine Schaschl

Zufferey Christine G 2003 1
Christine Zufferey, Ohne Titel, 2003, installation view Kunsthaus Baselland 2003

«Stimmungsbilder — Bilderstimmungen», der Entwurf einer Neonarbeit markiert den Ausgangspunkt eines Ausstellungsprojektes, welches sich anhand verschiedener Ideenentwürfen zu einem Gesamten herausschälte. «View over 6 continents», so der Wortlaut des Neonschriftzuges und späteren Ausstellungstitels, spielt mit Bedeutungszuweisungen von einem überblickenden Sehen, einer globalen Perspektive bis hin zu technisch ausgeklügelten Aufnahmesystemen, wobei jedoch alle Lesarten von Zweifeln und Irritationen hinsichtlich der Anzahl der zu überblickenden Kontinente gestört werden.

Christine Zufferey (*1970 in Zürich, lebt und arbeitet in Basel) greift diesen Verunsicherungsmoment innerhalb des Rezeptionsprozesses auf: Sind es tatsächlich sechs Kontinente, die überblickt werden können oder vielleicht doch fünf oder sieben? Das Nachschlagen in Lexika löst die Verwirrung nicht vollends auf. Je nachdem ob Amerika in Nord und Süd unterteilt oder die Antarktis dazugezählt wird, variiert die Anzahl der Erdkontinente. Übertragen auf den kulturpolitisch brisanten Standort des Kunsthaus Baselland an einer Grenzzone, formuliert View over 6 continents eine selbstbewusste, der Kunst verbundene Haltung, die sämtlichen negativen Konnotationen hinsichtlich einer vermeintlichen Peripherieexistenz eine klare Absage erteilt und vom Kuratorenstandpunkt aus betrachtet, ein gern gesehenes Wortspiel darstellt.

Das sowohl individuell definierte als auch gesellschaftlich mitbestimmte Phänomen von Stimmungen ist das breit gefächerte Forschungsgebiet, welchem sich Christine Zufferey in den letzten Jahren verschrieben hat. Wie kann eine Stimmung erzeugt und in visuelle Sprache übersetzt, wie kann sie verstärkt oder verlängert, extrahiert oder abstrahiert werden? Was macht ein Stimmungsbild aus? An welche individuellen oder kollektiven Erinnerungen rührt es? Wie der französische Philosoph Gaston Bachelard dargelegt hat, üben Bilder Wirkung aus, mitunter auch nachträglich, doch Erzeugnisse einer Auswirkung sind sie nicht. Sie stehen vielmehr in einem Kommunikationsverhältnis mit der Phantasie und der Einbildungskraft des Betrachters, was in der Folge individuell Erfahrenes oder gesellschaftlich Gebildetes in Form von geistigen Bildern (wieder) hervorbringt. Christine Zufferey versucht Bilder dort einzufangen, wo sie spezifische Stimmungen evozieren. Diese Schnittstelle ist Bestandteil ihrer künstlerischen Sprache, welche sie mit den Mitteln der Fotografie, des Videobildes, der Neonschrift, der Zeichnung oder der raumübergreifenden, installativen Skulptur visualisiert. Eindrücke, Bilder des Besonderen im Alltäglichen und Kippmomente im Wahrnehmungsprozess hält die Künstlerin anhand von fotografischen und zeichnerischen Notizen fest. Für die Ausstellung View over 6 continents entstand daraus eine Reihe neuer Werke.

Durch die persönliche Vernetzung Zuffereys in der Basler Kunst- und Musikszene entwickelte sich aus einer ursprünglich als Einzelpräsentation konzipierten Ausstellung ein einzigartiges Gemeinschaftsprojekt, an dem die Künstler-Gäste Beat Brogle und Max Philipp Schmid sowie die Musikgruppe Knut & Silvy (Knut Jensen, Silvia Buonvicini) mitwirken. Der innovativ experimentellen Popband Knut & Silvy kommt eine ebenso zentrale Rolle zu, wie den mit assoziativen Stimmungsfeldern arbeitenden Videokünstlern Beat Brogle und Max Philipp Schmid. Während Zufferey die Musikgruppe immer wieder fotografisch begleitet, kreieren Brogle / Schmid Videoclips für diese. Die Offenheit gegenüber anderen Kunstsprachen begreifen alle Beteiligten als Inspirationsquelle und als zusätzliche Möglichkeit, Stimmungen und Eindrücke zu entdecken und deren Entwicklungen einen Schritt näher zu kommen.

Eine der für die Ausstellung entstandenen, neuen Arbeiten Zuffereys ist eine vierzig Meter lange, malereiartige Wandinstallation, die an urbane Plakatwandreihen erinnert. Im Gegensatz zu Raymond Hains’ Appropriation und Re-Kontextualisierung vorgefundener Strassenplakatwände und öffentlich angebrachter Poster, erzeugt die Künstlerin eine installative Plakatwand im Ausstellungsraum selbst. Die aus drei Schichten bestehende Wandarbeit vermengt Elemente der Malerei mit Materialien aus dem Aussenraum. Über eine orange-farbene Plakatschicht tapeziert die Künstlerin ein auf Stadtstreifzügen gefundenes und von ihr fotografisch festgehaltenes Motiv eines präparierten, aus mehreren tierischen Körper-Elementen kreierten Fabelwesens: zwischen Hase und Vogel, Nagetier und Stofftier — jede eindeutige Zuordnung schlägt fehl. Mit pinselstrichartigen, grossen Gesten reisst die Künstlerin im nächsten Schritt mancherorts die affichierten Schichten wieder auf, und bringt das darunter liegende Orange zum Leuchten. Eine letzte Ebene von über die Plakatwand verteilten Holzschindeln bricht mit dem bisherigen Malereiprozess und rückt die installative Komponente in den Vordergrund. Holzschindeln, welche üblicherweise Regen an Dächern oder Aussenmauern abwehren, verbinden sich in Zuffereys Werk mit Plakaten, deren Botschaften den Betrachter im Aussenraum, ungeachtet jeder Witterung, erreichen sollen. Das Alltägliche der Materialien ruft beim Rezipienten Assoziationen hervor, die den Leseprozess mitdefinieren. Unterstützt von Verrückungen gewohnter Materialplatzierungen und einer tief gehängten Reihe von Neonleuchten, welche den schlauchartigen Raumeindruck brechen, unterbindet die Künstlerin gewohnte Lese- und Sehweisen und schafft Raum für Sensibilisierungen und neue Wahrnehmungen.

Auch in Abgeholztes Terrain und Rauchzeichen, zwei weiteren neuen Arbeiten, sensibilisiert die Künstlerin Wahrnehmungen und thematisiert das in Bildern vorkommende kommunikative Element. Abgeholztes Terrain, eine Sitzecke mit Baumstämmen, um die sich im Laufe der Ausstellungsdauer Zeitungen und Zeitschriften sammeln, ruft atavistische Erinnerungsmomente hervor: Von gemeinsamen Mahlzeiten am Lagerfeuer, über erzählte Geschichten bis hin zum zeitgenössischen Lounging reichen die assoziativen Lesemöglichkeiten des räumlichen Bildes. In Rauchzeichen werden verschiedene Rauchzeichen — Aufnahmen von Flugzeugspuren, Industrieabgasen und Ringen aus Zigarettenrauch — zu einer humoristisch poetischen und DJ-artig gescratchten Bildabfolge komponiert. Mit dem Vor- und Zurücklaufen der Rauchbewegungen entsteht tonlose Musik in Bildern. Wie ein roter Faden macht sich hier eine Verbindung zur Musikgruppe Knut & Silvy auf. Das Aufgreifen von Stimmungen wiederum bildet eine inhaltliche Brücke zu den Videos von Brogle / Schmid.
Text von Sabine Schaschl

Brogle Beat Schmid Max Philipp G 2003 1
Beat Brogle / Max Philipp Schmid, Ohne Titel, 2003 (still), Kunsthaus Baselland 2003

In ihrer neuesten, für die Ausstellung im Kunsthaus Baselland entstandenen Videoinstallation fokussieren Brogle / Schmid auf assoziative, geistige Räume, welche sie für die RezipientInnen öffnen. Nicht näher definierbares Gewebematerial wechselt sich mit Wald-, Busch- und Pflanzendetails und mit Porträtaufnahmen von Männern unterschiedlicher Altersgruppen ab. Das Mienenspiel auf den Gesichtern oszilliert zwischen Warten, Verzweiflung, Anstrengung, bis hin zu latenter Aggressivität. Videoimmanentes Störmaterial bringt das Bild der dargestellten Person aus der Ruhe und löst gleichsam das Bild selbst auf. Das verwendete akustische Material entstammt dem Musikfundus von Knut & Silvy, welches wiederum eine tonale Feinabstimmung von Knut Jensen erfährt. Weder die Bilder noch die Töne geben eine Erzählung vor, vielmehr öffnen sie individuelle Assoziationsfelder und erzeugen ihrerseits spezifische Stimmungsbilder.
Text von Sabine Schaschl