Werner von Mutzenbecher

9.9. —
13.11.2022

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Werner von Mutzenbecher, Kristallin III, 2022; Kristallin I, 2022; Kristallin II, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Werner von Mutzenbecher, Körper, 1993; Magnete, 1981/2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Werner von Mutzenbecher, Behälter, 80er; Figur, 1990. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Werner von Mutzenbecher, Fadenkreuz diagonal vor Schachtel, 1989; Fadenkreuz, 1989; Silhouette, 1964. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Werner von Mutzenbecher, Chicago, 1978 / New York, 1978. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Werner von Mutzenbecher, Zeitungsbilder I, 2017; Zeitungsbilder II, 2017. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly

Projektpartner


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Seit den frühen 1970er-Jahren gehört Werner von Mutzenbecher zu den wichtigsten Protagonisten der Basler Kulturszene: als Künstler ebenso wie als langjähriger Lehrer an der Schule für Gestaltung Basel oder durch seine Interimsleitung der Kunsthalle Basel in den 1970er-Jahren. Seine Arbeiten finden sich in zahlreichen Schweizer Sammlungen, öffentlich wie privat.
In den über 60 Jahren seines Schaffens hat Mutzenbecher ein Werk umgesetzt, das neben Malerei und Zeichnung auch Fotografie, Film (16 mm und Super 8), Video sowie Autorentexte umfasst. Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland zeigt, wie der Künstler von Anfang an jene unterschiedlichen Techniken und Medien in einer Parallelführung angegangen ist. Innerhalb seines Œuvres hat er so von der Narration über die gestische Malerei hin zu einem formstrengen Vokabular gefunden, das nicht nur in seiner Malerei, sondern gleichermassen im Film und der Fotografie zu finden ist. Die Auslageordnung bietet eine Auswahl an sämtlichen Medien und Zeiten ab den späten 1950er-Jahren bis heute. Begleitet wird die Ausstellung von einer ersten umfassenden Monografie zum Werk Werner von Mutzenbechers.


Es hätte nahezu klassisch beginnen können. Eine Retrospektive zu einem vielschichtigen Werk, das seit den späten 1950er-Jahren wächst und vom Künstler vorangetrieben wird. Aber Werner von Mutzenbecher scheut zu Recht derartige Begrifflichkeiten und vollständige Rückblicksversuche. Nach vorne geht es – daran hat sich auch mit 85 Jahren wenig geändert. Und selbst wenn unser beider Wunsch nach einer Überblicksausstellung und vor allem einem umfassenden Katalog nun mit seiner Schau im Kunsthaus Baselland Wirklichkeit wird, scheint es dem Künstler nicht ganz einfach zu fallen, in letzter Konsequenz nicht doch nur aktuelle Werke zu zeigen. Das hat einen guten Grund, denn Werner von Mutzenbecher arbeitet ungebremst an seinem Werk, schafft Zeichnungen, Gemälde, gross- wie kleinformatig, sitzt an seinem eigenen Schnittplatz im Atelier, schreibt Texte, redigiert Bücher, fotografiert, bringt DVDs mit seinen Filmen heraus, hält Lesungen. Selbst die Zeiten der Pandemie scheinen ihn eher künstlerisch beflügelt denn entschleunigt zu haben. Ein Füllhorn an Richtungen und Themen. Ein Leben in Bildern. Zu Recht schrieb Jean-Christophe Ammann in den 1980er-Jahren anlässlich von Mutzenbechers Ausstellung in der Kunsthalle Basel über die «Bildempfänglichkeit» des Künstlers, der alles, was er aufnimmt, in Bilder umzusetzen vermag – ob gezeichnet, gemalt, bewegt. Wie aber kann dieses umfangreiche Werk in Auszügen gezeigt, Repräsentatives ausgewählt, noch nie oder wenig Gesehenes hervorgeholt, anderes weggelassen oder reduziert werden? Ein ganzes Haus liesse sich anfüllen. Aber es sollte ja eben keine Gesamtauslage, sondern ein spannender Parcours werden, begleitet von einem monografisch angelegten Katalog, der die Üppigkeit und Vielfältigkeit des Werkes in Texten und Bildern dezidiert zeigt.

Dass es nicht nur positive Bilder sind, die einen im Leben begleiten und denen man dennoch Herr werden sollte, mag auf Mutzenbecher besonders zutreffen. Früh kam er von Schlesien nach Riehen in die Schweiz, im Gepäck die Bilder, Erfahrungen und familiären Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Und auch in den darauffolgenden Jahrzehnten, in welchen seine eigene, im Aufbau begriffene Familiengeschichte beginnt, lebt jene Nachkriegsgeschichte nach. Melancholisch und oft auch düster wirken die vielen grossformatigen Gemälde jener Jahre, die Mutzenbecher mit Titeln wie KZ-Bilder, Schlachtenbilder oder auch Totenzimmer versieht – ein melancholischer Blick auf eine Welt, in Trümmern liegend. Jedoch tritt er nicht auf als Pessimist, eher als beobachtender Realist, der der Gewalt jener Jahre eine künstlerische Sprache entgegensetzt, um das oft nicht Sagbare benennen zu können. Die von ihm ebenso benannten Action Paintings, die er ab den 1960er-Jahren beginnt und für die er Leinwände immer wieder übermalt, Schicht um Schicht, so viel, dass die Gemälde kaum zu bewegen sind, wirken wie ein Befreiungsschlag der Jahre zuvor. Wild, gestisch, dunkeltonig. Und doch sind da bereits kubische Formen, die sich aus dem ungeheuren Duktus des Farbauftrags an die Oberfläche zu arbeiten scheinen. Der Schritt, der dann folgt, scheint daher sinnfällig: Seine Gemälde werden leichter, Dispersion auf Baumwolle statt Öl auf grober Jute, die Formen beruhigen sich zu geometrischen Bildern, und auch die Farbe hält neben dem Schwarz-Weiss immer wieder Einzug. Ausserdem wird der Bildraum grösser und öffnet sich über die geometrischen Formen, die – Bauteilen oder Schachteln ähnlich – der jeweiligen Form ihre Tiefe geben. In jenen Jahren, gerade den 1970ern, bringt von Mutzenbecher nicht nur die Malerei, sondern auch das Arbeiten mit Super-8- und 16-mm-Film entscheidend voran. Die eigene Bewegung, besonders durch Reisen oder bei seinem längeren Aufenthalt in Rom 1970/71, spiegeln diese Filme wider. Auf seiner grossen Amerika-Reise wenige Jahre später, die ihn nach New York und Chicago führt, trägt er eine handliche Minox-Fotokamera mit sich, die ihm das rasche Reagieren und zugleich präzise, bildhaften Sehen und Erinnern erlaubt. Brücken, Bahnlinien, Hochhäuser – grafische und geometrische Momente im urbanen Kontext – faszinieren ihn und greifen dabei einerseits eben das auf, was ihn in der Malerei begeistert, scheinen aber andererseits das vorwegzunehmen, was sich in den 1980er- und 1990er-Jahren malerisch und zeichnerisch zu verfestigen scheint: Muster aus Karos sowie Netz- und Linienbilder, aber auch grosse Gouachen auf Papier, auf denen schlaglichtartig Wörter und Satzfetzen erscheinen, entstehen in der Folge. Auch taucht die Farbe wieder auf; in den Gemälden vornehmlich Rot und Blau neben Schwarz und Weiss. Film und Video wiederum sind inzwischen tägliche Begleiter geworden und spiegeln den Augenmenschen Mutzenbecher wider. Im experimentellen Film jener Jahre angesiedelt, sind es persönliche Blicke auf die Welt, die sich im Kleinen wie im Kollektiven fassen lassen.

Dass sich Werner von Mutzenbecher nach einigen Jahren einer malerischen Auseinandersetzung mit für ihn wichtigen Vorbildern und Impulsgebern wie japanische Holzschnitte oder ägyptische Malereien ebenso wie bekannte alte Meister wie etwa Rubens, Fragonard, Tizian, Cranach oder Böcklin erneut der strengen Abstraktion zuwendet und Geometrie und Zeichen den Vorrang gibt, meist in Schwarz, Weiss und Rot, ist nicht verwunderlich. Sein malerischer Kosmos ist die Welt um ihn, sein Werk die Abstraktion und Interpretation davon, was in der Umsetzung sowohl figürlich, abstrakt oder auch konkret sein kann. Vielleicht liegt gerade auch hier der Schlüssel zur Vielschichtigkeit von Werner von Mutzenbecher, zu der Fülle an Medien, die der Künstler zu aktivieren weiss. Die Themen verlangen nach der Wahl der Gattungen, nicht umgekehrt. Ob Super-8- oder 16-mm-Filme, Video, Grafik, Fotografie, Malerei, gross- oder kleinformatig, Prosa oder Gedichtbände – Werner von Mutzenbecher wählt – bis heute – die Form für das, was es zu fassen, zu verstehen, einzufangen, zu erinnern, zu kommentieren und vor allem in eine künstlerische Sprache zu transformieren gilt. Bisweilen werden die eigenen Bilder und Erzählungen mit jenen von geschätzten Kolleg*innen unterschiedlicher Generationen oder auch Vorbildern versehen, um den eigenen Kanon mit Privatem und Kollektivem anzureichern. Beim letzten Atelierbesuch zeigt mir Werner von Mutzenbecher erneut gerade entstandene Gemälde: eine grossformatige Serie aus hochformatigen Bildern, die kristalline Strukturen und Formen in Schwarz, aber auch in Blau aufweisen. Ein flirrendes Gefüge, das sich von der Leinwand über die angrenzende Wand auszudehnen vermag. Bewegung im Bild und in Abfolgen. Es ist erneut ein Werk, das die vielen vorausgehenden in sich trägt und statt nur von Malerei eben auch von all jenen Gattungen erzählt, die Werner von Mutzenbecher in einer erstaunlichen und zugleich souveränen Art nach vorn zu treiben versteht – wo sonst wäre das Morgen zu finden. (Ines Goldbach)

Werner von Mutzenbecher, geboren 1937 in Frankfurt a.M., Umzug nach Riehen, Schule und Studium in Basel. Lebt und arbeitet in Basel. Auslandsaufenthalte in Paris und Rom, diverse Reisen in Europa (u.a. Polen) und nach Übersee (USA, Mexiko, Indonesien). 1977 Konservator ad interim an der Kunsthalle Basel. 1973-87 Lehrtätigkeit an der Schule für Gestaltung Basel, von 1987-2000 Leiter der Fachklasse für freies bildnerisches Gestalten (Malklasse). Ab 1967/68: Texte, 16-mm- und Super-8-Filme, später auch Videos. Ausstellungstätigkeiten und Filmvorführungen im In- und Ausland. Diverse Preise und Auszeichnungen u.a. der Kulturpreis der Gemeinde Riehen. Detaillierte Angaben, auch zu sämtlichen Einzel- und Gruppenausstellungen siehe u.a. Monografie, die ab Anfang Oktober vorliegen wird.

Ein herzliches Dankeschön an sämtliche Unterstützer der Ausstellung im Kunsthaus Baselland: Sophie und Karl Binding Stiftung, Stanley Thomas Johnson Stiftung, Kanton Basel-Landschaft mit kulturelles.bl, Pro Helvetia sowie all jenen Geldgebern, die nicht explizit namentlich genannt werden möchten. Ebenso ein sehr grosses Dankeschön an alle, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben: dem Kunstkredit Basel-Stadt für die Leihgabe und dem grossartigen Kunsthaus-Team für den Aufbau und sämtliche Abwicklungen, namentlich Oliver Minder, Sergio Rojas Chaves, Tobias Schläfli, Ines Tondar, Martina Stähli, Salome Tramér, und erneut ein grosser Dank an Käthe Walser. Danke auch an alle, die für die Publikation als Autor*innen, Fotograf, Grafikerinnen, Verleger*innen, Übersetzer*innen und Lektorinnen mitgewirkt haben, namentlich: Dorothea Weishaupt, Sinja Steinhauser, Sophia Schindler, Gerda Steiner, Guido Nussbaum, Maja Naef/Ralph Ubl, Iris Kretschmar, Isabel Zürcher, André Lehmann, Hansmartin Siegrist, René Pulfer, Hannes Schüpbach, Fritz Billeter, Doris Kern, Ilka Backmeister-Collacott, das Team von Good & Cheap, Serge Hasenböhler, Martin P. Bühler, Gina Folly, Silvia Jaklitsch, Gisèle Linder sowie ein herzlicher Dank für die Aufnahme der Publikation in die Reihe Sélection d’Artistes und in das Programm des Verlags für moderne Kunst in Wien.

Kurator*in: Ines Goldbach