Regionale 25

1.12.2024  —
19.1.2025

Regionale Internationale


Thérèse Bolliger, Anja Braun, Lara and Noa Castro Lema, Pia-Rosa Dobrowitz, Dorota Gawęda and Eglė Kulbokaitė, Charlotte Horn, Simon Krebs, Tim Kummer, Céline Lachkar, Lena Laguna Diel, Maude Léonard-Contant, Manuela Libertad Morales Délano, Lisa Mazenauer, Jorge Morocho, Katrin Niedermeier, Ulrich Okujeni, Lou-Anne Pommé, Margherita Raso, Marion Ritzmann, Lionne Saluz, Moa Sjöstedt, Julia Steiner, Vital Z’Brun

At first glance, “regional” and “international” seem like contradictory terms. But wouldn’t this be easy for artists and their creative spheres to resolve? After all, the specific, unique and local often goes hand in hand with global networking, significance and impact. Many artists immerse themselves in new settings for extended periods of time, resulting in new collaborations, ideas and works. They bring their diverse personal backgrounds with them, which can then grow and flourish.

But what does it mean to work outside your own cultural and social context? And how do artists approach global issues and crises that, now more than ever, require strong international collaboration and, above all, a strong international perspective?

The twenty-fifth anniversary of the Regionale, which is taking place in the new Kunsthaus Baselland in Dreispitz for the first time this year, demonstrates that artists from all over the world are working here. By the same token, artists from the region travel internationally for residency programs, exhibitions and research trips, taking their knowledge and art to distant locations. They are all active on both a regional and international level and their artistic ideas and contribute to a rich and fruitful exchange.

The tremendous gift of learning from one another and the quality of artists that enrich the tri-national region of Germany, France and Switzerland with their constant movement will be highlighted in this edition of the Regionale.

For this year's Regionale, in cooperation with the Masterstudio Design of the Hochschule für Gestaltung und Kunst, the Master's students will explicitly develop new objects with highly creative approaches for the Kunsthaus shop.

The Regionale is an annual group exhibition developed in the context of a cross-border cooperation of 18 institutions in Germany, France, and Switzerland with a focus on local contemporary art production in the three-country region around Basel.

KuratorIn: Ines Goldbach and Ines Tondar. Curatorial Assistant: Clara Soiron

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Im Zentrum von Thérèse Bolligers künstlerischer Praxis steht die Sprache. Sie erforscht in ihren multimedialen Arbeiten deren Wirkmacht und die Art und Weise, wie Sprache unser individuelles und kollektives Erleben und auch Handeln prägt. Die im Jahr 1998 entstandene zweiteilige Serie Correspondences (Meret) untersucht die Rezeption der Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim und ihres Œuvres. Korrespondenzen zwischen der Künstlerin und den Kunstkritiker*innen Christiane Meyer-Thoss und Jean-Christophe Ammann werden einander gegenübergestellt. Indem Bolliger die kritischen Texte über Oppenheim auf ihre Essenz reduziert und einzelne Adjektive hervorhebt, rückt sie Oppenheims eigenen literarischen Sprachgebrauch in den Vordergrund. Ihre Handschrift kontrastiert die gedruckten und listenartig präsentierten Worte von Meyer-Thoss und Ammann. Thérèse Bolliger betont mit dieser Arbeit das Verhältnis zwischen Kunstschaffenden und Rezipient*innen und weist auf sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin. Das gitterhafte, durchscheinende Trägermaterial zeigt die Schriften bildhaft und lässt sie zugleich immer wieder verschwinden.

Correspondences (Meret) ist Teil eines umfassenden Projekts der Künstlerin, das aus textbasierten Arbeiten besteht, in denen Bolliger auf komplexe, oft unerwartete oder kontroverse Rezeptionsformen hinweist. Neben Oppenheim beschäftigt sie sich auch mit Kunstschaffenden und Schriftsteller*innen wie Robert Walser oder Bas Jan Ader, deren Werke auf widersprüchliche, doch nie abschliessend geklärte Weise diskutiert wurden und immer noch werden. Diese Widersprüche zu thematisieren und daraus eine Spur der eigenen Wahrheitsfindung zu legen, ist für Bolligers Werk zentral.

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Anlässlich der Regionale im Kunsthaus Baselland stellt Anja Braun zwei Werkserien aus: Fünf kleinformatige Arbeiten aus der Werkgruppe Windows (Klingental) (2022) werden einem Werk aus Variations of Presence (2021) gegenübergestellt. Die Farbe und Spiegelung des Materials stehen im Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Anja Braun arbeitet in erster Linie mit Farbpigmenten, die – mit Leim gebunden – in raschen Pinselbewegungen auf den Bildträger aufgetragen und zwischen Glasplatten eingeschlossen werden. Manchmal bemalt die Künstlerin auch das Vorderglas. In der Überlagerung der Farbtöne entstehen sowohl harmonische als auch irritierende Momente, in denen das Zarte auf das Grelle, das Helle auf das Dunkle trifft. Durch die Spiegelung können die Rauminstallationen als Fenster verstanden werden, die kontinuierlich sich verändernde Momentaufnahmen schaffen. Im Zusammenspiel von Bewegung und Licht werden Betrachter*innen direkt in die Werkbetrachtung einbezogen. Die Reflexion der eigenen Silhouette und des Ausstellungsraums wirkt destabilisierend und betont die Zeitlichkeit, aber auch die Subjektivität unseres Wahrnehmens, Erlebens und Erfahrens im Hier und Jetzt.

Die Performance A couple of years (Un par de años) von Lara und Noa Castro Lema untersucht das Verhältnis von Fakt und Fiktion. Im Projekt erinnern sich die Schwestern an die vergangenen zwei Jahre ihres Lebens und erzählen fragmentarisch von Freuden und Schmerzen, die sie empfunden haben. Ausgehend von der Auffassung, dass der Akt des Erzählens bereits Fiktion ist, verbinden die Künstler*innen in A couple of years (Un par de años) ihre individuellen Erfahrungen mit Zitaten und Lautpoesie. Bild- und Schriftprojektionen sowie Bewegungssequenzen ergänzen die auditive Ebene.

Im Zentrum der Performance stehen mündliche Traditionen, kollektive Wissensformen und die Geschichte des Alltäglichen, die als „intra-history“ bezeichnet wird. Hierbei beziehen sich die beiden Künstlerinnen immer wieder auch auf ihre galizische Herkunft und die Costa da Morte. Es entsteht ein sowohl poetischer als auch träumerischer Raum, in dem das Erzählen von Geschichten zentral ist: Wie erzählen wir Erfundenes, Erfahrenes, Geschriebenes, und wer darf an diesen Erzählungen teilhaben? A couple of years (Un par de años) fügt sich in das künstlerische Werk von Lara und Noa Castro Lema ein. In ihrer kollaborativen Praxis, die Video, Text, Sprache und Performance umfasst, untersuchen sie gemeinschaftliche Prozesse und Formen der Fürsorge. Dabei distanzieren sie sich von einer hyperindividualistischen Kunstpraxis. Dies wird in A couple of years (Un par de años) im Lied, das die Künstler*innen zyklisch zu Beginn und am Ende der Performance gemeinsam mit dem Publikum singen, verdeutlicht. Das Musikstück schafft einen Rahmen für die Performance ebenso wie einen Moment der kollektiven Verbundenheit.

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Digitale Skizzen dienen Pia-Rosa Dobrowitz als Grundlage für ihre Malerei. Die Dimensionslosigkeit dieser Werkzeuge, die als eine Art architektonischer Plan verstanden werden können, ermöglicht es ihr, grossformatig zu arbeiten. Dazu breitet die Künstlerin die Leinwand auf dem Boden aus und projiziert eine Vorlage auf den Bildträger.

Indem sich die Farbe matt und opak schichten lässt, tritt die malende Hand – der Pinselduktus – zugunsten der Beschaffenheit der Oberfläche zurück. Es geht der Künstlerin vor allem darum, ein Gleichgewicht zwischen Farbe und Form zu finden. Als eine der Grundfragen der Malerei wird dieses Verhältnis durch Wiederholung und Variationen immer wieder neu ausgelotet. Die wiederkehrenden heraldischen Formen und Kreismotive schaffen einen Wiedererkennungsmoment, verweisen zusammen mit der Titelwahl auf Serialität und stellen Verbindungen im künstlerischen Schaffen her. Der Reiz von Pia-Rosa Dobrowitz’ Arbeiten liegt in den malerischen Elementen, die trotz der seriell anmutenden Produktion und der Verdrängung des Pinselstrichs immer wieder sichtbar werden. Die Farb- und Formkombinationen reizen die Netzhaut und prägen sich in das Auge der betrachtenden Person ein. Vor allem aber ist sie eine Voranschreitende, deren Bilder in Wände und Ritzen dringen, Decken einnehmen und weiterfliessen. So gleicht denn ihre künstlerische Werkauslage fast einem grossen Garten, der wächst, sich verändert und sich liedgleich weiter in den Räumen ausbreitet.

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Das Künstler*innenduo Dorota Gaweda und Egle Kulbokaite, das in Basel lebt und arbeitet, stellt im Kunsthaus Baselland die Arbeit The Enclosure Series (2023/24) aus. Die installativen Elemente, die sich auf Prozesse der Landprivatisierung beziehen, unterteilen den Ausstellungsraum und schränken die Bewegung der Besuchenden ein, schaffen jedoch zugleich auch neue, intime Räume. Die Grenzen sind sowohl starr als auch flüchtig. In ihrer Transluzidität kontrastieren die membranartigen Chiffontextilien die Aluminiumeinfassung der modularen Bildträger. Es entstehen sich überlagernde, hybride Bilder: Motive botanischer Chimären treffen auf eine Neuinterpretation einer Szene aus Paolo Pasolinis Il Decamerone sowie auf eine algorithmisch veränderte Dokumentation der -lalia Performance (2020) des Duos. Die Figur des lügenden Erzählers, der durch seine Überzeugungskraft Erlösung findet, und die in der slawischen Folklore beschriebene Hexe Poludnica werden beide gequeert und in einen digitalen Kontext verortet. Betrachtet man die semi-transparente Darstellung frontal, wirken sie durchlässig. Das Werk wird erst durch die Bewegung der betrachtenden Person aktiviert. Indem die Sättigung der Chiffontextildrucke je nach

Positionierung der Betrachtenden zu- oder abnimmt, distanzieren sich die Künstler*innen von einer linearen Kunstbetrachtung. Hierbei wird das Sehen im Kontext von The Enclosure Series zu einer verkörperten Praxis, die von anderen Sinneswahrnehmungen nicht losgelöst werden kann. Diese Form der multisensuellen Erfahrung ist für das Werk des Künstler*innenduos typisch. In ihrer Praxis, die sich über die Medien Performance, Skulptur, Videoinstallation und olfaktorische Arbeiten erstreckt, suchen sie immer wieder nach neuen Ausdrucksformen, um etablierte Sehpraktiken infrage zu stellen.

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Subtile Irritationsmomente prägen die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Werk von Charlotte Horn. In Arrow (2024), einer grossformatigen Ölmalerei, widerlegt die Künstlerin die weit verbreitete Annahme, dass Hase und Kaninchen derselben Spezies angehören. Der Verweis auf die Spezifität der Arten dient der kritischen Auseinandersetzung mit etablierten Zuschreibungen. Es geht Horn hierbei darum, die Unzulänglichkeit solcher Typologisierungsprozesse aufzuzeigen. Statt starre Kategorien zu verfestigen, plädiert sie für ein prozesshaftes und fliessendes Verständnis von Lebensformen in ihrer Vielfalt als „artübergreifendes Miteinander“. Als wiederkehrendes Thema in ihrer Praxis fordert die Multimediakünstlerin dazu auf, das Verhältnis von Mensch und Umwelt als ein Mit- und Verbundensein zu denken. Eine weitere Arbeit von Charlotte Horn trägt den Titel Cathexis.

Die Landschaftsmalerei bezieht sich auf das gleichnamige psychoanalytische Konzept und beschreibt, wie Gegenstände, Personen und Vorstellungen mit Bedeutungen, Emotionen und Erinnerungen aufgeladen werden. Dargestellt ist eine scheinbar verdoppelte Landschaftsansicht, die nicht nur an der Wand, sondern auch auf dem Boden platziert ist. Das Bild zeigt keine weite, idyllische Landschaft, sondern einen See und eine ausgetrocknete Wiese. Obwohl man annehmen könnte, dass sich die beiden Darstellungen spiegeln, ist bei genauerem Hinsehen erkennbar, dass sie sich voneinander unterscheiden. Der Moment der Verwirrung dient dazu, etablierte Wahrnehmungspraktiken und den Prozess der Cathexis infrage zu stellen. Auf diese Weise lädt Charlotte Horn die Betrachtenden dazu ein, ihre eigene, subjektive und positionierte Sichtweise zu reflektieren.

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In seiner filmischen Auseinandersetzung Park (2024), die im Kunsthaus Baselland uraufgeführt wird, widmet sich Simon Krebs der Dreirosenanlage in Basel. Der Park, direkt am Rheinufer gelegen und direkt angrenzend an die Pharmaindustrie, die Dreirosenbrücke und ein Wohnquartier, wird auf vielfältige Weise genutzt: Es wird spaziert, konsumiert, trainiert, diskutiert, ausgeruht, musiziert und getanzt. Während die einen den Ort für politische Zwecke nutzen, sehen andere in ihm einen Raum des freudvollen Mit- und

Nebeneinanders. Zu Beginn der Corona-Pandemie begann der in Basel lebende Künstler und Filmemacher, das Geschehen in der Dreirosenanlage zu filmen. Zuerst filmte er im Schutz seines eigenen Heims aus dem Fenster seiner Wohnung, dann wagte sich gemeinsam mit Tanja Weidmann, die ihn mit dem Mikrofon begleitete, nach draussen.

Gemeinsam dokumentierten sie das Alltagstreiben. Die daraus resultierenden Narrative erzählen fragmentarisch von einer Zeit, in der sich unsere Lebensräume verschoben haben, und handeln von Freiräumen sowie deren Einschränkungen. Dabei wird immer wieder die widerständige Aneignung öffentlicher Räume als selbstermächtigende Praxis betont.

Im Kontext von Kommerzialisierung und Privatisierung urbaner Räume gewinnt die Frage nach Freiräumen im öffentlichen Umfeld, die der vielschichtige Film Park aufwirft, besonders an Bedeutung.

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In Nice little cooing doves (2023) untersucht Tim Kummer das konfliktreiche Verhältnis zwischen Menschen und Stadttauben. Kummer platziert mehrere Keramiktauben auf verzinkten Stangen. Kleine, aus Ton geschaffene Exkremente hat er sorgsam auf den Ausstellungsboden gelegt. Kummer spielt dabei auf die Assoziation der oftmals als „lästig“ wahrgenommenen Tiere mit der Verschmutzung von Gebäudefassaden oder der Übertragung von Krankheiten an. Er betont aber auch die Rolle von Tauben städtischen Ökosystemen und ihre beeindruckende Anpassungsfähigkeit. So nutzen

Stadttauben Gebäudestrukturen als Nistplätze oder orientieren sich bei ihrer Nahrungssuche an menschlichen Aktivitäten. Die Platzierung der Keramiktauben auf Augenhöhe animiert Besuchende, sich mit der artenübergreifenden Beziehung im urbanen Raum auseinanderzusetzen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den Lebensräumen der Tiere. Welcher Platz soll nicht-menschlichen Akteur*innen in der Öffentlichkeit zugeschrieben werden? Der Künstler lädt die Besuchenden dazu ein, sich in einem nicht-hierarchischen Verständnis der Tauben-Menschen-Beziehung zu erproben. Humor und Satire dienen ihm als künstlerische Strategie, um etablierte Normen infrage zu stellen. Die zeitintensive Herstellung der Keramiken verdeutlicht Kummers Hinwendung zu den Tieren. Obwohl die Keramiktauben seriell hergestellt worden sind, handelt es sich dabei dennoch um Unikate, an denen sich die Spuren der Herstellung ablesen lassen.

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Der lateinische Begriff Tapetum lucidum beschreibt eine Zellschicht, die das auf die Netzhaut fallende Licht reflektiert. Diese Schicht erlaubt es nachtaktiven Tieren, in der Dunkelheit besser zu sehen. Besonders bekannt ist dieses Phänomen bei nächtlichen Aufnahmen von Tieren wie Rehen oder Füchsen, deren Augen im Licht geheimnisvollleuchten. Céline Lachkar zitiert dieses Phänomen in ihrer Kreidezeichnung Forêt. Voir à travers, ensemble 2 (2024), die auf den ersten Blick fast fotorealistisch wirkt und deren Komposition Anleihen an Harmonografien nimmt. Die Arbeit ist durch die Fotoserie Tapetum lucidum der Künstlerin Anne Zimmermann inspiriert. Das Panoramabild entfaltet das Narrativ einer speziesübergreifenden Begegnung. Durch die Blickbeziehungen, die in der Zeichnung etabliert werden, entsteht der Eindruck, als störe man beim Betrachten die Tiere und unterbreche ihre nächtliche Aktivität. Indem die Tiere die Betrachtenden direkt anblicken, wird ein Moment des Innehaltens geschaffen. Céline Lachkar sensibilisiert Besucher*innen damit für die Existenz dieser Wesen, die im Dunkeln agieren und oft ausserhalb unseres Wahrnehmungsbereichs bleiben. In ihrem Kunstwerk lädt sie uns ein, unseren Blick für die häufig unsichtbaren Aspekte der Natur zu schärfen.

0 D6 A7557

Lena Laguna Diel widmet sich in A Body in Fragments (2023) dem Körper als „Speicher von Erinnerungen“. Die raumgreifende Installation erforscht, wie sich Erfahrungen nicht nur in unser Gedächtnis, sondern auch in unseren Körper einschreiben. Körper und Geist können insofern nicht voneinander getrennt gedacht werden: Das Physische beeinflusst das Psychische und vice versa. Dieser Gedanke wird in den zahlreichen Keramikfragmenten verdeutlicht, die diverse Erinnerungen festhalten: bunte Blumenarrangements, das Detail einer Architektur, Fischende, die im Morgengrauen ihre Netze auswerfen, oder der weiss gedeckte Tisch, auf dem nur noch die leeren Martini-Gläser stehen – unterschiedlichste Themen und Bilder ordnet die in Basel lebende Künstlerin in einer Art Metakörper an. Die einzelnen Erlebnisse scheinen sich mit Körperpartien zu verbinden und Teil der Körperempfindung zu werden. Dies geht auch einher mit Lena Laguna Diels künstlerischer Praxis: Die Künstlerin bezieht sich auf Formen der Psychotherapie, bei der verschiedene Körperteile der Patient*in berührt werden und damit Erinnerungen reaktiviert werden können. Oftmals im Kontext der Traumatherapie eingesetzt, setzt sie sich in A Body in Fragments nicht nur mit traumatisierenden, sondern auch mit freudvollen Erfahrungen auseinander. So prägen sich, wie wir wissen, neben schmerzhaften auch glückserfüllte Erlebnisse in den Körper ein. A Body in Fragments spricht daher von melancholischen wie auch von hoffnungsvollen Momenten und lädt uns ein, über den Körper als „Zuhause von Erinnerungen“ nachzudenken.

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Maude Léonard-Contants künstlerisches Œuvre untersucht das Verhältnis von Objekt und Sprache. Unter dem Stichwort „mise sous presse“ setzt sie verschiedene Materialien unter Druck und ermöglicht deren Metamorphose: Die Künstlerin spannt Leder, faltet Seide und presst Pflanzen und greift dabei auf traditionelle Handwerkstechniken wie Möbelpolsterung oder Plisseeherstellung zurück. Dunkle, lederne Objekte lasten auf hellem, plissiertem Seidenstoff. Die Schwere steht im Kontrast zu den leichten Textilien und den filigranen Pflanzenornamenten. Die getrockneten Blüten, Blätter und Wurzeln stammen aus Maude

Léonard-Contants Lebensorten – Basel, Val Poschiavo und der Lanaudière-Region in Quebec. Das Sammeln und Pressen der Pflanzen schafft für die Künstlerin, die aus dem frankophonen Teil Kanadas stammt und heute in Basel lebt, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ähnlich wie beim Erlernen einer Sprache eröffnet das Wissen um lokale Pflanzenwelten einen Zugang zur Kultur eines Ortes. Indem Maude Léonard-Contant vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten und langsam verschwindende Handwerkstechniken in ihren ausgestellten Arbeiten verwendet, wirkt sie dem Vergessen und Verschwinden entgegen. Auf den ersten Blick scheint die in Maude Léonard-Contants Werk zentrale Sprache in den im Kunsthaus Baselland gezeigten Arbeiten abwesend zu sein. Doch ist sie in subtiler Form präsent. Die getrockneten Erdbeerblätter, die in die Falten des Plisseestoffs gesteckt sind, verleihen der Skulptur Sauvage Fraise nicht nur ihren Titel; das französische Wort „fraise“ bezeichnet neben der Erdbeere auch die Halskrause, deren Form in der unteren Partie der Skulptur aufgegriffen wird. Das Werk Herbes aux Chantres bezieht sich auf die Weg-Rauke, die auch als sogenanntes Sängerkraut bekannt ist. Wie für alle in der Ausstellung gezeigten Pflanzen hat Maude Léonard- Contant auch für sie ein ehrendes Liebesgedicht verfasst. Die Pflanzenbezeichnungen verleihen den Skulpturen nicht nur ihre Titel, sondern betonen auch die Wirkkraft dieser Benennungsprozesse, die uns helfen, Phänomene zu begreifen und unser Verständnis der Welt zu verdeutlichen.

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Aus Mehl, Salz und Wasser hat die chilenische Künstlerin Manuela Libertad Morales Délano Teig hergestellt, geknetet und daraus 93 Brotlaibe gebacken. Diese ordnet sie in ihrer Installation Manito de Guagua: Economics of the Clock(2023) kreisförmig an. Aufgrund verschiedener Backzeiten der Brote variiert ihr Zustand von teigig hell bis schwarz verkohlt.

Mit zunehmender Backzeit erschöpft sich, wie die Künstlerin kommentiert, der Laib immer mehr und lässt sich mit der Ausbeutung von Arbeiter*innen weltweit in Beziehung setzen. Denn es sind nach wie vor die kapitalistischen Gesellschaftssysteme, in denen die Lohnarbeit den Lebensrhythmus vorschreibt und hiermit grundlegend die menschliche Existenz prägt. Zeit ist Macht: Ihre Normierung dient den Herrschenden dazu, ihre Dominanz auszuüben – so beispielsweise auch im Kontext der Kolonisierung des südamerikanischen Kontinents, aus dem die Künstlerin stammt. Eine Vielfalt an Zeitsystemen, die sich an Sonne, Jahreszeiten oder Kosmologie orientierten, wurde abgeschafft und durch europäische Zeitgebung ersetzt. Indem die Künstlerin ein Zeitsystem konzipiert, ähnlich einer Uhr, die jedoch keine zwölf Ziffern besitzt, bezieht sie sich just darauf. Sie aktiviert zugleich Betrachtende zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Zeit-Macht-Beziehung, die uns alle betrifft. Die verbrannten Brotlaibe werden mit der Juli-Revolution (1830) in Frankreich und den als Zeichen des Protests zerstörten Uhrwerken in Verbindung gebracht. Die zu „Manito de Guagua“ und zu geballten Fäusten gekneteten Brote sind zudem sowohl als Symbol von Gier als auch von Widerstand zu verstehen. Brot ist für uns alle ein Grundnahrungsmittel und verweist auf Knappheit, Zeit und revolutionäre Bewegungen.

0 D6 A7621

Die Rue des Moraines in Carouge diente der Künstlerin Lisa Mazenauer als Inspiration für ihre Klanginstallation Rivières Revers. Die Benennung der Strasse bezieht sich auf die Gletschersedimente, auf denen das Städtchen gebaut worden ist. Fasziniert von der Errichtung einer Stadt auf den „Wunden“ des Gletschers, zentriert Mazenauer in ihrer Installation Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen. Hierfür ahmt sie den Schmelzprozess des Gletschers nach und platziert gefrorenes Wasser aus den nahe Carouge fliessenden Flüssen Rhône und Arve in ein von der Decke hängendes Netz. Die Installation wird dann durch das schmelzende Eis aktiviert: Es tropft langsam auf sechs von Hand getriebene Messingschalen, die an organische Blattformen erinnern. Die Klangschalen wurden von der Künstlerin verkabelt und an einen Verstärker angeschlossen. Die so erzeugten Klänge erzählen die Geschichte der Flüsse, die von den Gletscherquellen bis zur Mündung verschiedene Körper, Landschaften, Gewässer, aber auch Städte, Vororte und Industrien passiert haben – fragmentarisch. Im Lauschen werden Rezipient*innen dazu eingeladen, über das Verhältnis von Mensch und (Um-)Welt sowie die Routinen nachzudenken, in denen wir leben. Das Aufzählen der Wasserbestandteile im Werktitel verdeutlicht, wie sich unser Handeln auf die Umwelt auswirkt: So sind Spuren von chemischen Stoffen wie beispielsweise Quecksilber im Wasser der Rhône und der Arve vorzufinden. Diese gelangen von einer nahe gelegenen Aluminiumfabrik durch den Regen in den Grund und damit in die Flüsse. Ein Plädoyer für einen sorgsamen und sorgfältigen Umgang mit der (Um-)Welt.