Zeit/Ge/Schichten
13.9.
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10.11.2019
Von kollektiven und persönlichen Narrationen
Gruppenausstellung
In einem kürzlich geführten Interview plädierte die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, die von Hass, Neid, Ungerechtigkeit, Egoismus, aber auch Unwissen und einem Mangel an breiter Bildung geprägt ist. Einen wichtigen Schlüssel zu mehr internationaler Gerechtigkeit sieht sie in der Stärkung der eigenen Emotion für brisante Themen. Diese emotionale Öffnung schaffe laut Nussbaum u. a. die Auseinandersetzung mit der Kunst.
So eint die Ausstellung im Kunsthaus einerseits viele der grossen Themen unserer Zeit, von Brexit über Trump, Machtverteilung, Migration, Verfolgung, Geschlechter(un)gerechtigkeit, bewegte individuelle Biografien bis hin zu unserem Zugang zur Welt und fremden Kulturen usw. Andererseits zeigen die ausstellenden KünstlerInnen auch einen Weg auf, wie sich durch diese grossen, lauten Themen auch ein sinnlicher, emotionaler Zugang finden lässt, der helfen kann, die eigene Haltung zu bestimmen. Nicht eine Vollständigkeit an Themen ist Ziel der Ausstellung, sondern die Möglichkeit der präzisen künstlerischen Blickführung auf einige ausgewählte Themen, die wesentlich für die Künstlerinnen und Künstler sind, oder auch das Angebot, sich selbst dabei mit dem eigenen Hintergrund, der eigenen Biografie zu befragen, verorten und positionieren.
Die 13 eingeladenen KünstlerInnen aus der Region Basel, der Schweiz und dem internationalen Ausland setzen sich eben mit diesen Fragen und Zeitgeschichten auseinander. Diskutiert wird etwa, wie die eigene Familiengeschichte — geprägt durch Verfolgung, Immigration und Neuanfang – sich in einer ganzen Generation wiederfinden lassen (Zoe Leonard), inwiefern das Wiederaufgreifen bereits „aussortierter“ Geschichtsbilder eine andere Erzählung eines Landes oder auch einer Zeit bestimmen könnte (William Jones, Sabine Hertig), wie sich Wut, aber auch Fassungslosigkeit und Ohnmacht gegenüber politischen Ausrichtungen und Entscheiden eines Landes, wie die aktuelle Brexit-Diskussion, in wenigen Worten deutlich ausdrücken könnten (Hanne Lippard); wie Gewalt an Frauen, Gerechtigkeit respektive internationale Ungerechtigkeit und Unfreiheit eine hohe emotionale Darstellung erfahren könnten und sich Kraft- sowie Machtverteilung meist auf Geschlechterrollen innerhalb einer Gesellschaft verteilen (Maja Bajević, Dorian Sari, Artur Żmijewski, Katja Schenker). Andere Themen sind, wie (Kunst-)Geschichte bislang erzählt wurde und wie wir gedenken, sie heute weiterzuerzählen (Anna Ostoya), wie geschult respektive ungeschult und unwissend unser Blick auf Länder, Kulturen und das Gedächtnis eines Ortes oftmals ist und wie wir das Andere, Neue und Unbekannte trotz des meist fehlenden Wissens dennoch verstehen und lesen können (Cécile Hummel, Anna Molska, Piotr Uklański).
Zentral für die Ausstellung sind diese unterschiedlichsten künstlerischen Erzählungen, persönlichen Narrationen und Auseinandersetzungen mit der jüngeren Geschichte als Formen des (emotionalen) Erkenntnisgewinns. Die Ausstellung entsteht u. a. in Kooperation mit CULTURESCAPES die in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Polen legt.
Es sind unterschiedliche Medien, mit denen Maja Bajević gestochen scharf Fragen unserer Zeit thematisiert wie Diskussionen zu Gender und die Rolle der Frau in der Gesellschaft, Globalisierung, Machtverteilung, Gewalt, Ausbeutung, Neoliberalismus etc. Aber auch der Bedeutung und Konstitution von Heimat geht sie intensiv nach – ein Thema, das die Künstlerin mit ihrem französisch-bosnischen Hintergrund selbst beschäftigt. In den hier gezeigten Arbeiten unterschiedlicher Genres verdichtet Bajevic eben jene Fragestellungen. Eine Frau, die unentwegt von einer männlichen Hand berührt, gedemütigt, drangsaliert wird (How Do You Want to Be Governed?), eine Neonschrift, die den französischen Grundsatz von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nach dessen gelebtem Freiheitsbegriff für jeden und jede Einzelne befragt, eine Serie von Zeichnungen und Collagen, die ähnlich wie Geschichtssplitter Rückblenden auf die 1950er und 1960er Jahre zeigen, sich scheinbar auf unterschiedliche Nachrichtenbilder und Archive beziehen. Wie lesen wir in der Rückschau Bilder, an die einst eine Generation hoffnungsvoll geglaubt hat? In der Narration und Fokussierung auf einzelne Beispiele fächert Bajevic ein komplexes Bild unserer heutigen Gesellschaft auf, die sich einmal mehr die Frage stellen sollte, wie sich jeder Einzelne respektive jede Einzelne verhält, positioniert und dadurch aktiv innerhalb der Gesellschaft einbringen kann. (IG)
Die drei Werke Landscape 13–15 gehören zu den grössten Schwarz-Weiss-Collagen, die Sabine Hertig bisher realisiert hat. Abertausende ausgeschnittene Blattfragmente fügt sie mit Leim auf den grossen Leinwänden zu einem Netz aus Bildern, Andeutungen und Assoziationen zusammen. Eine scheinbar undurchdringliche Welt baut sich vor uns auf und zieht uns zugleich in den Bann. Zur Sogkraft dieser Bildlandschaften trägt die formale Bildsprache ebenso bei wie die präzise herbeigeführte Abstufung zwischen den verschiedensten Grauwerten und deren implizierten Lichtquellen. Aus der Distanz gleichen die analog entstandenen Collagen beinahe einem Ölgemälde. Sobald man sich nähert, löst sich diese Wirkung auf und das Bild zeigt seine Einzelteile — ohne aber zusammenhanglos zu wirken. Es zeigen sich in allen drei Arbeiten Fragmente von Tieren, nackten Körpern, Natur und architektonischen Elementen. Geht man erneut auf Distanz, fügen sich die Einzelbilder zu einem beinahe apokalyptischen Szenario zusammen, in dem gekappte Körperteile neben Wildkatzen und herabstürzenden Booten ihre ganz eigene Narration entwickeln. Als Quelle dienen der Künstlerin unter anderem ausgediente DU-Hefte, aber auch andere gedruckte Fotografien, die sich in unser kollektives Bildgedächtnis eingeschrieben haben und uns nun — in der Fragmentierung und dem zugleich Neu-Komponieren — an jene Bilder aus den 1950er- und 1960er-Jahren erinnern mögen. Könnte nicht gerade dieser Umgang mit dem Vergangenen sinnbildlich sein für die verschwimmenden Grenzen zwischen Gestern und Morgen und der beinahe schon versatzstückartigen Geschichtsschreibung heute? (JF)
Seit Jahrzehnten erkundet Cécile Hummel Länder, Städte, deren Strukturen, Rhythmen und Zeichen. Regelmässig setzt sie sich dem Fremden und Unbekannten aus und nutzt sowohl ihre handliche Kamera als auch das Skizzenbuch, um diese — ihre — Art, eine Stadt oder ein Land zu lesen, einzufangen. Diese Untersuchungen, die in Skizzen, Gouachen oder Fotografien Form annehmen können, erhalten — oft ergänzt durch Fundstücke —, in der Folge unterschiedliche mediale Übersetzungen. Die installative, fast skulpturale Präsentation ihrer Fotografien in der Ausstellung auf langen textilen Bahnen mag selbst an urbane Momente erinnern — Wäsche, die zum Trocknen ins Freie gehängt wird, enge Gassen, durch die es sich hindurchzuwinden gilt. In der unmittelbaren Anschauung der grossformatigen Fotografien wird man denn auch gewahr, dass Hummel ihr Gegenüber mitten in die städtische Struktur einer südländischen, europäischen oder arabischen Stadt führt. Die Künstlerin lässt die nordafrikanische Küste auf das gegenüberliegende Sizilien treffen.
Die gezeigte Auswahl ist Teil einer grösseren Bildsammlung, die Hummel in dem von ihr gegründeten Magazins Recueil vereint. Wie lässt sich nun, in Form einer Installation, diese Gleichzeitigkeit der Bilderzählung erfahren. Lassen sich — mit unserem jeweiligen kulturellen Hintergrund — alle Zeichen darin sofort lesen? Wie nah kann uns das Fremde sein, wie bekannt Orte, die wir immer wieder bereisen, und andere, auf die wir noch nie unseren Fuss gesetzt haben? Es sind gerade diese urbanen Fotografien von Hummel, die sie aus den vielen Reisen und Aufenthalten mitbringt und mit denen sie unser Verständnis von Kultur- und Ländergeschichte subtil und feinfühlig hinterfragt. (IG)
Die Serien von William E. Jones stammen aus dem Archiv der Farm Security Administration (FSA), einem Hilfsprogramm, das Kleinbauern 1937, zur Zeit der Grossen Depression, helfen sollte. Eigens für dieses Projekt wurden Fotografen wie Walker Evans, Dorothea Lange und Gordon Parks engagiert, um die Missstände der Farmer zu dokumentieren. Roy Stryker war als Leiter der Informationsabteilung der FSA für die Auswahl der zu veröffentlichenden Abbildungen zuständig. Um eine Fotografie als nicht tauglich zu kennzeichnen, stanzte er ein Loch in das Negativ: Killed Portraits. Insgesamt waren es bis 1939 etwa 3000 Schwarz-Weiss-Negative, die für Jahrzehnte verloren schienen. Es ist nicht bekannt, welche Auswahlkriterien der Selektion Strykers zugrunde lagen. Warum wurden diese Bilder als nicht passend empfunden? Welche (amerikanische) Geschichte sollte erzählt werden?
Jones bietet in seinen Serien denjenigen Fotografien eine Sichtbarkeit, die eigentlich nie zur Veröffentlichung gedacht waren. Sein Interesse gilt den Fotografinnen und Fotografen — jeweils in Klammern genannt —, die aufgrund der Entscheidung einer Person aussortiert wurden und zu verschwinden drohten. So wie die Fotografien zu ausgelassenen Informationen wurden, entsteht durch die schwarzen Stanzlöcher ebenfalls eine Leerstelle im formalen, bildimmanenten Kontext. Manchmal trifft es Gesichter, manchmal nur einen Punkt in der Landschaft. In seinem beinahe achtstündigen Video mit dem Titel Rejected zeigt Jones unzählige dieser Aufnahmen mit solchen Leerstellen, die unweigerlich an Einschusslöcher erinnern. Mithilfe eines sich ständig ändernden Zooms von 3048 Löchern verliert sich scheinbar das Auge. Der Künstler schärft dadurch das Verständnis für Sichtbares und deren Fehlstellen. (IT)
Welche Bedeutung können eigene biografische Linien oder auch vergangene Geschehnisse für die Allgemeinheit heute erlangen? Zoe Leonard geht in ihrer sehr persönlichen Fotografieserie eben jener Frage nach. Grundlage sind abfotografierte Fotos aus dem eigenen Familienarchiv und Kontext ihrer Mutter, die vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Die Familie mütterlicherseits stammt aus Polen, gehörte teils dem polnischen Widerstand an und wurde daher verfolgt, vertrieben und mehrheitlich umgebracht. Die wenigen, die überlebten, mussten ihre Heimat verlassen und waren in der Folge für über 1 5 Jahre staatenlos und entwurzelt. Nicht die Rekonstruktion dieser Familiengeschichte über die Fotografien interessiert Leonard in ihren Arbeiten, sondern die Tatsache der Staaten- und Heimatlosigkeit über Generationen hinweg und deren Nachhall auf uns heute — ob wir nun unmittelbar oder entfernt damit in Berührung kommen. Wie gehen wir heute mit Fragen der Vertreibung, der Ex- oder Inklusion, dem Verlust von Heimat um? Wie positionieren wir uns dazu, und erreichen diese für viele Menschen existenziellen Fragen überhaupt unsere eigene Erzählung? Zoe Leonard ist in ihren Werken nicht anklagend oder laut, aber sie zeigt deutlich auf, wie sich Geschichte wiederholt — gerade ob der Kurzsichtigkeit gegenüber sich (aktuell) wiederholenden Themen. (IG)
Hanne Lippard nutzt Sprache als Ausgangsmaterial für ihre Arbeiten — gedruckte Texte, Sound- oder auch Klanginstallationen und —performances. Ihr Hauptinteresse gilt dabei der Kommunikation und den verschiedenen Formen, wie Informationen aufgenommen, aber auch (miss)verstanden werden können. Darin spielen politische Fragestellungen und jene nach der Rolle der weiblichen Stimme in der Gesellschaft eine wesentliche Rolle. In der ausgestellten Arbeit Brexistential taucht in vielfacher Wiederholung der Satz «How to fix it» auf, wobei sich das «it» nach und nach zum rechten Bildrand bewegt. Der gewohnte Lesefluss wird gestört durch die Veränderung des Satzes in «How to fuck it», der sich auch in der Folge weiter verändert. Beendet wird mit dem Satz «How to ex ... it», wobei das «it» aus der Satzstruktur herausgerückt zu sein scheint. Lippard kommentiert die aktuelle politische Lage, ohne ins Offensichtliche zu verfallen, und unterstützt dabei ihre Aussage mit der typografischen Setzung. Das aus der Satzordnung ausgebrochene «it» wird Sinnbild für den sich quälend hinziehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und das anhaltende Nichtwissen um die gesamten Ausmasse dieses Entscheids. Parallel ertönt in der Arbeit Modern Spanking die Stimme der Künstlerin aus zwei Lautsprechern — höflich, sanft, im gleichmässigen Rhythmus. In scheinbar endloser Variation versetzt sie das Wort «Banking» mit verschiedensten Adjektiven, die den Begriff mal ins Lächerliche ziehen, mal mit einem ironischen Unterton versehen oder auch ganz natürlich im gewohnten Kontext erscheinen lassen. Die Monotonie der Wiederholung wird unterbrochen und die Stimme zur poetischen Klangerfahrung, wie es Lippard einmal formuliert hat: «Every word when said with the right tone can become a piece of poetry.» (JF)
Die grosse Rauminstallation aus fünf unterschiedlichen Videos erscheint wie ein visuelles und zugleich sinnliches Rätsel. Eine Szenerie in einem Blumenladen, ein Konvoi schwarzer Limousinen oder ein beinahe einzigartiges hydrografisches Phänomen: eine Flussgabelung in Polen. Was verbindet diese Motive? Was erzählen diese, im Loop gezeigten kurzen Ausschnitte über ein Land und über diejenige, die darauf blicken? Die polnische Künstlerin Anna Molska führt die BesucherInnen in ein Labyrinth aus Bildern und Sound, das mehrdeutiger nicht sein könnte. Sie hält ihr Publikum in einem Zustand der Verwirrung, und während dieses durch Unerwartetes streift, formt sich zunehmend ein beunruhigendes Moment. Die inszenierten Alltäglichkeiten, durch welche die BetrachterInnen wandern, scheinen ab einem bestimmten Punkt zu kippen und wirken irritierend. Welche Kraft treibt uns hier in welche Richtungen? Doch es lohnt sich eben auch zu fragen, was uns die filmischen Erzählungen der Künstlerin über ein Land — in diesem Fall Polen als ihre Heimat — erzählen und wie sich das hier Gezeigte auch auf andere Orte und Narrationen übertragen lässt. (IT)
In der Serie Autopis. Notes, Copies and Masterpieces (2010/2019) reflektiert und diskutiert Anna Ostoya Konzepte der Avantgarde in der Kunst vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Im Fokus steht ihre Hinterfragung der Autorität historischer Narrative, etwa die Rolle der Frauen innerhalb der Avantgarde und deren Rezeption. Zudem analysiert sie sowohl zentrale als auch periphere Phänomene innerhalb historischer und geografischer (Kunst-)Geschichtsschreibung. Ostoya wählt hierfür eine künstlerische Methode, die die Paarbildung von visuell ähnlichen Elementen beinhaltet, um neue Interpretationen und Sichtweisen daraus zu generieren. Der von ihr erfundene Begriff «Autopis» kann in verschiedenen Sprachen und Szenarien unterschiedliche Assoziationen hervorrufen, etwa die Vorstellung von etwas Selbstgeschriebenem oder vielleicht Mobilem, eine Autopsie oder Utopie. Auch das Präfix «auto» kann zugleich auf eine Sache oder ein Phänomen verweisen, es kann eigen, spontan oder automatisch sein. Anna Ostoya ist an den Narrationen interessiert, die sich über Bilder, Sprache und deren Lesbarkeit einprägen, die sich aber zugleich verschieben können, je nach Deutung, Perspektive oder auch Geschichtsschreibung. Diese installative Serie wurde bereits in verschiedenen Institutionen wie Foksal Gallery, tegenboschvanvreden, Silberkuppe, GAK, MoMA und Tate St. Ives gezeigt.
Dass der Kampf der zwei ringenden Männer in Dorian Saris Videoarbeit A&a (If art fails, thought fails, justice fails, . . . ) von einem Ungleichgewicht geprägt ist, ist offensichtlich. Ihre Nacktheit verstärkt auf beiden Seiten die gegensätzlichen Eigenschaften. Sie stellt die Stärke des Grösseren zur Schau und offenbart zeitgleich die Chancenlosigkeit des Kleineren. Im leeren Raum wirken die beiden exponiert, die gesamte Situation erscheint bizarr und künstlich. Der Unterlegene wird als Trainingsobjekt benutzt, gewürgt und auf den Boden gedrückt. Eine Genugtuung des bereits Überlegenen, der sich so in seiner dominanten Rolle bestätigt sieht. Beziehungen dieser Art lassen sich heute allzu oft in politischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen beobachten. Mächtige Autoritäten bedienen sich der gegebenen Vorteile, um sich zu profilieren, aber auch darum, den Unterlegenen zu demütigen. In diesen realen Auseinandersetzungen fehlt jedoch — anders wie hier — die Transparenz. Erstmals bei den diesjährigen Swiss Art Awards gezeigt und ausgezeichnet, macht die Videoarbeit von Dorian Sari schonungslos sichtbar, was die Ausgangslage für viele aktuelle Konflikte ist. Dorian Sari widmet das Werk Künstlerinnen und Künstlern aus Drittweltländern, die aus der Schweiz ausgewiesen wurden. (IT)
Katja Schenker gibt mit ihren performativen Arbeiten dem schwer zu fassenden Gefühl für Körper, deren Gewicht und Kraft eine Form und erzeugt dabei Artefakte in Form von Skulpturen und Zeichnungen sowie Werke, die von den Spuren der Bewegung, des Geschehenen erzählen. Forteresse basiert auf einer Performance, die erstmals 201 0 in Luzern realisiert wurde. Die Künstlerin ist hierbei umgeben von einer 1,2 Meter hohen Mauer aus Lehm, die auf der Aussenseite mit einer Schnur umwickelt ist. Durch langsames, stetiges Ziehen von innen an der Schnur wird die Mauer — unter enormem Kraftaufwand — Schicht für Schicht spiralförmig durchtrennt, um sich durch das Eigengewicht des Materials gleich wieder zu verbinden. Mit der Handlung wird erreicht, dass sich eine Spur auf dem Äusseren sowie im Inneren der Tonfläche abzeichnet. Das in der Ausstellung gezeigte Objekt, das die Künstlerin in einem zweiten Gang brennen liess, steht als eine Art Zeitzeuge, ein Artefakt, das von einer vergangenen Aktion kündet. Während die Lineatur an der Aussenhaut der plastischen Arbeit noch einer regelmässigen Linienführung entspricht, weist die Innenwand Spuren des enormen Kraftaufwands auf. Zeit ist zudem ein zentrales Thema, das Schenker immer wieder beschäftigt, auch in der grossen Wandarbeit Wie tief ist die Zeit (CutS05), die einem grossen Schnitt durch Zeit und Natur entsprechen, ähnlich archäologischen Funden. Eine anhaltende Fragestellung für Schenker ist jene, wie sich ein Körper im Verlauf der Zeit verändert, wie sich derselbe in sein Umfeld ein-schreibt, und was von all den menschlichen Handlungen im Verlauf von Zeit übrig bleibt. (JF)
Das ausgestellte Werk ist Teil eines grösseren Forschungsprojekts des Künstlers Jonas Staal über die Propagandakunst von Steve Bannon mit dem Titel Steve Bannon: A Propaganda Retrospective (2018). Bannon ist vor allem als Ideologe und Kampagnenmanager von Donald Trump bekannt. Ab 2004 war er zudem ein produktiver Filmemacher, der Dokumentarfilm-Pamphlete in einem Stil schuf, den er «kinetisches Kino» nennt. Bannons Filme sind tief apokalyptisch und propagieren, einen weissen christlichen Wirtschaftsnationalismus zu verteidigen. In Staals Projekt analysiert er Bannons Filme über die vergangenen 15 Jahre, um zu untersuchen, wie die Kernideologie des Trumpismus durch sein Propagandakino geprägt wurde. Der kulturelle Wandel, so der Künstler, geht hierbei dem politischen Wandel voraus. Der Propagandakünstler Bannon imaginiert in seiner kineastischen Handschrift die Kernerzählungen und Symbole des Trumpismus, noch bevor Trump die politische Bühne betritt. Während Bannon die imaginäre Kraft der Kunst zeigt, die Politik zu verändern, wird er gleichzeitig selbst Opfer davon. Nachdem die neue Regierung ein Jahr lang im Amt war und Trumps Propagandakünstler kritische Kommentare auch über dessen Sohn Don Jr. abgibt, bricht der Präsident die Verbindung zu Bannon ab und erklärt öffentlich, dass Bannons Rolle nie so wichtig gewesen sei. In seiner zweiteiligen Fotografie zeigt Staal Trumps «Entfernung» von Bannon aus seiner Geschichte, indem er Bannon auf Fotos löscht, auf denen sie zuvor zusammen erschienen waren. Ähnlich wie etwa das stalinistische Regime politische Gegner von den offiziellen Fotos entfernt hat, schreibt Trump auch seine eigene Geschichte neu und bedient sich gängiger Mittel. Begleitet wird die fotografische Arbeit in dieser Ausstellung durch den Katalog des gesamten Forschungs-projekts von Staal zu Steven Bannon und seinem Einfluss auf den amerikanischen Machtapparat.)
Es sind die grossen Themen, die das Werk des Künstlers Piotr Uklański seit Langem bestimmen: (Pop-)Kultur, kollektive Erinnerung, Stereotype und Klischees, oft mit ironischem oder kritischem Unterton. Nicht selten sorgen sie beim Publikum für kontroverse Reaktionen bis hin zu Ablehnung. Die hier gezeigten Fotografien aus dem Jahr 201 5 gehören der grösseren, 50 Teile umfassenden Serie Polska an, mit der sich Uklanski explizit mit der polnischen Mythologie und Ikonografie auseinandersetzt. Fast muten sie wie ein Echo der Bildsprache in Geschichtsbüchern aus dem 19., 20. und beginnenden 21. Jahrhundert an. Untitled heisst es unter allen fünf Fotografien, doch die in Klammern gesetzten Untertitel geben Hinweise auf die abgebildeten Monumente und Gedenkstätten, etwa für Opfer des Zweiten Weltkriegs, Verunglückte auf einer Seefahrt usw. So sehen wir unter anderem die heroische Figur der griechischen Göttin Nike, die den Sieg verkörpert, als Personifizierung der Helden von Warschau und Polen durch einen Kranz aus Blättern. Deutlich getrübt wird auch der zart-romantische Sonnenuntergang hinter der Stahldrahtkulisse des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau. Viel mehr als eine Provokation werfen aber Fotografien wie jene die Frage nach der Unmöglichkeit der Darstellung des Holocaust oder vergleichbarer einschneidender Ereignisse menschlicher Grausamkeit in Bildern auf. «There is no truth in representation», so Uklanski. Sich der Realität und ihrer Wahrheit auszusetzen — unerschrocken — ist ein wichtiges Kriterium für das Werk des Künstlers. (JF)
In der polnischen Stadt Wrocław (ehemals Breslau) wurden deutsche Friedhöfe in den 1960er- und 70er-Jahren zu Parkanlagen umgebaut, beispielsweise der Park Zachodni (Westpark), wo heute noch vereinzelt deutsche Grabsteine zu finden sind. In Artur Żmijewskis Video Recovered (Odzyskane) wird eine Strategie — Erinnerungen an das deutsche Breslau zu beseitigen — dokumentarisch erzählt. Grabsteine mit deutschen Namen werden mit schweren Maschinen ausgehoben, abtransportiert und als Material für einen (ungewöhnlichen) Gehweg im Stadtteil Kozanów benutzt. Durch die umgekehrten Grabsteine und das damit verbundene Verschwinden der Inschrift verändern sie scheinbar ihre Bedeutung. Gleichzeitig werden sie zum politisch aufgeladenen Gegenstand, der sich auf die deutsch-polnische Geschichte bezieht. Die Anspielung auf die brisante Situation in den Nachkriegsjahren wird ebenfalls im Titel der Videoarbeit deutlich. Der Begriff «Recovered Territories» meint die Verschiebung der polnischen Grenzen von Osten nach Westen, womit das deutsche Breslau nach der Kapitulation zum polnischen Wrocław wurde — was zur Folge hatte, dass die deutschen Bewohnerinnen und Bewohner weichen mussten. So transportiert das etwa fünfminütige Video des polnischen Künstlers durchaus Unbehagen, während Passanten mit hörbar zügigen Schritten über die Steine gehen oder ein Kinderwagen umständlich darüber hinweggeschoben wird, zumal die Formen der Grabsteine erhalten sind. Zmijewski betont die programmatische Idee der «Zurückgewinnung» der polnischen Stadt, die auch in anderen seiner Arbeiten wie Erasing (2016) deutlich wird. Obwohl sich die Arbeit auf die unmittelbare Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bezieht, besitzt sie ein hohes Mass an Aktualität — stehen doch Fragen zur Identitätsbildung, Migration und dem kulturellen Erbe in der unmittelbaren Diskussion. (IT)
Pressespiegel (Auswahl)
Basellandschaftliche Zeitung, 12.9.2019
Basler Zeitung, 14.9.2019
Basler Zeitung, 26.9.2019
Radio X (Oslo Night)
BZ Basel (Oslo Night)
Basellive (Oslo Night)
Kunstbulletin 11/2019