The Art of Failure
5.5.
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1.7.2007
Die Ausstellung The Art of Failure versteht sich als ein Streifzug durch ein Feld von grosser thematischer Breite. Es erstreckt sich vom banalen Alltag über die Politik bis zur existentiellen Weltanschauung, besetzt also eine aufschlussreiche Schnittstelle zwischen Kunst und Leben.
Zustände der Überforderung sind ein guter Nährboden für die Kunst. Sei es eine unerfüllte Liebe oder die Verzweiflung über ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, ein zerbröselndes Weltbild, politischer Stillstand oder eine ins Existenzielle greifende Ratlosigkeit: Spätestens seit Samuel Beckett ist das Scheitern eine Grösse, die aus der künstlerischen Produktion nicht mehr wegzudenken ist.
An die Stelle von Gewissheit ist Ambivalenz getreten, Endgültiges wird durch Experimentelles, Vorübergehendes ersetzt; statt Antworten kommen nur noch Fragen. So erzählen die Werke und auch das Selbstverständnis einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern von einer permanenten Suche. Diese ist nicht auf Erfüllung angelegt. Im Gegenteil: Das Versagen — das eigene und auch das der andern — steht im Fokus und wird offen thematisiert.
Das Scheitern ist Alltag und Banalität, aber auch politische Aktualität: Mit dem Ende der sozialistischen Utopien und dem gesellschaftlichen Wandel im ehemaligen Ostblock hat das Versagen vor bald 20 Jahren eine zusätzliche Dimension erhalten, welche für die künstlerische Produktion einer ganzen Generation massgebend ist. Wie den Umgang mit der Demontage einer Gesellschaft und ihrer Werte finden? Wie neue Ideale, neue Ziele entwickeln? Eine alleingültige Weltordnung ist weit und breit nicht in Sicht. Seit dem Ende der Moderne und dem Verlust ihrer absoluten Ideale sind die Künstlerinnen und Künstler verstärkt gefordert, auf eine Gesellschaft im steten Wandel und einer damit einhergehenden Unsicherheit zu reagieren. Wie sich in einem Kontext stetiger Infragestellung und Kritik behaupten? Die künstlerischen Beiträge, die sich im Rahmen von The Art of Failure finden, sind Statements voller Ambivalenz und Ironie: Vorläufigkeit und Doppelbödigkeit gepaart mit einer trotz allem grossen Ernsthaftigkeit sind gute Mittel, aus dem Scheitern einen überzeugenden Akt, aus Ratlosigkeit Kunst zu machen.
Der hauptberufliche Werbegraphiker und Illustrator Christoph Abbrederis (geb. 1961 in Bregenz, lebt in Bregenz) generiert seit 1. Januar 2004 das Comic-Tagebuch Das tägliche Scheitern.
Pro Tag entsteht eine handgezeichnete Illustration, deren Inhalt sich aus eigenen Erfahrungen, alltäglichen Beobachtungen oder Eindrücken aus den Medien nährt. Die Hauptfigur des Comics entwickelte er bereits im Jahre 1985 während seiner Ausbildung an der Hochschule für angewandte Kunst. Jahrelang in der Schublade, fand die Figur in den Comics ihre Revitalisierung. Jeder Tag «mit all seinen depressiven Wirklichkeitsbeobachtungen, idealen Wunschvorstellungen und tolerablen Zwischenpositionen» wird mit einer Zeichnung bedacht und auch wenn diese nicht zu den besten gehört, auf der dafür eingerichteten Website veröffentlicht. Am nächsten Morgen ist sie verschwunden, und eine neue Beobachtung oder ein neues Erlebnis des täglichen Scheiterns erheitert oder stimmt die mittlerweile immer grösser werdende Fangemeinde nachdenklich. Das Tagebuch zieht in den Bann, trifft es doch immer wieder unsere eigenen Stimmungszustände. Das tägliche, neuerliche Scheitern und das Weglassen eines zugänglichen Archivs lassen das Scheitern als etwas ‹Leichtes› erleben, das ja morgen bereits wieder ein anderes sein kann.
Der für seine grossformatigen Wandmalereien bekannte Nic Bezemer (geb. 1955 in Vlaardingen NL, lebt in Rotterdam und Basel) präsentiert die Arbeit Moods, die speziell auf das Konzept und die Räumlichkeiten des Kunsthaus Baselland adaptiert wurde.
Seit einigen Jahren arbeit er mit vorgefundenen Materialien, wie ausgehöhlte Markknochen, mit denen er verschiedene Gesichter einer erfundenen Figur zusammenstellt. Für die Wandmalerei im Kunsthaus Baselland bilden gefundene Steine die Basis für das Gesicht der visuell stark wandelbaren Figur. Ein Gesicht und zwei Hände, also drei minimale Elemente, beinhalten die Möglichkeit, verschiedene Eindrücke von Gefühlszuständen zu vermitteln. Die präsentierte Kombination scheint etwas vor sich hinzuwerfen, im Sinne eines ‹here you have it› oder könnte auch schulterzuckend eine Art ‹ist ja egal› vermitteln. Das leicht verschmitzte Grinsen der Figur versöhnt mit dem Gestus des Hinwerfens und lässt, was auch immer hier zum Gegenstand eines kleinen Momentes des Scheiterns wurde, wieder positiv erscheinen — im Sinne eines ‹es wird schon wieder besser›. Letztlich reflektiert sich die Stimmung der Betrachter selbst in der jeweiligen Werkinterpretation und hebt jede Eindeutigkeit aus.
An der Basis der Werkkonzeptionen Stefan Burgers (geb. 1977 in Müllheim, Baden/D, lebt in Zürich) steht häufig die Fotografie, auch wenn die Ergebnisse selbst ganz andere Formen annehmen: Installationen, Video, Objekte und bühnenhafte Inszenierungen scheinen auf den ersten Blick das Medium Fotografie in den Hintergrund zu drängen
Dennoch erinnert Il Museo e chiuso durch das Loch im Holzkasten an eine Lochkamera. Die hängende, vogelhausartige Konstruktion mit zugenagelter Einganssituation und einem entsprechenden Schild versehen, weist das imaginäre Museum und/oder den historischen Fotoapparat als geschlossen aus. Ebenso bezieht Burger kunsthistorische Referenzen und generelle Fragen an die Rolle und Präsentation der Kunst in seine Betrachtungen mit ein. Ohne Titel, eine Objekt-Installation aus einem runden Luftkissen mit verschiedenfarbigen, kreisförmigen Streifen wird an die Decke aufgespreizt präsentiert. Assoziationen an eine Zielscheibe werden ebenso wach, wie an Werke der geometrischen Abstraktion oder der Farbfeldmalerei. In diesem Werk schwingt die Frage nach einem Scheitern der Malerei oder viel genereller die Frage nach einem Scheitern ihrer Präsentationsformen mit: Ist die Kunstgeschichte aufgeblasen? So sehr, dass sie festgehalten werden muss? Wie geht ein junger Künstler mit diesem Ballast um? Scheitert die zeitgenössische Kunstproduktion an der Aufgeblasenheit des Kunstsystems? Hinzu kommt, dass «Burger mit einer gewissen ironischen Distanz zur eigenen Rolle als Produzent spielt» (Burkhard Meltzer). Die spezifisch für das Kunsthaus Baselland geschaffene Arbeit Internationales Seifenkistenrennen, Leipzig 2002 überprüft und lotet die Grenzen des Kunstschaffens und, in diesem Falle, auch ihre Einbeziehung in den Alltag aus. Eine vorgefundene Situation, bei welcher eine Skulptur im öffentlichen Raum anlässlich eines Seifenkistenrennens vor den Rennteilnehmern bzw. letztere vor einem Zusammenprall mit der Skulptur durch Autoreifen geschützt werden mussten, bildet die Vorlage. Burgers Installation greift das Vorbild auf und stellt die Frage nach der Gefährlichkeit von Kunst und ihrem potentiell damit zusammenhängenden Scheitern ironisch in den Raum.
Gerard Byrne (geb. 1969 in Dublin, lebt in Dublin und New York) beschäftigt sich in erster Linie mit verschiedenen Ansatzpunkten zur Konstruktion von Geschichte in einer von den Medien konstruierten Realität.
Die Fotoserie P.O.V. Waiting for Godot (Points of view while waiting for Godot) ist Teil einer grösseren Serie von Fotografien, die rund um das Theater entstanden. Byrne interessiert der Bereich zwischen der literarischen Vorlage und der physischen, von den Schauspielern umgesetzten Interpretation derselben. Ebenso reflektiert er über die Bedeutung und den Anspruch von Realität in den unterschiedlichen Medien: Während das Theaterpublikum weder das Bühnenbild noch die gespielten Charaktere als real betrachtet, wird ein Foto als Beweis einer Realität gelesen.
«This implication of ‹realness› is particularly interesting when it is applied to a theatre set, because in a curious way it means that the literary space of the play, in this case ‹Waiting for Godot›, acquires a reality in photographs that it does not have in any other form, neither in the original text, nor in the shared suspension of disbelief of the performance itself.» (Gerard Byrne)
Die gezeigten Fotografien simulieren die Perspektive der Godot-Charaktere zu bestimmten Momenten im Stück und versuchen dabei das Beziehungsgeflecht der einzelnen Personen, die Samuel Beckett bezeichnete, aufzuzeigen. Das Warten auf Godot, der niemals kommt, steht in einem Dialog mit den Fotografien Byrnes, dessen Bilder lediglich die Bühnensicht der einzelnen Darsteller aufzeigen, nie jedoch diese selbst. Das Warten auf etwas was nicht geschieht, wird zum Inbegriff eines Momentes des Scheiterns, wobei vielmehr die Vorstellung von Etwas, das geschehen soll scheitert, als das Nicht-Geschehende selbst.
Ausgehend von einem gescheiterten Künstlerprojekt in Budapest, bei welchem sich Künstler mit Obdachlosen solidarisieren wollten und ihre Alter-Egos in Form von lebensgrossen Puppen auf die Strasse setzten, entstand Róza El-Hassans (geb. 1966 in Budapest, lebt in Budapest) Roter Mann.
Die Puppen der Kunststudenten lösten bei den Obdachlosen starke Emotionen aus, die letztlich dazu führten, dass die Puppen getreten, in Mülleimer gesteckt und mit ihnen Vergewaltigungsszenen ‹gespielt› wurden. Alles, was Obdachlosen passieren könnte, geschah mit den Puppen innerhalb kürzester Zeit. Das Projekt wurde von den Beteiligten als fehlgeschlagen gedeutet, da eine Solidarisierung, aufgrund zu grosser Spiegelwirkung, mit den auf der Strasse lebenden Menschen, fehlschlug. Róza El-Hassans Skulptur hingegen trägt eine Maske, sitzt entspannt am Boden und wirkt abstrahierter. Die Künstlerin sieht die Figur als Hommage an das fehlgeschlagene Projekt und gleichsam in Verbindung mit den von ihr seit einiger Zeit gezeichneten, gemalten und skulptural umgesetzten R-Figuren. R. thinking/dreaming about overpopulation ist eine wiederkehrende Auseinandersetzung mit dem Problem der Überbevölkerung und der Frage, wer von uns diese Überbevölkerung repräsentiert. El-Hassans sozio-politische Auseinandersetzung führt über Identitätsfragen hin zur Thematisierung einer Kollektivschuld der muslimisch-arabischen Welt angesichts der Ereignisse um 9/11. Das individuelle und kollektive Scheitern das Scheitern als menschliche Eigenschaft, taucht dabei als begleitendes Thema auf.
«I want the manifestation of my ideas to be life-sized, not only regarding their scale, but also in terms of their relevance to their situation or medium. Then they’re more like the ideas behind something. Art is just a manifestation, a Trojan Horse, for ideas», wird Ceal Floyer (geb. 1968 in Karachi/Pakistan, lebt in Berlin und London) im Pressetext der Lisson Gallery zitiert. Die Künstlerin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit spezifischen Bedeutungen von Dingen und ihren Bezeichnungen. Ihre Arbeiten sind von einem Becketthaften Humor geprägt, welcher Doppel- und Mehrfachbedeutungen integriert. Solo, eine Installation bestehend aus einem Mikrofonständer und einer Haarbürste, treibt die Einsamkeit der performerischen/künstlerischen Tätigkeit auf die Spitze. Ungehört bleiben die Worte und/oder die vermeintliche Melodie und wie in Marcel Duchamps Schokoladenreibe, bei welcher sich der Junggeselle letztlich seine Schokolade selbst reibt, bleibt auch der Einzelauftritt, den Floyer inszeniert, imaginär. In Trash wiederum, einer Projektion des von Computeroberflächen bekannten Mistkübels, wird das Zeichen, dessen Inhalt alles Wegzuwerfende aufnimmt, zum Werk. Stellvertretend für alle verworfenen Ideen und alles ungeteilte Geschriebene wird Trash zum Ikon alles vermeintlich Gescheiterten selbst, was wiederum zum Prozess alles Entstehenden gehört.
Philipp Gasser (geb. 1958 in Chur, lebt in Basel) hat sich seit seinen künstlerischen Anfängen mit der Zeichnung beschäftigt. Dies ist bis heute, wo er vornehmlich medial arbeitet, so geblieben.
Obwohl als einfache Projektionen inszeniert, entwickeln seine Animationen eine physische Sogwirkung. Sie greifen aus dem Bild hinaus und involvieren die Betrachter physisch. Wie die Mehrzahl seiner Installationen bezieht sich auch Der, der kommt, ist nicht der, den du erwartet hast... (1999) auf eine alltägliche, sozusagen kleine Geschichte. Menschen kommen auf uns zu, winken, gehen dann aber haarscharf an uns vorbei: eine Inszenierung rund um das Thema Wahrnehmung, über Ferne und Nähe und im Subtext vielleicht auch eine Geschichte über eine gescheiterte Liebe. Damit ist auch die Melancholie ins Spiel gebracht: das Scheitern als Motivation und Ursprung der Kunst.
Sofia Goscinski (geb. 1979 in Wien, lebt in Wien) thematisiert in ihrer Siegespodest-Arbeit den globalisierten Wettkampf, der sowohl das tägliche Leben als auch das künstlerische Tun kennzeichnet.
Das Podest, welches am Ende eines langen Ganges platziert wie ein Heilsversprechen anmutet und die Erlangung von Lorbeeren nach einem langen Kampf verspricht, löst das Versprechen dennoch nicht ein. Die spiegelnde Oberfläche der Treppchen, die den potentiell zu Ehrenden wiedergibt, bringt diesen bei genauerer Betrachtung tief, tiefer und am tiefsten in Wasser zu stehen. Erkennt man, dass die Spiegelung lediglich eine Wasseroberfläche darstellt, wird klar, dass der Sieger am Ende am tiefsten im Wasser steht und alle Erwartungen und Hoffnungen gescheitert sind.
Asta Gröting (geb. 1961 in Herford, lebt in Berlin) die sich zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit mit Skulpturen auseinandersetzte, arbeitet seit 1993 vorwiegend mit Film und Video, wobei die Objekt/Raum-Beziehungen auch in diesen eine grosse Rolle spielen.
Mittels Choreographie und Kameraführung werden die Inhalte ihrer zahlreichen Videoarbeiten so zugespitzt, dass die conditio humana selbst zum Thema wird. Im Video Parken kämpfen verschiedene Autos um einen frei werdenden Parkplatz. Ihr Hin- und Her, der Kampf selbst, das Nachgeben und Beharren werden dabei beinahe zu einer tänzerischen Performance, die von der begleitenden Musik zusätzlich getragen wird. Die angeleiteten Darsteller versinnbildlichen in humoristischer Weise mit ihren Autos einen Beckettschen Kampf gegen Hindernisse, das ewige Wollen und Nicht-Können. «Asta Gröting visualisiert die Schwierigkeiten des zwischenmenschlichen Miteinanders, aber auch die inneren persönlichen Konflikte in einer sehr reduzierten Form.» (Ellen Heider)
Pascal Häusermann (geb. 1973 in Chur, lebt in Zürich) thematisiert in seinen Collagen und Skulpturen diverse Männlichkeitsbilder, die vom Geschäftsmann bis zum Sciencefiction-Helden reichen.
Die jeweiligen Klischeevorstellungen unterläuft der Künstler jedoch immer wieder mit Textzitaten, die das Vordergründige boykottieren. In der Installation Die grosse Ernüchterung greift er auf die Denker-Figur Rodins zurück. Im Gegensatz zum historischen Vorbild, welches eine Ikone des Grübelns und Philosophieren darstellt, präsentiert Häusermann seinen Denker ohne Kopf. Das ursprüngliche Zitat wird dabei symbolisch vom Inhalt entleert. Die der Installation beigefügten Leuchtkästen mit dem Wortlaut Die grosse Ernüchterung deuten das vom visuellen Ausgangsbild Vermittelte um. Die Aussage steht stellvertretend für einen Befindlichkeitszustand der Kunst, des Individuums und letztlich der Welt an sich.
Bekannt geworden ist Anna Jermolaewa (geb. 1970 in St. Petersburg, lebt in Wien) mit Videos, die einfachste Bewegungsabläufe dokumentieren. Ihre Protagonisten sind banale Alltagsgegenstände, mechanisches Kinderspielzeug oder Körperteile, die sich monoton bewegen.
Das mag einem harmlos und banal vorkommen, hat aber einen bedrückenden Subtext: Jermolaewas Bilder erzählen von Fremdbestimmtheit und Repression. So auch Shooting, wo die Künstlerin als Schützin agiert, die ihre eigene Videokamera ins Visier genommen hat. Auf der Doppelprojektion ist gut nachzuverfolgen, wie mit jedem Schuss der Schaden an der Kamera grösser wird, bis das Bild nicht mehr nur flackert, sondern ganz weg und die Künstlerin ausgelöscht ist. Der Kampf, in den sich Jermolaewa mit ihrer Kamera verstrickt, hat einen garantiert schlechten Ausgang und ist eine fast schon klassisch anmutende Metapher für das künstlerische Scheitern, das immer auch ein menschliches ist.
Die Installationen von Isabelle Krieg (geb. 1971 in Fribourg, lebt in Zürich) sind voller Zwischentöne, sehr poetisch und oft nicht ganz zu durchschauen.
Sie agiert unvoreingenommen und hat keine Angst davor, besetzte Bilder zu bemühen und in ihrem Sinn aufzubrechen und umzuwerten. So bleibt auch ihre Skulptur, ein aus verkohlten Ästen gebautes Dollarzeichen, fragwürdig und zwiespältig. Wem wird hier ein Denkmal gesetzt?
Seit 1990 gehört Teresa Margolles (geb. 1963 in Culiacan/Sinaloa, MEX, lebt in Mexico-City) der Gruppe SEMEFO (Servicio Médico Forense) an. Im Rahmen dieser Gruppe führte sie Performances, Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum durch.
Sie arbeitet auch alleine und ist in erster Linie für ihre Auseinandersetzungen mit dem Tod und seinen sozio-politischen Vorbedingungen und Nachwirkungen wie Kriminalität, Armut, Ausbeutung, Organhandel und Bestattung bekannt. «Margolles arbeitet kaum mit Überresten von Körpern, eher mit den Spuren vergangenen Lebens, mit Verhüllen, Vergraben und Erinnern. Die namenlosen und anonymen Opfer gemahnen an die inhumanen Verhältnisse der modernen Massengesellschaft», die in dieser Hinsicht eine gescheiterte ist. (Michael Nungesser)
In ihrer Fotoserie Posthume Nachrichten vereint sie Motive von leerstehenden, vom Zerfall gekennzeichneten Kinos in Guadalajara mit Auszügen hinterlassener Nachrichten von Selbstmördern. Das «Cine Estudiante» beispielsweise trägt die Aufschrift «Wegen der ständigen Unterdrückung durch meine Familie» — die letzte Nachricht eines 19 Jährigen. Das Scheitern wird hier als letzte Konsequenz vergegenwärtigt, wobei nicht das Scheitern des 19 Jährigen allein im Vordergrund steht, sondern auch das Scheitern einer Gesellschaft, welche Menschen zu diesem finalen Akt treibt.
Für Deimantas Narkevicius (geb. 1964 in Utena, LIT) ist der Fall des «Eisernen Vorhangs» mehr als bloss ein wichtiges Kapitel im einem Geschichtsbuch: Er hat das Scheitern der sozialistischen Utopie und den darauf folgenden Systemwechsel selbst miterlebt.
Die Erfahrung, wie vermeintlich Statisches ausgehebelt, Perspektiven und Bewertungen verschoben, kurz eine alte durch eine neue Realität ersetzt wird, ist auch das prägende Moment der zahlreichen Arbeiten des baltischen Künstlers. In Once in the XX Century wird die vermeintliche Demontage eines Lenin-Denkmals in Vilnius gezeigt. Erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass das Material (es stammt teilweise von Amateurfilmern, teilweise aus dem litauischen Fernsehen) so montiert wurde, dass eine falsche Geschichte erzählt wird: Unter dem tobenden Applaus der versammelten Volksmenge wird der eiserne Mann per Lastwagen vorgefahren, mit dem Kran hochgehoben und schliesslich auf dem Sockel reinstalliert. Kann man das Rad der Geschichte einfach so zurückdrehen? Oder ist das Scheitern ohnehin etwas Relatives, abhängig vom jeweiligen Standpunkt, von welchem aus ein zeithistorisches Moment betrachtet wird?