Das Mögliche ist ungeheuer

Werke im öffentlichen Raum

17.9. —
20.9.2020

YaelBartana
Yael Bartana, We shall be strong in our weakness, 2012. Neonschrift, 50 x 190 cm. Courtesy Sommer Contemporary Art, Tel Aviv / Zurich
Latifa Echakhch
Latifa Echakhch, The Fall, 2020, Grundierte Theaterleinwand, Farbe, Stahlrohr und Bänder, je 1 x 1 m, Courtesy: Latifah Echakhch, kamel mennour, Paris / London; kaufmann repetto, Mailand / New York; Metro Pictures, New York; Dvir Gallery, Tel Aviv / Brussels
LatifaE
Latifa Echakhch, The Fall, 2020, Grundierte Theaterleinwand, Farbe, Stahlrohr und Bänder, je 1 x 1 m, Courtesy: Latifah Echakhch, kamel mennour, Paris / London; kaufmann repetto, Mailand / New York; Metro Pictures, New York; Dvir Gallery, Tel Aviv / Brussels
Teresa Margolles
Teresa Margolles, Mesa y dos bancos, 2013 (Hergestellt aus einer Mischung aus Zement und vom Boden aufgehobenem Material, auf dem der Körper einer an der nordmexikanischen Grenze ermordeten Person lag. Tisch: 85.0 x 80.0 x 200.0 cm; Bänke: je 50 x 45 x 140 cm) Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst
AugustasSerapinas
Augustas Serapinas, Standtune for the square, 2020. Holz, 450,5 x 1300 x 400 cm. Courtesy Augustas Serapinas und Emalin, London. Foto: Damaris Thalmann
Eric Baudelaire
Eric Baudelaire, Where are you going? 2018 und fortlaufend. Korrespondenz, 53 Briefe (Stand Juli 2020), Poster, Format F4, 8.95 x 12.80 cm. Courtesy Eric Baudelaire und Galerie Barbara Wien, Berlin.
JudithKakon
Judith Kakon Commons (1/4-4/4), 2019 Bronze 60 × 80 cm Foto: Damaris Thalmann
MarianaCastilloDeball
Mariana Castillo Deball, You have time to show yourself before other eyes, 2014. Installationsansicht: Hieroglyph Storage, 2014; Jaguar Storage, 2014; Papantla Storage, 2014. Metallische Strukturen, Gips. Courtesy die Künstlerin und Kurimanzutto, Mexiko. Foto: Damaris Thalmann
YaelBartana
Yael Bartana, The Undertaker, 2019, one channel video and sound installation, 13 minutes, courtesy of Sommer Contemporary Art, Tel Aviv; Annet Gelink Gallery, Amsterdam, and Petzel Gallery, New York
Krzysztof Wodiczko
Krzysztof Wodiczko, Sans-Papiers/Kunstmuseum Basel Projection, 2006. 1-channel-video; A: video, sound; 4 hours.; B: Video, DVD, sound; camera: Fabrizio Fracassi. Courtesy Kunstmuseum Basel. Foto: Damaris Thalmann
Marinella Senatore
Marinella Senatore, Protest Forms: Memory and Celebration, 2020, Kunstmuseum Basel Fries
Bottari 1999-2019, 2019. (Schiffscontainer, persönliche Gegenstände der Künstlerin, 2,59 x 6,06 x 2,44 m, 2,857 kg.) Courtesy Kimsooja und KEWENIG, Berlin, Palma, Foto: Damaris Thalmann
Bottari 1999-2019, 2019. (Schiffscontainer, persönliche Gegenstände der Künstlerin, 2,59 x 6,06 x 2,44 m, 2,857 kg.) Courtesy Kimsooja und KEWENIG, Berlin, Palma, Foto: Damaris Thalmann

Im Rahmen der Kunsttage Basel bespielt das Sonderprojekt Das Mögliche ist ungeheuer öffentliche Räume und frei zugängliche Bereiche ausgewählter Institutionen mit Werken lokaler, nationaler und internationaler Künstler*innen unterschiedlicher Generationen.

Das kuratorische Konzept möchte die Erfahrung von Öffentlichkeit in Krisenzeiten anregen und sie als gemeinsam geteilten gesellschaftlichen Raum erfahrbar machen. Die Pandemie hat die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert, Unsicherheit geschürt und existentielle Schwierigkeiten aufgeworfen. Sie hat auch Sorgen um Sinn und notwendige Neuorientierung ans Licht gebracht. Die Erfahrung des öffentlichen Raumes, die Beziehung zum Anderen, das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl wird tiefer reflektiert. Die Sprachen der Kunst selbst werden auf den Prüfstand gestellt, künstlerische Praxen auf Fragen der Relevanz, der Rekalibrierung gesellschaftlicher Prioritäten, von wie auch veränderter Schwellen und Barrieren hin überprüft. Das Projekt ermöglicht es den Betrachterinnen und Betrachtern, die Materialität und Körperlichkeit der Kunst zu erforschen, ihr transformatives Potenzial zu verhandeln und entsprechende Formen der Reflexion und Partizipation vorzuschlagen.


Kuratiert wurde das Projekt als interinstitutionelle Zusammenarbeit gemeinsam von Elena Filipovic (Kunsthalle Basel), Ines Goldbach (Kunsthaus Baselland), Daniel Kurjaković (Kunstmuseum Basel) und Samuel Leuenberger (SALTS). Grosszügig unterstützt durch den Swisslos-Fonds Basel-Stadt, den Swisslos-Fonds Basel-Landschaft und organisatorisch durch die Art Basel.

kunsttagebasel.ch


Teilnehmende Künstler*innen:

Yael Bartana, Eric Baudelaire, Mariana Castillo Deball, Latifa Echakhch, Judith Kakon, Kimsooja, Teresa Margolles, Marinella Senatore, Augustas Serapinas, Hannah Weinberger, Krzysztof Wodiczko.


Mit ihren vielschichtigen Arbeiten und einem sehr politischen Werk verhandelt die Multimediakünstlerin Yael Bartana Fragen nach kultureller Identität und vorherrschenden Machtstrukturen. Sprache, Rituale, jüdische und nichtjüdische Denkmuster, der Kampf um Identität in ihrer Heimat Israel – durchgehend ein brisantes Thema –, aber auch fiktive Momente in real existierenden geschichtlichen Situationen sind hierbei zentral. Für die Kunsttage Basel präsentiert Bartana zwei Werke aus unterschiedlichen Phasen, die ihr komplexes, poetisch-gesellschaftskritisches Werk innerhalb des räumlichen Settings anschaulich reflektieren und zugleich eine wichtige und notwendige Diskussion über die aktuelle (Welt-)Situation und unser Miteinander ermöglichen. Yael Bartana (*1970, Kfar Yehezkel). Lebt und arbeitet in Amsterdam, Berlin und Zürich

Der Filmemacher und Künstler Eric Baudelaire diskutiert brandaktuelle Themen der Gegenwart wie die Umverteilung von Macht, die Klimakrise oder die Debatte um den Brexit. Baudelaire entschied sich, nach dem Referendum Briefe an die Mitglieder des englischen Parlamentes mit der Frage “You are leaving Europe, but where are you going?” zu schreiben. Die Antworten sind als grossräumige Installation mit über 50 Briefen auf dem Aeschenplatz ausgestellt. Die Briefe bündeln die Stimmen, die Menschlichkeit und teilweise absurden Gedanken, die hinter dem komplexen politischen Konstrukt des Referendums stecken. Es sind historische Momentaufnahmen, die Zweifel und Hoffnungen über den Austritt aus der EU zeigen und dabei letztlich auch in gewisser Weise über Demokratie und nationale Identität sprechen. Eric Baudelaire (*1973, Salt Lake City). Lebt und arbeitet in Brüssel

Mariana Castillo Deball diskutiert in ihrem Werk eingehend die Verbindung von Kunst, Forschung, Philosophie, Archäologie, Ethnografie und Architektur. Ausgehend von Fragen der Wissensaneignung über Ausgrabungen, den hierfür verwendeten Instrumenten sowie Reproduktionen, waren es gerade europäische Archäologen des 19. Jahrhunderts, die mittels Zeichnungen, Fotografien, Gips- und Pappmaschee-Abgüssen kulturelle Stätten dokumentierten; zugleich schufen sie eine Art Parallelarchiv, das Eingang in zahlreiche europäische Sammlungen fand. Deballs Werk stellt Vergessenes in neue Zusammenhänge und lässt zugleich neue Bilder sowie alternative Lesarten von heute aus entstehen. Mariana Castillo Deball (*1975, Mexiko-Stadt). Lebt und arbeitet in Mexiko-Stadt und Berlin.

Die multimedial arbeitende Künstlerin Latifa Echakhch ist für ihre ortsspezifischen Installationen bekannt, die in Bezug zu dem jeweiligen Ausstellungsort, seiner Architektur und lokalen Verwurzelung entstehen. In ihren monumentalen Objekten verbindet sie unterschiedliche Materialien wie Stoffbahnen, Tinte, Garn, Fotografien oder Bücher. Äusserlich erinnern diese durch ihre Formensprache an Konkrete Kunst oder den Surrealismus. Durch die Verbindung der unterschiedlichen Materialen erhalten die Objekte etwas Narratives und konfrontieren den Betrachter mit dem komplexen plastischen Vokabular der Künstlerin. Seit 2007 wurden ihre Werke sowohl in Frankreich als auch international gezeigt. Latifa Echakhch (*1974, El Khnasna). Lebt und arbeitet in Vevey und Martigny.

Die genaue Beobachtung der urbanen Umwelt und der Strategien, wie sie in hier vorhandenen Alltagselementen eingeschrieben sind, bildet oft den Ursprung für Werke von Judith Kakon. Die vier Bronzeskulpturen mit dem Titel Commons sind da keine Ausnahme. Sie interpretieren eine Fächer-Form aus Stahl, auf welche Kakon in Lyon stiess, wo sie in Hüfthöhe an Häuserecken montiert vor öffentlichem Urinieren abschrecken sollen. Kakon modifizierte mittels einem der edelsten Materialien der Skulptur diese fast rätselhafte Form und generierte dadurch eine absichtsvolle semantische und geografische Verschiebung, welche Fragen aufwirft, wie und für wen öffentlicher Raum reguliert wird und wem er eigentlich gehört. Judith Kakon (*1988, Basel). Lebt und arbeitet in Basel.

In Kimsoojas Videos, Performances, Skulpturen und Installationen werden alltägliche Momente und Objekte vom Leben der Künstlerin zu Werkzeugen der Untersuchung der vielfältigen, aber gemeinsamen Erfahrungen der Menschheit. „Bottari 1999-2019“ (2019) ist eine Weiterführung von Kimsoojas bekanntem Konzept von „bottari“, den aus traditionellen koreanischen Bettbezügen gebundenen Bündeln, in denen die wichtigsten Dinge gepackt werden, wenn ein Heimatort zurückgelassen werden muss. Der über sechs Meter lange Schiffscontainer ist mit persönlichen Gegenständen aus dem Haushalt der Künstlerin in New York gefüllt, wo sie die letzten zwanzig Jahre gelebt hat. In den leuchtenden Farben des traditionellen koreanischen Obangsaek-Spektrums, verweist der Container nicht nur auf Kimsoojas Leben als nomadische Künstlerin, sondern auch auf die Freiheit der Mobilität und der Wahl des eigenen Landes. Kimsooja (*1957, Daegu). Lebt und arbeitet in Seoul.

Im Werk der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles sind Themen wie Tod, Gewalt und soziale Ausgrenzung seit Jahrzehnten zentral und reflektieren die von ihr er- und gelebte Gegenwart in Mexiko-Stadt. Seit den 90er-Jahren engagiert sich die Künstlerin etwa in der städtischen gerichtsmedizinischen Abteilung, wo sie beinahe täglich mit der Einlieferung anonymer Opfer von Gewaltverbrechen konfrontiert wird. Vor diesem prekären gesellschaftlichen Hintergrund entwickelt Margolles ihre Arbeiten, die mit minimalen Gesten ein Maximum an thematischem Gehalt besitzen. Tisch und Bank der hier gezeigten Arbeit erinnern zunächst an eine gewöhnliche Stadtmöblierung; allein der eingelassene Text und das Wissen um das verwendete Material, das dem Beton beigemischt wurde – es wurde im Umkreis eines Leichenfunds nahe der nördlichen mexikanischen Grenze gesammelt –, machen die Brisanz und Direktheit des Werks verständlich. Teresa Margolles (*1963, Culiacán). Lebt und arbeitet in Mexiko-Stadt.

Marinella Senatore ist eine multidisziplinäre Künstlerin, deren Arbeit sich durch eine starke, auf direkte Teilnahme ausgerichtete Dimension und einen ständigen Dialog zwischen Geschichte, Populärkultur und sozialen Strukturen auszeichnet. Sie zeigt neben einer Text-Arbeit auf dem LED-Fries des Kunstmuseum Basel | Neubau eine Performance der Tänzerin und Choreografin Paola Lattanzi. Die Performance stellt auf radikale Weise den Körper in den Mittelpunkt und ist an der Tradition der Bewegungs- und Tanzpraktiken des Butoh orientiert, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts in Japan entstanden. Die Praxis von Senatore, die einige Elemente aus Aktivismus, Feminismus und politischem Engagement entlehnt, ist nicht auf solche Konzepte begrenzt. Ihre Arbeit spricht ein universelles Publikum an, denn ihre Untersuchungsfelder sind „die Emotionen, die jeder, niemand ausgeschlossen, im Leben fühlt und gefühlt hat.“ Marinella Senatore (*1977, Salerno). Lebt und arbeitet in Rom und Paris.

Der gebürtige Litauer Augustas Serapinas ist ein Künstler, der mit Neugier und Kontext arbeitet, ortsspezifische Installationen entwirft und reiche menschliche Geschichten aufdeckt, die oft unsichtbar sind. Seine Arbeit entsteht aus Empathie und einem offenem Gespräch und Engagement mit einer Recherche, die vor Ort, durch Gespräche mit lokalen Akteuren entsteht. Der Künstler sucht oft versteckte Orte und Zugänge, physisch wie metaphorisch, um die verborgenen Strukturen unseres sozialen Verhaltens zu visualisieren. Für Das Mögliche ist ungeheuerentwickelt der Künstler mit schwedischen Handwerkern eine 20 Meter lange und vier Meter hohe Skulptur aus Holz, die sich an traditionellen Verteidigungsmauern und militärischen Abgrenzungsobjekten inspiriert. Augustas Serapinas (*1990, Vilnius). Lebt und arbeitet in Vilnius

we didn’t want to leave. live’ von Hannah Weinberger wird als Web-Erlebnis umgesetzt, das jedem, der ein Smartphone besitzt, eine virtuelle Audioerfahrung bietet, welche der Besucher durch den digitalen Schrittzähler des Handys aktiviert. Betritt man das Webportal über einen bestimmten QR-Code trägt man zum Puls (rhythmische Schicht) der Komposition bei. Die Installation wird durch jeden neuen Besucher registriert, indem sie eine Live-Zuspielung orchestriert, die sowohl Schwingungen an jeden Zuhörer auf der ganzen Welt als auch untereinander überträgt: ein übergreifender Austausch über Zeitzonen hinweg, eine Ouvertüre für unsere Zeit, die von einer Vielzahl von Akteuren komponiert wurde und für alle hörbar ist. Das Projekt entstand in Kooperation mit dem Institut Kunst der HGK FHNW. Hannah Weinberger (*1988, Filderstadt ). Lebt und arbeitet in Basel

Krzysztof Wodiczko ist ein polnischer Künstler, der für seine großformatigen Dia- und Videoprojektionen auf architektonischen Fassaden und Denkmälern bekannt ist. In der Projektion „Sans-Papiers/Kunstmuseum Basel Projection“ gibt der Künstler illegalen Einwanderern der Schweiz, die auf Französisch als „Sans Papiers“ bekannt sind, eine Stimme. In der Grauzone lebend und meist unsichtbar, wurden sie nun im Herzen des öffentlichen Raums der Stadt sichtbar gemacht. Das bewegte Bild, das auf den oberen Teil der rückseitigen Gebäudefassade des Kunstmuseum Basel | Hauptbau projiziert wird, erweckt den Eindruck, als säßen vier Immigranten auf dem Dach, wo sie sich miteinander unterhalten und manchmal ein wenig in ihrer Muttersprache singen. Der Betrachter kann nur ihre Beine vom Dach des Museums baumeln sehen und gestikulierende Hände, während die Gesichter und Figuren unsichtbar blieben. In einem Gelegenheitsgespräch sprechen zwei Männer und zwei Frauen über ihr Leben und ihre Erfahrungen als illegale Einwanderer. Von insgesamt sechs Stunden Filmmaterial wählte der Künstler eine siebenminütige Aufnahme aus, die als Schleife präsentiert wird. Die Arbeit wurde im Rahmen der Ausstellung Flashback. Revisiting the Art of the 1980s im Kunstmuseum Basel gezeigt und mit Unterstützung von Sans-Papiers, einer Organisation, die mit illegalen Einwanderern zusammenarbeitet, realisiert. Krzysztof Wodiczko (*1943, Warschau). Lebt und arbeitet in New York City, Cambridge, Massachusetts, und Warschau

Kurator*in: Elena Filipovic (Kunsthalle Basel), Ines Goldbach (Kunsthaus Baselland), Daniel Kurjaković (Kunstmuseum Basel) und Samuel Leuenberger (SALTS)