Björn Braun

Einzelausstellung

17.5. —
7.7.2019

Björn Braun (*1979, Berlin, lebt und arbeitet in Berlin) beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, inwiefern allein der Künstler respektive die Künstlerin den Werkprozess kontrolliert und vollendet und welche Möglichkeiten der Transformation zur Verfügung stehen. Zugunsten von Zufall, dem Unkontrollierten sowie dem Ansatz, mit der Natur in einen poetisch-kreativen Dialog zu treten, schafft Braun raumgreifende Objekte und Installationen, Collagen und auch Videoarbeiten, die diese offene Haltung widerspiegeln. Dabei greift er auf Materialien wie industriell hergestellte Stoffe ebenso zurück wie auf solche, die er in der Natur findet oder die durch dieselbe generiert werden. Gerade die Wandelbarkeit von Rohem in eine neuartige, poetische, bisweilen rätselhafte und auch humorvolle Form, welche zugleich Fragen nach der Wahrheit in der Werkfindung stellt, sind Themen, die den Künstler nachhaltig beschäftigen. Es ist die erste Einzelausstellung von Björn Braun in der Schweiz.

Skulpturale Auslegeordnungen
Björn Braun im Gespräch mit Ines Goldbach

IG: Ich möchte unser Gespräch gerne mit zwei Themen beginnen, dem der Fehlstelle und der Umkehrung. Lass uns dafür einen Blick zunächst auf deine Collagen richten, die du über einige Jahre hinweg kontinuierlich immer wieder realisiert hast und die wir hier in der Ausstellung in einer grossen Auslage zeigen. Meist sind es Schwarz-Weiss-Aufnahmen aus den 1950er- und 1960er-Jahren, die Stadt- oder Naturräume zeigen. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, wie du in diese Darstellungen eingegriffen hast – das, was an wenigen Stellen fehlt, wurde an anderen hinzugefügt. Subtil-irritierend, poetisch, aber auch humorvoll werden Stadtansichten umgebaut, Bäume zu Wegen, Äste zu Leitern — ist das eine Möglichkeit, im Kleinen gross und sehr frei gestalterisch wirken zu können, ohne dafür viel Material in Bewegung setzen zu müssen?

BB: Ja, das stimmt. Ich habe die Collagen vor ein paar Jahren unter anderem auch deswegen angefangen, weil ich nicht so viel Geld hatte, aber trotzdem bildhauerisch arbeiten wollte. Meine ursprüngliche Idee war, «Skizzen» anzufertigen oder auch eine Art von Plänen für sehr grosse Skulpturen. Die Collagen gaben mir die Möglichkeit, mit wenig Geld und zugleich einem überschaubaren Zeitaufwand zu prüfen, ob meine Ideen dem Raum standhalten. Im Verlauf der Arbeit wurden dieser Gedanke und dieses Überprüfen immer nebensächlicher, und es hat sich eine eigenständige Arbeit daraus entwickelt.

IG: Zentral für dein Arbeiten ist das Verhältnis oder vielleicht eher das Miteinander und Zusammenwirken von Natur und Zivilisation. Greift das auch hier bei den Collagen mit hinein?

BB: Ich denke schon, ja. Ich versuche aber trotzdem auch immer wieder offen zu sein, wenn ich ein Foto finde, das mich inhaltlich und formal interessiert, und eben genau darauf zu reagieren; auch wenn es vielleicht in eine ganz andere Richtung weist.

IG: Auf eine Fotografie mit Schere und Messer «loszugehen», kann auch etwas Destruktives haben — dennoch aber büssen deine Collagen nie an Poesie ein. Wie ist es bei den grossformatigen Arbeiten wie Italien rostiger Regen. Ein Werk, das zunächst vom Titel ebenso sehr poetisch klingt, für das du auch eher den Verlust von etwas in Kauf nimmst, um etwas Neues zu realisieren. Kannst du ein bisschen mehr zu dieser Werkserie sagen in Bezug auf die Machart, aber auch die Zweiteiligkeit?

BB: Die Idee für die Werkserie kam mir eigentlich beim Lesen eines Buches, in dem Landschaften sehr detailliert und fast etwas penibel beschrieben wurden. Ich habe anschliessend dieses Buch zerschreddert, zu einer Masse verarbeitet, auf einen Träger gebracht und auf einen Keilrahmen gespannt, mit der Vorstellung, das all jene detaillierten Landschaftsbeschreibungen als Information auf dem Bildträger nach wie vor sein müssten – nun aber nicht mehr in einer linearen Beschreibung, sondern einer Art Gleichzeitigkeit. Aber irgendwie sahen sie mir dennoch zu wenig nach einer Landschaft aus. Daher habe ich mich entschieden, zwei zerschredderte Bücher auf einem Träger – getrennt voneinander – zusammenzubringen. Der untere Teil besteht aus einem Buch mit einem Titel, der mit der Erde zu tun hat, und der obere mit einem Titel, der sich auf den Himmel bezieht. Im Moment des Aufeinandertreffens der beiden «Bücher» bildet sich eine Horizontlinie ab. Ich habe daraus eine Serie entwickelt. Je nach Grösse und Dicke der Bücher verschieben sich dieser Horizont und das Format des Bildes. Die Einfärbung und Haptik der einzelnen Bilderhälften resultiert aus der jeweiligen Farbe oder Tonigkeit des Bucheinbands oder des Alters und Zustands des jeweiligen Buches.

IG: Wenngleich dieses Serie zunächst an klassische Tafelbilder erinnert, besitzen sie durch ihre grobe Oberfläche eine hohe skulpturale Qualität. Siehst du das auch so?

BB: Unbedingt. Die Oberflächen und Materialien interessieren mich sehr dabei – und eben auch die dadurch zustande kommende Haptik. Bei allem Unplanbaren in den Arbeiten ist es mir trotzdem immer sehr wichtig, dass ich mit der Materialität im Endergebnis zufrieden bin, das heisst, dass es für mich als skulpturale Setzung einen Sinn ergibt.

IG: Wir haben uns vorhin über Fehlstellen unterhalten, die für mich noch weit entfernt sind von dem künstlerischen Gestus, den du anwendest und den ich Umkehrung nennen würde. Ein gutes Beispiel dafür sind die Uferschwalbengänge. Es ist nicht nur, dass du durch den Abguss etwas sichtbar machst, was sich sonst in der Oberfläche dem Auge entzieht, sondern zugleich scheint es die Anerkennung einer gestalterischen Leistung innerhalb der Natur – in dem Fall von Tieren –, auf denen du deine Arbeiten aufbaust. Kannst du dazu mehr erzählen?

BB: Es sind Höhlen von Uferschwalben, die Teil des Balzverhaltens dieser Vögel sind. Die Uferschwalben graben diese Höhlen in Sandfelsen und brüten ihren Nachwuchs darin aus. Wenn sie vor dem Winter in den Süden ziehen, verlassen sie ihre Höhlen. Diese ausgelassenen Hohlformen haben mich interessiert. An den Abgüssen kann man die Spuren des Grabens und Gestaltens der Höhlen deutlich erkennen, was mich fasziniert; gerade auch in ihrer Unterschiedlichkeit. Für mich hat das etwas sehr Bildhauerisches beziehungsweise Skulpturales. Irgendwie würde ich auch keine der abgegossenen Höhlen als misslungen ansehen, da sie ja aus einem guten Grund eben in dieser Form gegraben wurden. Zudem gefällt mir der Gedanke, dass diese Tiere etwas gestaltet und mir in gewisser Hinsicht ästhetische Entscheidungen, Arbeit und auch Zweifel abgenommen haben.

IG: Das bringt mich zu meiner nächsten Frage in Bezug auf die Mobiles, deine Bodenarbeit Balztanz, deine Videoarbeiten oder auch die unterschiedlichen Säulen, die allesamt von einer Art gestalterischem Dialog mit der Natur erzählen. Tiere wie Vögel, Esel oder auch Bienen und Würmer werden von dir animiert, auf das zu reagieren, was du ihnen anbietest: in Gemüse zu beissen, einen Lichtschalter zu bedienen, über Flächen zu laufen. Aus diesem speziellen Dialog ist eine Reihe von Arbeiten entstanden. Ist es das Unvorhersehbare, nicht Planbare, was dich daran interessiert? Fast scheint es mir, dass du damit auch die Vorstellung vom Künstlergenie etwas infrage stellst?

BB: Ja, es ist das nicht Planbare, das mich interessiert. Gerade in der Kombination oder vielleicht besser gesagt im Dialog mit zum Beispiel Tieren, die ich versuche zu animieren. Einige künstlerische Entscheidungen – selbst wenn sie noch so klein sind – werden mir durch ihr Mitarbeiten abgenommen oder führen eben zu Schritten und Resultaten, auf die ich wiederum weiter reagieren kann. Solche Entscheidungen sind wesentlich. Ich habe immer das Gefühl, dass es so unglaublich viele Möglichkeiten gibt etwas zu tun, in diese Richtung weiterzuarbeiten oder in eine andere. Vieles ist so relativ, sodass ich versuche, mich in eine Position zu begeben, die in gewisser Weise bestimmte Entscheidungen schon vorwegnimmt. Zugleich finde die Vorstellung, etwas mit Tieren zusammen zu erarbeiten und zu gestalten, auch sehr romantisch. Mir gefällt der Gedanke, ein Teil von der Natur und damit von ihnen zu sein.

IG: Mit dieser von dir beschriebenen künstlerischen Strategie und dem Offen-Sein und Vieles-zulassen-Können sehe ich das Scheitern als eine feste Grösse innerhalb des Werks. Wie gehst du damit um?

BB: Das Scheitern spielt natürlich eine grosse Rolle in meiner Arbeit, ja. Auf der einen Seite fasziniert es mich. Auch hat es in meinen Augen auch etwas sehr Poetisches und eben auch Unberechenbares; auf der anderen Seite ist aber auch anstrengend und nervt bisweilen.

IG: So wie du vorgehst, wird vielleicht auch etwas die Vorstellung des Künstlers relativiert, der alles alleine zustande bringt, und die Idee der Kooperation gestärkt – ob mit KünstlerkollegInnen oder eben mit anderen Lebewesen. Man könnte meinen, du selbst nimmst dich damit vielleicht auch charmanterweise weniger wichtig?

BB: Vielleicht. Ich versuche mich bei dem Ganzen nicht ganz so wichtig zu nehmen, vielleicht auch deshalb, weil dann alles ein wenig leichter und unkomplizierter geht — und natürlich auch, weil es mehr Spass macht.

Björn Braun (geb. 1979 in Berlin), lebt und arbeitet in Berlin. 2002—2007 Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Klasse Meuser. Diverse Preise und Auszeichnungen u. a.: 2016 Ludwig Gies-Preis für Kleinplastik der LETTER Stiftung, Köln; 2015 Cite Arbeitsstipendium, Paris; 2013 Ars Viva Preis 13/14, Kulturkreis der deutschen Wirtschaft, Berlin; Kunstfonds Bonn, Arbeitsstipendium; 2011 Stipendium Kunststiftung Baden- Württemberg.

Diverse Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland: 2019 Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel; 2018 RADICETERNA // Manifesta12, Calidarium of the Botanical Garden, Palermo; 2016/2012/2010/2007 Meyer Riegger, Berlin; 2015 New Towns, Marianne Boesky Gallery, New York; 2012 Frischzelle_16, Kunstmuseum Stuttgart, Stuttgart; 2011 Soltanto un quadro al massimo, Villa Massimo, Rom

Kurator*in: Ines Goldbach