Pictorial Spaces
28.11.2021
—
2.1.2022
Regionale 22
Tim Bohlender, Anja Braun, Mariejon de Jong-Buijs, Annegret Eisele, Simone Holliger, Sonja Lippuner, Vicent Lo Brutto, Céline Manz, Camillo Paravicini, David Richter, Maja Rieder, Susanne Schwieter, Kathrin Siegrist
Eine jährliche Gruppenausstellung, entwickelt im Kontext der Regionale, einer grenzüberschreitenden Kooperation von 19 Institutionen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit dem Fokus auf lokale, zeitgenössische Kunstproduktion in der Drei-Länder-Region um Basel.
Kann Malerei ein Museum sein, Licht im Raum, Spuren der Natur? Welche Rolle spielen digitale Medien für eine Gattung, die bislang vornehmlich durch ein analoges Verfahren entsteht? Wie kann Malerei anders gedacht werden, wenn es kaum mehr die klassischen Mittel sind und auch nicht die Instrumente, die zur Anwendung kommen.
13 Künstlerinnen und Künstler aus der trinationalen Region arbeiten innerhalb einer künstlerischen Gattung, die es schon seit Langem aufzubrechen gilt – vor allem gedanklich. So ist denn Malerei heute viel mehr als die bekannte Definition davon. Davon zeugen die vielseitigen, gross angelegten und meist raumgreifenden Werke im Kunsthaus Baselland.
Durch den internationalen Blick auf das Thema, durch Künstlerinnen und Künstler, die in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich arbeiten und ihrerseits zugleich für eine gelebte Internationalität in der Region stehen, ermöglicht die Ausstellung einen vielschichtigen Einblick in ein anhaltend sehr lebendiges und aktuelles Medium.
Zu sehen sind verschieden farbige
Flächen mit abstrakten Formen.
Orange, Braun und Blau mit Weiss
sowie Schwarz mit Silber treten
hervor und möchten von den
Besucher*innen genauer untersucht
werden. Auf den ersten Blick
unterscheiden sie sich nur durch die
Farbe (mit Ausnahme von MONO
painting mirrored outlines). Schaut
man genauer hin, sieht man nicht
nur ein Spiel der monochromen
Farbflächen, sondern auch daraus
resultierende unterschiedliche
Kompositionen sowie verschiedene
Materialitäten.
Mit der Serie der MONO paintings
erforscht Tim Bohlender (*1987, Kandel, DE)
das Potenzial
dieses Genres an dem immer
gleichen Motiv. Anstatt mit einem
Pinsel trägt der Künstler die Farben
mit einer Walze auf oder lässt
Tusche bzw. braunes Pigment
gemischt mit Binder über die
Leinwand laufen. Das Resultat
dieser Oberflächenstruktur
verdanken die Malereien vor allem
einer prozessualen Herstellung der Träger: Die auf Karton
kaschierten Leinwände werden mit vielen Schichten grundiert und teilweise übermalt, um ihre
ursprüngliche Struktur zu verlieren.
Die unterschiedlich ausgemalten
Farbflächen, die die Komposition
völlig neu zusammenstellen lässt
und die typografischen Details
mal in den Vorder- und mal in den Hintergrund versetzt, sowie die Abwechslung von glatter und
glänzender Oberfläche macht
schliesslich den sichtbaren und
spannenden Unterschied zwischen
den einzelnen Bildern aus.
So präzise und klar die Kleinformate
von Bohlender auf den ersten
Blick erscheinen, bieten sie viel
Raum für eigene Interpretationen.
Letztendlich sind es die einfachen
und bekannten Objekte, die uns der Künstler mit reduzierten Mitteln
näherbringen und zum Nachdenken
darüber anregen möchte, was
(abstrakte) Malerei in der heutigen
Zeit alles sein kann (PH).
Eine Kunst, die man überall auf der Welt mitnehmen und ausstellen kann, egal von woher man kommt oder wohin man geht – und dies unabhängig von Raum und Zeit. So beschreibt Mariejon de Jong-Buijs (*1970, Waalwijk, NL), die in den Niederlanden geboren wurde, längere Zeit in den USA und momentan in Basel lebt und arbeitet, ihre Malereien. Im Rahmen der Regionale 22 zeigt sie im Kunsthaus Baselland das Outdoor-Projekt Hopewell Woods, das sie im Jahr 2020 in den Wäldern von Hopewell, New Jersey (USA) realisiert hat: fünf grossformatige Gemälde sowie ein Foto, das die Künstlerin im für ihre Arbeit wichtigen Prozess der Entstehung dieser Werkgruppe zeigt. Typisch für die Aktionskunst von Mariejon de Jong-Buijs gehören die fünf gleich grossen Baumwolltücher zu einer gesamten Performance: Aufgespannt als ein 15 Meter langer Stoff zwischen drei Bäumen, fügte die Künstlerin während einer Woche zu Zeiten der Pandemie täglich einen persönlichen Abdruck hinzu. Sie variierte dabei zwischen verschiedenen Werkzeugen, Farben und Bewegungen. Das Resultat: Heruntergelaufene Farbtropfen und Kreise sowie Streifen als Spuren von Hilfsmitteln. »Meine Absicht ist es, den Betrachter dazu zu bringen, sich zu fragen, was er da sieht und was ihm verborgen bleibt«, so de Jong- Buijs.
Im Kunsthaus Baselland hängen die Stoffe wie Bilder an der Wand. Indem die Künstlerin analog zu ihrem reisenden Leben ihre Werke am einen Ort faltet, um sie an einem anderen Ort wieder zu entfalten und sie hängend oder stapelnd oder auf eine andere Weise zu präsentieren, spielt auch sie mit den Mitteln einer jahrhundertealten Gattung: Was kann Malerei alles sein? (PH)
Als Künstlerin, die Performance mit
Malerei verbindet, denkt Anja Braun
(*1985, Freiburg im Breisgau, DE)
Betrachter*innen immer gleich in das
Werk mit ein. Dieses Anliegen einer
Kunst, welche mit dem Gegenüber
funktioniert, wird auch in der im
Kunsthaus Baselland gezeigten Serie
deutlich. Die mit Pigmenten auf Glas
bemalten Windows faszinieren auf
verschiedenen Ebenen und lassen
ebenso auf verschiedenen Ebenen
deutlich werden, was Malerei sein
kann.
Die Windows fügen sich
wunderbar in den Raum gegenüber
der grossen Fensterfront ein,
bereichern ihn durch das Spiel von Licht, Farbe, Reflexion und
Spiegelungen. Sie laden ein, sich
ihnen zu nähern, sie zu umschreiten,
durch das transparente Glas in den
Raum und die anderen Windows zu blicken und zu sehen, wie die
Farbe auf dem Glas spiegelnde
Motive – gar einen selbst – aufnimmt
und zum Teil der Arbeit werden lässt.
Durch den Perspektivwechsel wird die Wandelbarkeit der in den
Raum greifenden Malerei deutlich
erfahrbar. Egal von welcher Seite
wir auf die Windows blicken, es eröffnen sich uns immer neue
Erfahrungen. Blicken wir frontal zur Wand, nehmen wir das farbige
Glas nur als Strich, als Hauch von
Malschicht wahr. Ein Blick, der uns
nur anhand des Loslösens von der Fläche gestattet ist. Von der
Malfläche aus erleben wir die Haptik
und die Stofflichkeit der einzelnen
Pigmente, und ein Blick von der
anderen Seite überrascht uns,
welche Leuchtkraft das Glas für die
Pigmente entfacht.
Die Idee des Fensters wird in der
Komposition wieder aufgegriffen,
wenngleich hier ein anderer
Ursprung als der der Transparenz
des Materials zugrunde liegt.
Die Künstlerin fertigt seit Längerem
Zeichnungen von geöffneten, sich
überlagernden Fenstern auf ihrem
Laptop-Bildschirm an und überträgt
jeweils die Kombinationen zweier
Skizzen auf das Glas. Mit der Geste,
einen digitalen Ursprung in eine
analoge, malerische Bildsprache
umzuwandeln, eröffnet Braun
nochmals eine weitere Ebene, was
Malerei zu sein vermag (MS).
Mal dominant, mal zaghaft, dann
wieder wild oder sanft, keck oder
träge ziehen sich die farbigen
Pinselstriche in vielfältiger Weise
über die teils bis zu einem Meter
umfassenden Arbeiten auf Papier
von Annegret Eisele (*1980, Filderstadt, DE). Die einzelnen
Werke verbinden sich im Foyer
des Kunsthaus Baselland zu
einer grossen Installation, die eine vielschichtige Erzählwelt
eröffnet. Die Farben, Formen und Linien fangen Eindrücke und
Empfindungen der Künstlerin ein
und bilden einen Schwarm voller
Momentaufnahmen. In ihrer Malerei
findet Eisele eine Ausdrucksform
– eine Formensprache –, wie sie sich eine Parallelwelt aus
Strukturen von Farbe, Licht und
Klang vorstellt. Mit der Farbigkeit in
ihren unzähligen Nuancen versucht
sie eine Klangraum zu schaffen,
wobei die Farbe zugleich eine
Einladung ist, in den Moment der
abstrahierten Bildwelt einzutauchen
– oder geradezu abzutauchen.
Unterstützung bei der Aufforderung,
in das Bild zu entgleiten, findet die
Farbigkeit in den knappen, poetisch
anmutenden Titeln, die versuchen
eine Brücke zu schlagen zwischen
Bild, Malerei und Sprache.
Mit einem Interesse für Poesie
und Abstraktion im Alltag zeigen die Werke Reminiszenzen an ihre
ursprüngliche Inspiration. Die Künstlerin faszinieren besonders
ungewöhnliche Anblicke alltäglicher
Dinge – seien dies Symbole und
Signale, die als solche kaum
mehr erkenntlich und lesbar sind,
seien es Ausbesserungen an
Hausfassaden, die durch einen leicht
anderen Farbton sichtbar werden.
In gleichem Masse inspirieren sie
einfache technische Konstruktionen
oder der Blick in die Weite,
Naturphänomene und Licht. Dabei
spielt der Fokus auf den Moment
immer eine zentrale Rolle für
Annegret Eisele, da er die Zeit für sie
ausdehnt, intensiviert und sie dabei
in eine andere Realität entgleitet (MS).
Da ist das Überrascht-Sein über die Wahl der Mittel und vor allem
deren Wirkung. Immer wieder aufs
Neue. Ist es Metall, geschnitten und geschweisst, Stein, das
tonnenschwer an der Wand hängt,
oder ist und kann es tatsächlich
Papier sein? Doch um die Verwirrung
geht es Simone Holliger (*1986, Aarau, CH) nicht,
vielmehr wählt sie das spezifische
Material, um dem Prozess und
auch der Freiheit beim Machen
bestmöglich nachkommen zu
können– meist vor und am Ort. Frei
im Raum stehende Körper oder
auch Reliefs wie jenes im Kunsthaus
werden über Tage in Schichten
aufgebaut. Sie wachsen in den und
mit dem Raum, der sie umgibt.
Die in Basel arbeitende Künstlerin
denkt und baut den Raum mit, seine
Beschaffenheit, seinen Tonwert,
seine Gerüche, Temperaturen,
Menschen. Auch Entscheidungen
über Farbgebungen entstehen am
Schluss als logische Konsequenz.
Im Raum selbst wird schon allein
durch ihre Grösse die Raumfigur
zum relevanten Gegenüber, öffnet
sich hier und da für Einblicke in das
Werk, aber auch in seine Machart.
Sie ist mal matt, mal glänzend, dann
wieder sanft oder scharfkantig. Ihr ganzes Geheimnis scheint sie
jedoch nie recht preiszugeben, denn
die Faszination für das, was sich da
vor einem ausbreitet, bleibt auch bei
längerer Betrachtung – und eben
auch das Überrascht-Sein (IG).
Sonja Lippuner (*1987, Thurgau, CH)
begann ihre
künstlerische Karriere als
Bildhauerin. Mit der Zeit fing sie an, sich vor allem mit dem Medium
der Zeichnung zu beschäftigen und damit die Grenzen zur
Installation auszuloten. Mit
Zeichnungen auf Tüchern, welche
sie im Raum inszeniert, formt sie
einen fliessenden Übergang von
zweidimensionalen Zeichnungen zu
installativen Situationen.
Der Arbeitsprozess an sich ist der Künstlerin sehr wichtig. Sich
immer wieder neu zu verorten, sich zu fragen: Wo stehe ich? Mit
welchen Dimensionen arbeite ich? Immer wieder aus der Arbeit
herauszuzoomen und sich das
Ganze aus der Distanz anzusehen,
spielt für sie eine wichtige Rolle.
Dieses Ein- und Auszoomen, das Sich-Verorten, um immer neue
Perspektiven einzunehmen – diese
Prozesse spiegeln sich in der Arbeit
Zunge von Sonja Lippuner im
Kunsthaus Baselland wider.
Das Werk erinnert an eine Landkarte.
Die Kreise und Linien breiten sich im Foyer aus und lenken die
Besucher*innen durch den Beginn
der Ausstellung: Die Karte einer unbekannten
Landschaft, durch die man jedoch
nicht hindurchgeht, sondern um sie herum, zu der man sich immer
wieder neu positioniert und die
einem ein Stück weit vorgibt, wie
man sich durch das Foyer in die
Ausstellung hineinbewegt. Durch
seine Grösse und die Position auf
dem Fussboden bleiben die von
uns am Weitesten entfernten Teile
unscharfe Gebiete an der Peripherie
unserer Wahrnehmung (MG).
Weisse Mikrofasertücher, die zur Reinigung von Oberflächen
verwendet werden, die blaue
Flüssigkeit ist Fensterputzmittel. Die Flüssigkeit in den schmalen
Vitrinen steht unterschiedlich hoch,
die weissen Stoffe saugen die
Feuchtigkeit langsam auf. Die Zeit
läuft und kann dabei durch die blaue
Farbe beobachtet werden. Vincent Lo Bruttos (*1995, Mulhouse, FR)
Installationen
schwanken zwischen Sichtbarem
und Unsichtbarem, zwischen
Präsentation und Repräsentation.
Fürs Überleben der Kunst ist die Konservation unverzichtbar,
jedoch bleibt sie im Hintergrund,
wird eigentlich nie selbst zum
Thema. Die Putzutensilien halten die Skulpturen sauber, deren
Bestandteil sie geworden sind.
Nachdem sich der Künstler
eingehend mit Konservierungs- und
Ausstellungsmöbeln beschäftigt hat, werden diese in den Arbeiten zur Hauptsache und nehmen als
selbstständige Werke den Platz
auf den Podesten ein. Die Funktion
wird zum Subjekt, das Unsichtbare
sichtbar.
Die Titel der beiden Arbeiten, Ninfa (I) und Ninfa (II), wecken
Assoziationen zu den Nymphen, den
Naturgeistern aus der griechischen
und römischen Mythologie. Sie leben
fast unendlich lange und bleiben
dabei ewig jung. Die Zeit, die in den
beiden Skulpturen so offensichtlich
voranschreitet, spielt für die
Nymphen keine Rolle. Der weisse
Stoff in den Vitrinen erinnert an ihre
leichten weissen Gewänder, die
zwischen Bekleidung und Nacktheit
oszillieren. In der klassischen
Bildhauerei ist die Fähigkeit, Falten
und das Fliessen von Stoff in Stein zu meisseln, ein Beweis für
bildhauerische Virtuosität. Das Motiv
des Faltenwurfs zieht sich durch
Darstellungen aus allen Epochen der
Kunstgeschichte. Die Stoffe in Lo
Bruttos Werk sind eine Hommage an diese unsterbliche Figur der
Draperie, die von Kunsthistorikern
und Philosophen, wie zum Beispiel
Aby Warburg und Georges Didi-
Huberman, »Ninfa« genannt wird
(MG).
Welche Auswirkungen haben
Biografie, das Geschlecht oder der
Umgang mit dem künstlerischen
Nachlass auf die heutige
Wahrnehmung von Künstlerinnen
des 20. Jahrhunderts? Dies ist eine der zentralen Fragen, die Céline Manz (*1981, Zürich, CH)
mittels Strategien der
Aneignung und Rekontextualisierung
in ihrem Werk verhandelt. Die der 1889 geborenen Künstlerin
Sophie Taeuber gewidmete Arbeit
fold; Aubette 63, eine Serie von
Neonskulpturen, wurde erstmals für die Einzelausstellung 9 espaces
distincts von Manz im Kunsthaus
Langenthal 2020 konzipiert und nun
für die Regionale 22 durch neue
Elemente ergänzt.
1928 stellte Sophie Taeuber als
Bauleiterin in Zusammenarbeit mit
Hans Arp und Theo van Doesburg das Freizeitzentrum »Aubette« in Strasbourg fertig. In einer
raumgreifenden Installation im
Kunsthaus Baselland verweist Manz
auf die dortige Foyer-Bar, einen
von Taeuber entworfenen Raum.
Deren erster Entwurf Aubette 63
konnte aufgrund eines Vetos von van
Doesburg (»zu farbig«) nicht in dieser
Form realisiert werden. Obwohl es
sich um ein Kollaborationsprojekt
handelte, beanspruchte van Doesburg mehrfach die
Autorenschaft der »Aubette« für sich
allein. Manz, die Taeubers Pläne und
Architekturzeichnungen studiert hat,
tritt diesem Versuch mit einer Geste
der posthumen Zurückeroberung
entgegen. Taeubers Synthese von
Architektur und Malerei überträgt die Künstlerin heute in ihre eigene
Formensprache, indem sie Farben
und Formen der architektonischen
Zeichnung Aubette 63 extrahiert und
diese als leuchtende Neonskulpturen
in den Raum setzt (IT).
Man könnte vielleicht so beginnen:
Camillo Paravicini (*1987, Poschiavo, CH)
stellt sich gegen jede Form der Behauptung.
Behauptungen wie: Das ist Malerei,
das ist keine, das eine ist wichtiger
als das andere, dies hat mehr
Wertigkeit als das usw. Er scheint
den künstlerischen Akt genau dafür
zu nutzen, um etwas herauszufinden
und diesen Behauptungen etwas
entgegenzusetzen. Ausgangslage
für die im Kunsthaus neu produzierte
Serie etwa sind kleine, in Sekunden
ausgeführte Zeichnungen. Sind sie
interessant genug, um bestehen
zu können? Um diese Frage
beantworten zu können, greift
Paravicini auf ein aufwendiges
Verfahren zurück. Die Zeichnungen
werden vergrössert und in einer Art
Hinterglasmalerei in ein Gemälde
verändert, das sich in seiner
ganzen Erscheinung von einer
schnellen, kleinformatigen Geste
in ein scheinbar makelloses Werk
auf Hochglanz wandelt. Eine Form
von Veredelungsvorgang, könnte
man sagen, vielleicht auch eine Art
Behauptung?
Es ist konsequent, dass Paravicini neben diese nunmehr
malerischen, grossformatigen,
»veredelten« Zeichnungen ebenso
neu produzierte, bislang nicht
gezeigte Fotografien aus seinem
Archiv zeigt. Nicht von ungefähr
wählt Paravicini den Titel Ferien in Düsseldorf und spielt dabei auf
jene Düsseldorfer Fotografieklasse
um Hilla und Bernd Becher und
insbesondere deren Schüler und
Schülerinnen an. Persönlichkeiten
wie Thomas Ruff, Andreas Gursky
oder Candida Höfer sind mit ihren
grossformatigen, ästhetisierten
Bildern – meist entstanden im
Ruhrgebiet – zum Inbegriff für
künstlerisch hochwertige Fotografie
geworden. Bewusst dreht Paravicini
nun auch diese Wertevorstellung um:
Er setzt die präzisen fotografischen
Kompositionen ins Kleinformat und
ordnet sie somit grössenmässig
den schnell hingeworfenen
Zeichnungen unter – dabei bleibt er ernst und humorvoll zugleich.
Hat jenes Foto nicht vor allem auch malerische Qualität? Sind
Gattungszuschreibungen heute
überhaupt noch sinnvoll? Oder
bekäme es möglicherweise eine
andere Wertigkeit in unseren Augen,
wenn sich das Format änderte?
High und Low liegen eben oft sehr
nah beieinander – im Leben wie in
der Kunst (IG).
David Richters (*1988, Basel, CH)
Gemälde verhandeln
Schwellenmomente. Sie oszillieren
zwischen Referenz und Spiegelung,
Vorder- und Rückansicht sowie
Form und negativem Raum. Mit
entfernten Verweisen auf Werke
von Etel Adnan, Nicolas Poussin,
Tom Thomson oder Joaquín Sorolla
untersucht der Künstler Bildsysteme,
die er mittels des Verfahrens der
Monotypie (Abklatsch) in einen
zeitgenössischen Diskurs setzt. Das
mit einer Folie übertragene Bild wird
dabei zur Membran, die nicht nur
Räume miteinander verschränkt,
sondern sich in diese ausbreitet.
Sowohl durch die Leerstellen als
auch die bildliche Umkehrung wird suggeriert, die Farbe dringe
durch das Leinen hindurch, was
Betrachter*innen neu verortet: Sie
schauen auf die Rückseite – oder
eine Idee davon.
Mittels Strategien der Aneignung
sowie Affirmation und Negation der
malerischen Geste kreiert Richter in einer Zusammenstellung von
Arbeiten der letzten drei Jahre neue
Bildräume, die zentrale Fragen eines
klassischen Mediums ausloten (IT).
Wer ein quadratisches Mass wählt, gibt keine Richtung vor – nicht nach rechts oder links, wie es von einem rechteckigen Mass ausgehen würde. Die Kraft kommt vielmehr aus der Mitte. Auch Grenzziehungen zwischen Malerei und Zeichnung weichen bei Maja Rieder (*1979, Solothurn, CH) einer grundlegenden Offenheit gegenüber ihrem künstlerischen Prozess. Ich erinnere mich an Aufnahmen aus ihrem Atelier: grosse, nur teilweise ausgerollte Papierbahnen, die beinahe den gesamten Boden bedecken. Die Künstlerin selbst, sich gebückt durch den Raum bewegend, mit breiten, teils selbst hergestellten Pinseln oder Bürsten. All die Grosszügigkeit, die ihre übergrossen, malerisch ausgeführten Zeichnungen ausstrahlen, liegen in diesen gekonnten Gesten: ein rascher Schwung, ein präzis ausgeführter Pinselstrich, der über das körperliche Mass geführt wird, eine intuitive Farbwahl, das gekonnte Führen von Farbe oder Tonwerten über den jeweiligen Bildträger, bis er ausläuft. Bisweilen werden die Papiere nass auf Chassis gespannt und später wieder davon abgenommen. Es sind die Ränder, die den Akt des Malens offenlegen und den Beginn von Linien, X-Kreuzen oder Schraffur zeigen; und die im Moment des Installierens wie ein zartes Gefüge sich mit Raumlinien zu verbinden scheinen (IG).
Susanne Schwieters (*1971, Basel, CH)
skulpturale
Arbeit aus der Serie tongues tritt
von der Wand in den Raum hinein
und begegnet Besucher*innen mit einer ruhigen Balance aus
Farbigkeit, Linie und Weissraum.
Die Form der pulverbeschichteten
Aluminiumoberfläche erinnert dabei an eine Position der Zunge
beim Vorgang des Sprechens.
Auf die Wand gesprühte Linien
unterstreichen den zirkulierenden
Vorgang der eingefrorenen
Bewegung und verschwinden ins
Unendliche unter dem Schatten des
Metalls. Die Künstlerin beschreibt
ihre abstrakten Arbeiten als
»evolutive Formen«. Ein Konzept,
das durch eine prozesshafte
Annäherung die Übersetzung von
Sprache in Zeichen untersucht und
so flüchtige Bilder verfestigt.
Shh, so der Titel des Werks, fragt
auch nach der Bedeutung der
Sprache für die eigene Identität
sowie den damit einhergehenden
Wahrnehmungs- und Denkstrukturen. Zeitgleich könnte es eine
Beschreibung des Moments sein,
in dem sich die Begrenztheit der
Sprache abzeichnet und Farbe und
Form einen Ausweg aufzeigen (IT).
Kathrin Siegrist (*1984, Basel, CH)
ist eine Künstlerin,
die ihre Inspiration mehrheitlich
aus gemeinschaftlichen und
transdisziplinären Praxen schöpft.
Der Austausch, das Diskursive
und die Vermittlung besitzen
eine zentrale Wichtigkeit in ihrem
künstlerischen Schaffen, wobei sie
mittels der Malerei einen Dialog
zwischen Individuum und Kollektiv
bildet.
Die hier im Kunsthaus gezeigte
Arbeit erzählt von einer
kollaborativen Situation im Atelier
der Künstlerin: Die Installation des
Vorhangs während der Regionale 22
sowie der begleitende Text sollen
als Relikt oder Dokumentation
eines Moments im Gartenzentrum
fungieren. Während des Lockdown, als Anfang
des Jahres kulturelle Einrichtungen
aufgrund der Pandemie ihre
Tore schliessen mussten, die
Gartenzentren hingegen von
diesen Restriktionen nicht betroffen
waren, verwandelte Siegrist ihr
Atelier in ein eben solches. In
diesem Raum wurde in kleinem
Rahmen der kulturelle Austausch
aufrechterhalten, während dies in
den angestammten Institutionen nicht mehr möglich war. In diesem
Kontext entstand der Vorhang als ortsspezifisches Werk, als ein Display, ein funktionales und
performatives Raumobjekt zugleich
– eine Malerei, welche einen
(sozialen) Raum bildet, die weich
und beweglich ist, während das
Gewebe der Vorhänge an klassische
Bildträger erinnert.
Die organischen und synthetischen
Gewebe, die ursprünglich den Raum
von der Decke bis zum Boden
bespielten, vermitteln durch ihre
Materialität und Farbigkeit, Wärme
und Geborgenheit. Sie laden dazu
ein, sich dem Werk zu nähern, um
die textile Malerei auf verschiedenen
Ebenen zu erfahren (MS).