Strategies of Desire
28.5.
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18.7.2004
Today there is an incredible amount of hype surrounding the notion of desire, one of our strongest emotions. Desire is both a marketable commodity and a fundamental human need expressed in many different ways.
We yearn for love, friendship, a lifestyle we have grown accustomed to, glory and honor, success, remote places, adventure, change, paradise on earth, etc. There is arguably no other emotion that runs such a wide gamut. Desire, as pointed out by philosopher Ernst Bloch, is the only truly honest human condition. Desire responds to a perceived void in all its sincerity and attempts to fill this void. The definition of void, however, frequently remains vague. Italian star conductor Ricardo Muti, in an interview on the occasion of the New Year’s Concert he performed with the Vienna Philharmonic, recently stated that desire is ubiquitous. When asked what he yearned for he simply replied “I yearn for everything!” Desire engulfs two contradictory poles: While one part of this emotion addresses something ambiguous and evasive, the other part is more focused and knows exactly what the object of desire actually is. On the one hand, we long for an indefinite thing, on the other hand, that longing may sometimes be quite targeted. Psychologist Matthias Vogt also argues that desire concerns both the past and the future—retrospections and visions are inherent elements. “While desire geared towards the past expresses itself as nostalgia, desire geared towards the future expresses itself as utopia”, concludes writer Paolo Bianchi.
Artists are considered highly desire-prone. Here is what psychoanalyst and art technologist Mario Erdheim has to say: “Artists do not content themselves with what they have already recognized; they leave known structures and break new ground, or they destroy known structures and put objects in new contexts”. Yearning for whatever is new and fresh, for the work to be created next, and the obsession to take on this challenge time and again — artistic activity encompasses both of these facets.
The international group show Strategies of Desire highlights works inspired by the power of desire that articulate this emotion both within and outside their genuine process of creation. Which contemporary desires can be identified, and which strategies can be devised to illustrate them? This restlessness, which tends to appear out of the blue, catching us off-guard in our everyday lives, may also be described as “our soul’s longing for faraway places”. It becomes the object of investigation and is thus a reflection of the societies in which we live.
Das künstlerische Werk von Rita Ackermann (*1968 in Budapest, lebt in New York City) nutzt die Möglichkeiten verschiedenster Disziplinen und deren Rezeptionsreaktionen und erfindet sich beständig aufs Neue.
In Zeichnungen, Collagen, Texten und Malereien auf Leinwand, Glas, der Wand, auf Skatebords ebenso wie auf T-Shirts, Autos, Motorrädern oder Plattencover entwickelt sie eine narrative Welt, deren Protagonisten, meist weiblich und nach ihrem Ebenbild gestaltet, in teils absurden und möglicherweise gefährlichen Situationen festgehalten scheinen. Die epitomhaften Figuren nutzt die Künstlerin stellvertretend als Instrumente, die dazu dienen, bestimmte Gefühle oder sozio-kulturelle Phänomene auszudrücken. Oft sind es verwirrte und hilfesuchende Charaktere, die nach Glück und Liebe, jedoch vor allem nach dem Sinn des Lebens suchen; manchmal spiegeln sie schauspielerische Präsentationsversuche oder Reaktionen auf bestimmte, alltägliche Situationen wieder. Die gemalten Szenerien werden von Atmosphären der Langeweile und Kontemplation, aber auch von den gegenteiligen Wünschen nach Geschwindigkeit und Gefahr bestimmt. Rita Ackermanns Werke forschen nach einem „common-self“, nach Etwas, was a priori fiktiv ist, aber jeden betreffen könnte. Sie verorten Vorstellungen nach persönlicher Erfüllung und Glück ebenso wie nostalgische Momente der Erinnerung oder utopisch anmutende, persönliche Zukunftsvisionen.
Tagtraumähnlich präsentiert sich Adriana Czernins (*1969 in Sofia, lebt in Wien) grossformatige Bleistift- und Buntstiftzeichnung. Eine Frauenfigur, das Porträt der Künstlerin selbst, verschmilzt mit ihrer ornamentalen, floralen Umgebung.
Das blütenartige Grundmotiv, dessen angedeutete Unendlichkeit durch die Rahmung den Rahmen begrenzt ist, findet sich in variierter Form und unterschiedlicher Farbnuance in der Kleidung. Figur und Umgebung fliessen in- und übereinander. Die räumliche Komposition bleibt diffus: Die Fläche ist vordergründig betont, an manchen Stellen jedoch wird die Raumtiefe suggeriert. Die Künstlerin führt den Betrachter auf den ersten Blick in ein florales Paradies, wobei unklar bleibt, ob der ästhetischen Inszenierung Glückseeligkeit oder Gefangensein zugrunde liegt: Sehen wir lediglich einen Ausschnitt aus einer feenhaften Welt in einem Garten Eden oder markiert dieser gleichsam ein räumliches, emotionelles und existentielles Limit?
In Martin Creeds (*1968 in Wakefield, lebt in London) Work n°320 wird Sehnsucht wörtlich zum Ausdruck gebracht: I don’t know what I want, so der Untertitel der Arbeit, ist ein von Creed gesungenes Lied.
Die Textzeilen «I don’t know what I see. I don’t know what I feel …» charakterisieren einen Seins-Zustand des Nicht-Wissens, ebenso wie des Noch-Nicht-Wissens. Sollen eine oder mehrere Handlungsmöglichkeiten ausgeführt werden oder keine davon? Der besungene existentielle Zustand beherbergt ein Unterbewusstes, in dem sich Raum für Neues bildet, das aber mit dem Vergangenen in Beziehung steht. Das Sehnen scheint nach allen Richtungen zugleich auszuschlagen. «Es wird ein ‹Suchen›, das hat und nicht hat, was es sucht (…).» Ernst Bloch unterscheidet zwischen dem Wünschen und dem Wollen: «Das Wünschen kann unentschlossen sein, trotz der bestimmten Zielvorstellung, auf die es hingespannt ist; das Wollen dagegen ist notwendig aktives Fortgehen zu diesem Ziel, geht nach aussen, hat sich mit lauter als wirklich gegebenen Dingen zu messen.» Das Wünschen ist verwandt mit dem Sehnen, das Wollen hingegen mit der Sucht. So wie in vorangegangenen Werken Creeds oszilliert auch in Work n° 320 das emotionale, paradoxe Pendel zwischen «Etwas» und «Nichts», wobei nicht nur die eigenen Grenzen als Kunstschaffender sondern auch jene der Kunst selbst zum Ausdruck kommen.
Dominique Gonzalez-Foerster (*1965 in Strasbourg, lebt in Paris) schreibt: «On Sunday afternoons ‹Ginza› — Tokyo’s famous avenue — is given over to the pedestrians and closed to automobiles. As a result, the atmosphere constantly changes, the asphalt is crossed in every direction, a music-like feeling slowly moves in, daily events take on a colourful aspect, and a subtle and transgressive choreography is set. This is the Moment Ginza›.» Die Künstlerin beschäftigt sich in erster Linie mit dem Raum und dessen Veränderung bei Intervention durch Menschen. In einem Crossover aller Medien — Gonzalez-Foerster thematisiert Raummomente sowohl in Filmen, Installationen als auch in der Ausgestaltung der Balenciaga Boutique in Paris — greift sie auf Atmosphären, Architekturen oder Strukturen zurück. Ihr Projekt Moment Ginza entstand als Ausstellung, zu der sie zahlreiche weitere KünstlerInnen einlud und bei dem es galt, die Momente der urbanen und individuellen Bewegung, des Kippens von einer Empfindung zur anderen und der Variation von Identitäten im alltäglichen Ablauf der pulsierenden Strasse Ginza aufzuzeigen. In dem Moment, als der Strassenverkehr zum Erliegen kommt, fängt die Sehnsucht zu kreisen an und die Menschen geben sich dem Flanieren, Sinnieren und den Tagträumen hin.
Die Künstler Sebastian Hammwöhner/ Dani Jakob/ Gabriel Vormstein (*1974 in Frechen/ *1973 in Freiburg / *1974 in Konstanz, leben in Berlin), die sich seit ihrem Kunststudium in Karlsruhe kennen, verbindet die inhaltliche, formale und strategische Auseinandersetzung mit der Geisteshaltung der Romantik.
In Einzelarbeiten oder auch in Werken, die sie gemeinsam konzipieren, greifen sie auf die Errungenschaften der Romantik zurück: Enthierarchisierung der Medien und Materialien, Einbeziehung literarischer, medizinischer, alchemistischer und kultureller Stoffe aus den verschiedensten Kulturkreisen oder Auseinandersetzung mit der Natur. Ihre Rauminstallationen lassen sich «formal als Assemblagen und inhaltlich als plastische Bilder begreifen, als Allegorien im Sinne von Bildern, die man angefangen von Hieronymus Bosch bis Caspar David Friedrich, und von sprachlichen Bildern wie etwa Dantes Göttlicher Komödie bis zu den Chants de Maldoror von Lautréamont wiederfindet.» Holzlatten, an denen die Zeitspuren sichtbar sind, freigelegte Baumwurzeln, angehäuftes Geäst, Gipsformationen, Lederteile aus alten Sofas oder Jacken, versponnene Drahtgeflechte finden ebenso Eingang in ihr Werk wie gebrochenes Brot, Heuballen oder grossformatige Eiformen, die vergangene Zeiten heraufbeschwören und vergessenes, geheimnisvolles Leben vermuten lassen. Magisch und ritualhaft, mystisch und kultisch, nostalgisch und sehnsuchstsgeladen präsentieren sich die bildgewordenen räumlichen Assemblagen und verstricken den Betrachter in eigenständige, private Rückschauen.
Eine Strategie der Erfüllung findet die Sehnsucht im Tagtraum. Philipp Gasser (*1958 in Chur, lebt in Basel) inszeniert in seinem Werk In der Nacht … eine lounge-artige Installation, die als Schnittstelle zum Tagtraum betrachtet werden kann.
Auf dem Rücken liegend, den Blick gegen einen computeranimierten Himmel gerichtet und vom synthetisch erzeugten Geräusche des Waldes umflutet, fühlt sich der Rezipient bald wie auf der psychoanalytischen Couch der Natur. Ihre Fiktivität erleichtert das Loslassen der Gedanken; eine Wolke braucht nicht mehr real, als potentieller Regenbringer und Temperaturdrossler, sondern kann lediglich als schöne Form betrachtet werden. Die Gedanken ziehen mit dem entspannten, von den visuell konnotierten Real-Inhalten befreiten Befinden auf und können die eine oder andere Wunschrichtung annehmen. Im Gegensatz zum opium-schweren Nachttraum, charakterisiert sich der Tagtraum schwärmerisch, leicht und schweifend. «Das Ich startet eine Fahrt ins Blaue, stellt sie ein, wann es will. So entspannt der Träumer hier auch sein mag, er wird von seinen Bildern nicht verschleppt und überwältigt, sie sind dazu nicht selbständig genug», so Bloch im Vergleich zwischen Tag- und Nachttraum und weiter folgernd: «die Welt wird dem begabten Haschischträumer ein Wunschkonzert.»
«Stoked» steht in grossen Lettern über die gesamte Bildbreite zu lesen, was für «Eins sein mit der Welle» steht. Hanspeter Hofmann (*1960 in Mitlödi, lebt in Basel) entwickelt seine Malereien aus einem Ausgangsalphabet von acht Holzschnitten, die 1993 entstanden. Einzelne Schlingen, Schlieren, Kreise Linienläufe, amöbenhaft anmutende Geflechte und organische, mikroskopisch betrachtete Gewächse, finden seit damals in übersetzter, überarbeiteter und variierter Form Eingang in ständig neue Kompositionen.
Seit 2002 appliziert Hofmann einerseits sloganartige, werbewirksame Wörter wie «Sex», «Hardcore» oder «Stoked» auf die Bilder, andererseits schwarze Vogelmotive aus Klebefolie, bunte, mit Glitzerelementen ausgestattete Papageienabziehbilder und in Airbrush Manier gefertigte Schlangenformen. Die Motive und Worte bringen Momente der Störung in die Bildwelt und eröffnen zusätzliche Assoziationsfelder auf der Rezeptions-Ebene. Die fluiden, breiten Pinselstriche, die mit Bläschen aufgeschlagenen Farbseen, die feinen Liniengeflechte — sie alle schaffen nunmehr eine Projektionsfläche für die emotional aufgeladenen Pop-Elemente und Stichworte des Alltags. Als Surfer und Maler sucht Hofmann perfekte Momente und ein solcher hat «die Sehnsucht nach Tod, Sex und Hardcore im Segel».
Jirí Kovanda (*1953 in Prag, lebt in Prag) zählt zu den wichtigsten Vertretern einer mittleren Künstlergeneration in Tschechien. Seine in den späten 70er Jahren des 20. Jh. entstandenen Aktionen sind in der westlichen Kunstgeschichtsschreibung nahezu unbekannt und eine diesbezügliche Korrektur längst überfällig.
«I am waiting for someone to call me …» bezeichnet eine Aktion, die Kovanda am 18. November 1976 durchgeführt hat. Die Beschreibung entspricht exakt der Handlung, wie das Foto Kovandas, der wartend vor einem Telefon sitzt, bezeugt. Nichts wird hinzugefügt, keine weitere, inhaltliche Ebene symbolisch angedeutet, keine Zeitdauer vorgeschrieben, die es einzuhalten gilt, es ist nicht mal ein Publikum anwesend, welches die künstlerische Aktion bezeugt. Jener introvertierten Aktion stehen zahlreiche weitere gegenüber, die im öffentlichen Raum durchgeführt wurden. «On an escalator … having turned around, I look into the eyes of the person standing behind me …», «I carry some water from the river in my cupped hands and release it a few meters downriver …» oder «I’m scratching hearts off the wall with my nails …» sind Aktionen unter Einbezug einer zufällig anwesenden Zuschauermenge. Diesen Handlungen gemeinsam ist eine subtile Fundamentalität des Erlebten bei gleichzeitiger Unauffälligkeit der Handlung. In Aktionen wie «I invited some friends to watch me trying to make friends with a girl» oder «I played a recording of Bob Dylan’s I Want You’ from a tape player to a group of listeners gathered around» wird die Öffentlichkeit hingegen bewusster einbezogen. Die Kunst Kovandas bewegt sich am Rande dessen, was noch als Kunst ausgemacht werden kann. «It was really perhaps nothing, perhaps something», meint der Künstler über einige seiner wenige Jahre später entstandenen Installationen; doch dieses Statement gilt ebenso für die Aktionen. Sie stehen dem eigentlichen Sinne des Kunst-Machens entgegen. Es entsteht kein Objekt und selbst jene Aktionen, in denen kurzfristig etwas entsteht, sind von ephemerem Charakter. Kovandas «Widerwille gegenüber grossen Gesten» wird in den Aktionen ebenso spürbar, wie die inhärente Sehnsucht im Kleinen bzw. in der minimalen Geste etwas Ausdrücken und Bewirken zu können.
Den Rückzug auf die einsame Insel und das damit verwobene Gedankengebäude thematisiert Reto Leibundgut (*1966 in Büren zum Hof, lebt in Thun) in seiner neuen Installation.
Ein kleiner Tempel — vergleichbar den Lusttempeln des 19. Jh. — thront inmitten der aus Holzpaletten gezimmerten Insellandschaft. Ein Boot aus Leder liegt bei der Insel vor Anker. Unklar bleibt, ob es eben angekommen, immer schon hier war oder sich auf seine Abreise vorbereitet. Die Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden ist die Triebfeder des Reisens. Der Künstler setzt diese auf einer emotional-geistigen Ebene in Gang. Die einzelnen Installationselemente Boot, Insel, Tempel evozieren zahlreiche, individuell gefärbte Wunschvorstellungen und sowohl der Flüchtende als auch der Reisende erkennt in der abgeschiedenen Insel seinen zumindest temporären Platz. In einer zweiten Lese-Ebene sticht eine sexuelle Komponente der Installation hervor: Das Boot erinnert formal betrachtet an eine Vulva; der Tempel könnte als Ort eines Liebesgeschehens interpretiert werden. Reto Leibundgut spielt mit Ambivalenzen, lädt eine geistig projizierte Insel mit Sexualität auf und lässt uns schliesslich unsere eigenen Lust- und Spielprinzipien finden, in dem was wir selbst sehen wollen.
Claudia & Julia Müller
In Boris Ondreickas (*1969 in Zlaté Moravce, lebt in Bratislava) Installation Lyrics impossible to write down or learn to wird die Musik als Erinnerungsträger eingesetzt.
Ein gesummtes Lied, das in einem bestimmten Kulturkreis, einer bestimmten Zeitperiode oder innerhalb eines individuellen Lebensabschnittes eine besondere Bedeutung erlangt hat, kann starke Erinnerungen auslösen. Werden einzelne Textelemente vergessen, erfindet der Singende, sich an die Melodie erinnernd, kurzerhand selbst hinzu, was als Fehlstelle bemerkt wird. Derart entsteht ein bekanntes Unbekanntes in einem Gemisch aus Originalsprache des Liedes und der Muttersprache des Singenden. Ondreicka, der mit oft kleinen Eingriffen innerhalb vorhandener Systeme agiert, sein bildnerisches Werk mit Literatur und Musik vereint und die Präsenz der Realität in den Medien untersucht, hinterfragt auch die Rolle der Kunst und ihrer kritischen und politischen Fähigkeit.
Motohiko Odanis (*1972 in Kyoto, lebt in Tokio) Video Rompers, 2003, verführt den Betrachter in eine unangenehm attraktive Fiktion, welche das historische Arkadien und den Garten Eden in ein zukünftiges Jahrhundert übersetzt.
Ein junges Mädchen mit von Beeren-Gummis zusammengehalten langen Zöpfen, sitzt unschuldig anmutend auf einem Baum und summt eine fröhliche, einlullende Melodie. Schnell breitet sich ein Gefühl der Behaglichkeit aus und Erinnerungen an die Kindheit erwachen, bis auf den zweiten Blick die Alice in Wonderland-artige Welt durch ihre mutierten Protagonisten in ihrer Idylle zusammenbricht. Das Mädchen blickt mit ihren gelben Augen fröhlich umher und streckt immer wieder ihre lange, reptilienartige Zunge aus, um Fliegen zu fangen. Ihre Augenbrauen erinnern an Schlangenhaut und auch die baumelnden Zehen scheinen einer anderen Spezies anzugehören. Hautfarbige Frösche mit menschlichen Ohren am Rücken springen um einen giftgrünen Pudel und erinnern nur allzu klar an jüngste, wissenschaftliche Laborerrungenschaften, in denen menschliche Organe an Nagetieren nachgezüchtet wurden. Das Leben im Wunderlande zeigt sich in seiner vollen Perfidie. Odanis wiederkehrendes Thema der Transformation, welches er in zahlreichen Skulpturen aufgegriffen hat, findet im Rompers einen visionären Höhepunkt.
Simon Peritons (*1964 in Kent, lebt in London) Scherenschnitte entspringen der Idee jener a priori nutzlosen Tischdeckchen, Geschirr- oder Kuchenunterlagen, deren einziger Zweck die Ornamentierung des auf ihm Platzierten ist.
Im Schmücken und Dekorieren ist der Wunsch nach Veränderung, nach Hervorkehrung des Anderen und des Sich-Schöner-Machens enthalten. An schönen Hüllen, Gebärden und Dingen zieht aber nur an, was im eigenen Wünschen schon lange lebt, schreibt Bloch und auch das Tischdeckchen ist ein Objekt jener Sehnsucht, welche die Veränderung und das Andere sucht. Simon Periton untersucht jene interferenzielle Bruchstelle, die sich zwischen ästhetischer Dekoration und nutzfreier Funktion ergibt. Im Diptychon Stranglehold werden die ornamentalen Verwicklungen der Regenwaldlianen zum lebensbedrohenden Fangnetz: Einmal darin verfangen, schnappt der Würgegriff zu. Die geringfügig von der Wand abstehende Papierarbeit, ihre fragile Materialität — ein Hauch von Nichts mit grosser Verführungskraft — funktioniert als reales Fangnetz für den Blick des Betrachters. Ebenso wie Strangelhold intrigiert auch Portal, eine rahmenartige, an viktorianische Spiegeldekorationen erinnernde Arbeit, mit dem oberflächlichen Dekor: Der Blick in den vermeintlichen Spiegel zeigt weder das reflektierte Bild noch etwas darin Gerahmtes. Die dem Betrachter entgegenschlagende Leere erinnert an Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray und den Pakt um die ewige Jugend. Der papierne, ornamentale Rahmen wird zum Vanitassymbol und führt uns in seiner Perfidität die eigene Vergänglichkeit vor Augen.
In Schablonenzeichnungen, Zeichnungen auf Papier und direkt auf der Wand kreiert Peter Pommerer (*1968 in Stuttgart, lebt in Stuttgart und Wien) kleinteilige Universen, die von erfundenen Kreaturen, Tieren, Ornamenten, Pflanzen und allerlei Objekten durchdrungen sind.
Wir alle kennen das beiläufige Zeichnen, beispielsweise auf Telefonzetteln oder Konferenzunterlagen, in dem sich die Sehnsucht bemerkbar macht, die still und leise die Aufmerksamkeit der zielgerichteten Welt durchbricht und sie ablenkt. Pommerers Universum basiert auf jenem, dem homo ludens imanenten, Spieltrieb, der seit den Anfängen unserer Existenz unser Wesen mitbestimmt. Im direkten Zeichnen auf die Wand liegt etwas elterlich Verbotenes. Pommerer hat dies längst überwunden und in die Kunst überführt. Neidvoll sieht der Betrachter die gefüllten Flächen, die vielen Geschichten, die sich zusammenreimen liessen, die märchenartigen Kreaturen und die Kraft der Einbildung findet im Detail, in der Miniatur die grosse Fülle einer noch zu erobernden Welt oder wie dies Gaston Bachelard formuliert: «Die Miniatur ist eine metaphysische Ausgleichsübung, sie gestattet uns, mit geringem Risiko weltschöpferisch zu sein.» Der Einsatz von Wandtapeten schafft für Pommerers Enzyklopädie an Formen und Wesen eine neue Grundlage, einen vorgeprägten Ort und Raum für das darauf Entstehende. Jeder Winkel, jede noch so abwegige Raumszenerie präsentiert sich, gefüllt mit Imaginationsbildern und Ornamenten, von einer bis anhin ungeahnten Seite.
Den Garten Eden im Kleinformat, bestehend aus dem, was normalerweise übergangen oder sogar mit Füssen getreten wird, entdeckt Hugues Reip (*1964 in Cannes, lebt in Paris).
Seine Installation Eden basiert auf Blüten, Pflanzen, Knospen und Zapfenüberreste aus der südfranzösischen Region, die sich allesamt am Boden, zwischen den Pflastersteinen, auf Gehwegen oder am Rande von Boccia-Bahnen finden lassen. Der Künstler führt eine Alice in Wonderland-artige Übersetzung ins Grossformatige durch und dort, wo es noch den aufmerksamen Blick nach unten und ein geistiges Sich-Hineinziehenlassen braucht, stehen wir jetzt Seite an Seite mit den im Raum platzierten Pflanzen. Die Sehnsucht äussert sich in Reips Werk über den Imaginationsprozess: Im Kleinformatigen verdichtet sich, wie dies Gaston Bachelard darlegt, die Kraft der Einbildung und diese vermag es, das Blütengebäude beispielsweise in ein florales Schloss zu verwandeln. Der Künstler überträgt demnach auch nicht die Blüte, sondern das imaginierte Schloss bzw. nicht nur die Form des Gefundenen, sondern seine mit dem ursprünglichen Kleinformat verbundene psychologische Aufladung ins Grossformat. «Das Grosse kommt aus dem Kleinen, nicht durch das logische Gesetz einer Dialektik der Gegensätze, sondern dank der Befreiung von allen Verpflichtungen der Dimension, und diese Befreiung ist das charakteristische Merkmal der Phantasietätigkeit.» Wie in manchen seiner früheren Werke richtet Reip den Blick auf das, was die Alltäglichkeit übersteigt. In Eden trifft der träumerische, sehnsüchtige Blick auf die pflanzliche Miniatur, auf die sich darin verdichtete Phantasiewelt, welche sich schlussendlich mit der Vorstellung einer paradiesischen Natur verbindet.
In Allegories of Beauty (Incomplete), einer S/W-Fotoserie die Sam Samore (*1963 in den USA, lebt in New York) Anfang der 90er Jahre begann, verschwimmt die Grenze zwischen Kunst, Mode- und Werbefotografie.
Samore verfolgt drei verschiedene Arbeitsweisen: Er benutzt entweder eine bereits vorhandene Fotografie aus seinem Bild-Repertoire, oder inszeniert ein Bild von Grund auf neu oder er fügt collageartig verschiedene Gesichter nahtlos aneinander. Für Samore sind die einzelnen Techniken gleichwertig, einzig das Resultat zählt. Ein kurzer Blick nach unten — möglicherweise nach einem flirtenden Augenkontakt oder einfach nur um den eigenen Gedanken nachzuhängen; eine Handbewegung, die das Haar zurückstreicht, welches es zu ordnen gilt oder eine Zwischengeste der Verlegenheit, sind Momente, die Samore in der Bildserie festhält. Dabei tritt die gestylte, oberflächliche Schönheit der aus der Modewelt kommenden Menschen und der Glanz und Glamour hinter dem sehnsuchtsgeladenen, privaten Moment einer ambivalenten, genuin emotionalen Berührung zurück.
Glen Rubsamen (*1957 in Los Angeles, lebt in New York und Köln) malt in nahezu obsessiver Weise Bilder von Sonnenauf- und untergängen. Sein himmelwärts gerichteter Blick verzichtet auf menschliche Darstellungen und fokussiert vielmehr auf Naturelemente, wie Felsformationen, Baumwipfel aller Arten, gepaart mit urbanen Details wie Dachformationen, Brücken, elektrischen Leitungen und Strassenlampen.
Seine hyperrealistische Malerei erinnert an Gegenlicht-Fotografien, auf welchen die Elemente im Vordergrund als schwarze Silhouetten erscheinen. Kaum ein anderes Motiv ist so stark mit dem Begriff der Sehnsucht konnotiert wie der Sonnenuntergang bzw. –aufgang. In ihm finden sich Emotionen der eigenen existentiellen Kleinheit vor der Grösse der Welt, welche die Sonne als Licht der Welt verkörpert. Ihr Auf- und Untergang steht metaphorisch für die Geburt und den Tod, den Zyklus allen Lebens. Dem Motiv inhärent ist auch die Verbindung zum Kitsch. «In jedem Menschen steckt darum Kitsch, weil Kitsch der kürzeste Weg zur Versöhnung mit den Lebensumständen zu sein scheint, und warum soll man nicht den einfachsten Weg einschlagen?», fragt der Philosoph Burghart Schmidt und gibt damit einen Hinweis zur Begründung des Sehnsuchtsgefühl beim Betrachten des erwähnten Naturphänomens. In den Gemälden Rubsamens wird das lyrisch Schöne und das romantische Ideal einer unberührten Natur ambivalent.
Andro Wekuas (*1977 in Sochumi/Georgien, lebt in Zürich) erster Film Sicut Lilium Inter Spinas (like a lily in the back) ist ebenso wie sein bildnerisches Werk von privaten Erinnerungsmomenten durchzogen, welche sich im Gegenwartsbezug seiner manifestieren.
Das Haus am Meer, eine Hochzeitsfeier, ein Trauerzug, Landschaft … viele Augenblicke, die anhand der einzelnen Bilder wahrscheinlich nur den Künstler selbst an Georgien, sein Heimatland erinnern, mischen sich Szene um Szene aneinander. Filmfootages aus dem Privatbesitz, gemixt mit weiteren, gefundenen gefilmten Ausschnitten, die allesamt in — mit Vergangenheit konnotiertem — S/W Bildern wiedergegeben sind, erzeugen gemeinsam mit der experimentellen Musik eine Seelenfahrt durch Erlebtes. Die gewaltsamen Ereignisse im Georgischen Bürgerkrieg, zwangen Wekua zur Flucht. In verschiedenen Referenzen tauchen diese Erlebnisse immer wieder in seinen Bildwelten auf, gepaart mit der «Sehnsucht nach einem Ort, an dem jeder sein möchte.»