Pictorial Spaces

28.11.2021  —
2.1.2022

Regionale 22


Tim Bohlender, Anja Braun, Mariejon de Jong-Buijs, Annegret Eisele, Simone Holliger, Sonja Lippuner, Vicent Lo Brutto, Céline Manz, Camillo Paravicini, David Richter, Maja Rieder, Susanne Schwieter, Kathrin Siegrist

Eine jährliche Gruppenausstellung, entwickelt im Kontext der Regionale, einer grenzüberschreitenden Kooperation von 19 Institutionen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit dem Fokus auf lokale, zeitgenössische Kunstproduktion in der Drei-Länder-Region um Basel.

Kann Malerei ein Museum sein, Licht im Raum, Spuren der Natur? Welche Rolle spielen digitale Medien für eine Gattung, die bislang vornehmlich durch ein analoges Verfahren entsteht? Wie kann Malerei anders gedacht werden, wenn es kaum mehr die klassischen Mittel sind und auch nicht die Instrumente, die zur Anwendung kommen.

13 Künstlerinnen und Künstler aus der trinationalen Region arbeiten innerhalb einer künstlerischen Gattung, die es schon seit Langem aufzubrechen gilt – vor allem gedanklich. So ist denn Malerei heute viel mehr als die bekannte Definition davon. Davon zeugen die vielseitigen, gross angelegten und meist raumgreifenden Werke im Kunsthaus Baselland.

Durch den internationalen Blick auf das Thema, durch Künstlerinnen und Künstler, die in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich arbeiten und ihrerseits zugleich für eine gelebte Internationalität in der Region stehen, ermöglicht die Ausstellung einen vielschichtigen Einblick in ein anhaltend sehr lebendiges und aktuelles Medium.

KuratorIn: Ines Goldbach, Ines Tondar

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Tim Bohlender, MONO painting orange rose, 2021; MONO painting mirrored outlines, 2021; MONO painting anthracite ink, 2020; MONO painting pigment brown light pink, 2020; MONO painting ultramarine light grey, 2021. Courtesy the artist; Mariejon de Jong-Buijs, Hopewell Woods, 2020/21. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Zu sehen sind verschieden farbige Flächen mit abstrakten Formen. Orange, Braun und Blau mit Weiss sowie Schwarz mit Silber treten hervor und möchten von den Besucher*innen genauer untersucht werden. Auf den ersten Blick unterscheiden sie sich nur durch die Farbe (mit Ausnahme von MONO painting mirrored outlines). Schaut man genauer hin, sieht man nicht nur ein Spiel der monochromen Farbflächen, sondern auch daraus resultierende unterschiedliche Kompositionen sowie verschiedene Materialitäten.
Mit der Serie der MONO paintings erforscht Tim Bohlender (*1987, Kandel, DE) das Potenzial dieses Genres an dem immer gleichen Motiv. Anstatt mit einem Pinsel trägt der Künstler die Farben mit einer Walze auf oder lässt Tusche bzw. braunes Pigment gemischt mit Binder über die Leinwand laufen. Das Resultat dieser Oberflächenstruktur verdanken die Malereien vor allem einer prozessualen Herstellung der Träger: Die auf Karton kaschierten Leinwände werden mit vielen Schichten grundiert und teilweise übermalt, um ihre ursprüngliche Struktur zu verlieren. Die unterschiedlich ausgemalten Farbflächen, die die Komposition völlig neu zusammenstellen lässt und die typografischen Details mal in den Vorder- und mal in den Hintergrund versetzt, sowie die Abwechslung von glatter und glänzender Oberfläche macht schliesslich den sichtbaren und spannenden Unterschied zwischen den einzelnen Bildern aus.
So präzise und klar die Kleinformate von Bohlender auf den ersten Blick erscheinen, bieten sie viel Raum für eigene Interpretationen. Letztendlich sind es die einfachen und bekannten Objekte, die uns der Künstler mit reduzierten Mitteln näherbringen und zum Nachdenken darüber anregen möchte, was (abstrakte) Malerei in der heutigen Zeit alles sein kann (PH).


Eine Kunst, die man überall auf der Welt mitnehmen und ausstellen kann, egal von woher man kommt oder wohin man geht – und dies unabhängig von Raum und Zeit. So beschreibt Mariejon de Jong-Buijs (*1970, Waalwijk, NL), die in den Niederlanden geboren wurde, längere Zeit in den USA und momentan in Basel lebt und arbeitet, ihre Malereien. Im Rahmen der Regionale 22 zeigt sie im Kunsthaus Baselland das Outdoor-Projekt Hopewell Woods, das sie im Jahr 2020 in den Wäldern von Hopewell, New Jersey (USA) realisiert hat: fünf grossformatige Gemälde sowie ein Foto, das die Künstlerin im für ihre Arbeit wichtigen Prozess der Entstehung dieser Werkgruppe zeigt. Typisch für die Aktionskunst von Mariejon de Jong-Buijs gehören die fünf gleich grossen Baumwolltücher zu einer gesamten Performance: Aufgespannt als ein 15 Meter langer Stoff zwischen drei Bäumen, fügte die Künstlerin während einer Woche zu Zeiten der Pandemie täglich einen persönlichen Abdruck hinzu. Sie variierte dabei zwischen verschiedenen Werkzeugen, Farben und Bewegungen. Das Resultat: Heruntergelaufene Farbtropfen und Kreise sowie Streifen als Spuren von Hilfsmitteln. »Meine Absicht ist es, den Betrachter dazu zu bringen, sich zu fragen, was er da sieht und was ihm verborgen bleibt«, so de Jong- Buijs.
Im Kunsthaus Baselland hängen die Stoffe wie Bilder an der Wand. Indem die Künstlerin analog zu ihrem reisenden Leben ihre Werke am einen Ort faltet, um sie an einem anderen Ort wieder zu entfalten und sie hängend oder stapelnd oder auf eine andere Weise zu präsentieren, spielt auch sie mit den Mitteln einer jahrhundertealten Gattung: Was kann Malerei alles sein? (PH)

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Anja Braun, Windows, 2021. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Als Künstlerin, die Performance mit Malerei verbindet, denkt Anja Braun (*1985, Freiburg im Breisgau, DE) Betrachter*innen immer gleich in das Werk mit ein. Dieses Anliegen einer Kunst, welche mit dem Gegenüber funktioniert, wird auch in der im Kunsthaus Baselland gezeigten Serie deutlich. Die mit Pigmenten auf Glas bemalten Windows faszinieren auf verschiedenen Ebenen und lassen ebenso auf verschiedenen Ebenen deutlich werden, was Malerei sein kann.
Die Windows fügen sich wunderbar in den Raum gegenüber der grossen Fensterfront ein, bereichern ihn durch das Spiel von Licht, Farbe, Reflexion und Spiegelungen. Sie laden ein, sich ihnen zu nähern, sie zu umschreiten, durch das transparente Glas in den Raum und die anderen Windows zu blicken und zu sehen, wie die Farbe auf dem Glas spiegelnde Motive – gar einen selbst – aufnimmt und zum Teil der Arbeit werden lässt.
Durch den Perspektivwechsel wird die Wandelbarkeit der in den Raum greifenden Malerei deutlich erfahrbar. Egal von welcher Seite wir auf die Windows blicken, es eröffnen sich uns immer neue Erfahrungen. Blicken wir frontal zur Wand, nehmen wir das farbige Glas nur als Strich, als Hauch von Malschicht wahr. Ein Blick, der uns nur anhand des Loslösens von der Fläche gestattet ist. Von der Malfläche aus erleben wir die Haptik und die Stofflichkeit der einzelnen Pigmente, und ein Blick von der anderen Seite überrascht uns, welche Leuchtkraft das Glas für die Pigmente entfacht.
Die Idee des Fensters wird in der Komposition wieder aufgegriffen, wenngleich hier ein anderer Ursprung als der der Transparenz des Materials zugrunde liegt.
Die Künstlerin fertigt seit Längerem Zeichnungen von geöffneten, sich überlagernden Fenstern auf ihrem Laptop-Bildschirm an und überträgt jeweils die Kombinationen zweier Skizzen auf das Glas. Mit der Geste, einen digitalen Ursprung in eine analoge, malerische Bildsprache umzuwandeln, eröffnet Braun nochmals eine weitere Ebene, was Malerei zu sein vermag (MS).

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Annegret Eisele, Schilfrohr neben Seegras, 2021; Spuren des Anfangs, 2021; weiss bläht sich das Segel, 2020/21; 2, 2018; nicht neben mir, nicht neben dir, 2021; weit oben am Zenit, 2021; eisblau spiegelt das Wasser, 2021; Moos getränkt in Morgentau, 2020/21. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Mal dominant, mal zaghaft, dann wieder wild oder sanft, keck oder träge ziehen sich die farbigen Pinselstriche in vielfältiger Weise über die teils bis zu einem Meter umfassenden Arbeiten auf Papier von Annegret Eisele (*1980, Filderstadt, DE). Die einzelnen Werke verbinden sich im Foyer des Kunsthaus Baselland zu einer grossen Installation, die eine vielschichtige Erzählwelt eröffnet. Die Farben, Formen und Linien fangen Eindrücke und Empfindungen der Künstlerin ein und bilden einen Schwarm voller Momentaufnahmen. In ihrer Malerei findet Eisele eine Ausdrucksform – eine Formensprache –, wie sie sich eine Parallelwelt aus Strukturen von Farbe, Licht und Klang vorstellt. Mit der Farbigkeit in ihren unzähligen Nuancen versucht sie eine Klangraum zu schaffen, wobei die Farbe zugleich eine Einladung ist, in den Moment der abstrahierten Bildwelt einzutauchen – oder geradezu abzutauchen. Unterstützung bei der Aufforderung, in das Bild zu entgleiten, findet die Farbigkeit in den knappen, poetisch anmutenden Titeln, die versuchen eine Brücke zu schlagen zwischen Bild, Malerei und Sprache.
Mit einem Interesse für Poesie und Abstraktion im Alltag zeigen die Werke Reminiszenzen an ihre ursprüngliche Inspiration. Die Künstlerin faszinieren besonders ungewöhnliche Anblicke alltäglicher Dinge – seien dies Symbole und Signale, die als solche kaum mehr erkenntlich und lesbar sind, seien es Ausbesserungen an Hausfassaden, die durch einen leicht anderen Farbton sichtbar werden. In gleichem Masse inspirieren sie einfache technische Konstruktionen oder der Blick in die Weite, Naturphänomene und Licht. Dabei spielt der Fokus auf den Moment immer eine zentrale Rolle für Annegret Eisele, da er die Zeit für sie ausdehnt, intensiviert und sie dabei in eine andere Realität entgleitet (MS).

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Simone Holliger, Sediment Fundament, 2021. Courtesy the artist and Nicolas Krupp. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Da ist das Überrascht-Sein über die Wahl der Mittel und vor allem deren Wirkung. Immer wieder aufs Neue. Ist es Metall, geschnitten und geschweisst, Stein, das tonnenschwer an der Wand hängt, oder ist und kann es tatsächlich Papier sein? Doch um die Verwirrung geht es Simone Holliger (*1986, Aarau, CH) nicht, vielmehr wählt sie das spezifische Material, um dem Prozess und auch der Freiheit beim Machen bestmöglich nachkommen zu können– meist vor und am Ort. Frei im Raum stehende Körper oder auch Reliefs wie jenes im Kunsthaus werden über Tage in Schichten aufgebaut. Sie wachsen in den und mit dem Raum, der sie umgibt.
Die in Basel arbeitende Künstlerin denkt und baut den Raum mit, seine Beschaffenheit, seinen Tonwert, seine Gerüche, Temperaturen, Menschen. Auch Entscheidungen über Farbgebungen entstehen am Schluss als logische Konsequenz. Im Raum selbst wird schon allein durch ihre Grösse die Raumfigur zum relevanten Gegenüber, öffnet sich hier und da für Einblicke in das Werk, aber auch in seine Machart.
Sie ist mal matt, mal glänzend, dann wieder sanft oder scharfkantig. Ihr ganzes Geheimnis scheint sie jedoch nie recht preiszugeben, denn die Faszination für das, was sich da vor einem ausbreitet, bleibt auch bei längerer Betrachtung – und eben auch das Überrascht-Sein (IG).

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Sonja Lippuner, Zunge, 2021. Courtesy the artist; Annegret Eisele, einfach immer zugleich, 2018. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Sonja Lippuner (*1987, Thurgau, CH) begann ihre künstlerische Karriere als Bildhauerin. Mit der Zeit fing sie an, sich vor allem mit dem Medium der Zeichnung zu beschäftigen und damit die Grenzen zur Installation auszuloten. Mit Zeichnungen auf Tüchern, welche sie im Raum inszeniert, formt sie einen fliessenden Übergang von zweidimensionalen Zeichnungen zu installativen Situationen.
Der Arbeitsprozess an sich ist der Künstlerin sehr wichtig. Sich immer wieder neu zu verorten, sich zu fragen: Wo stehe ich? Mit welchen Dimensionen arbeite ich? Immer wieder aus der Arbeit herauszuzoomen und sich das Ganze aus der Distanz anzusehen, spielt für sie eine wichtige Rolle. Dieses Ein- und Auszoomen, das Sich-Verorten, um immer neue Perspektiven einzunehmen – diese Prozesse spiegeln sich in der Arbeit Zunge von Sonja Lippuner im Kunsthaus Baselland wider.
Das Werk erinnert an eine Landkarte. Die Kreise und Linien breiten sich im Foyer aus und lenken die Besucher*innen durch den Beginn der Ausstellung: Die Karte einer unbekannten Landschaft, durch die man jedoch nicht hindurchgeht, sondern um sie herum, zu der man sich immer wieder neu positioniert und die einem ein Stück weit vorgibt, wie man sich durch das Foyer in die Ausstellung hineinbewegt. Durch seine Grösse und die Position auf dem Fussboden bleiben die von uns am Weitesten entfernten Teile unscharfe Gebiete an der Peripherie unserer Wahrnehmung (MG).

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Vincent Lo Brutto, Ninfa (I), 2020; Ninfa (II), 2020. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Weisse Mikrofasertücher, die zur Reinigung von Oberflächen verwendet werden, die blaue Flüssigkeit ist Fensterputzmittel. Die Flüssigkeit in den schmalen Vitrinen steht unterschiedlich hoch, die weissen Stoffe saugen die Feuchtigkeit langsam auf. Die Zeit läuft und kann dabei durch die blaue Farbe beobachtet werden. Vincent Lo Bruttos (*1995, Mulhouse, FR) Installationen schwanken zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen Präsentation und Repräsentation. Fürs Überleben der Kunst ist die Konservation unverzichtbar, jedoch bleibt sie im Hintergrund, wird eigentlich nie selbst zum Thema. Die Putzutensilien halten die Skulpturen sauber, deren Bestandteil sie geworden sind. Nachdem sich der Künstler eingehend mit Konservierungs- und Ausstellungsmöbeln beschäftigt hat, werden diese in den Arbeiten zur Hauptsache und nehmen als selbstständige Werke den Platz auf den Podesten ein. Die Funktion wird zum Subjekt, das Unsichtbare sichtbar.
Die Titel der beiden Arbeiten, Ninfa (I) und Ninfa (II), wecken Assoziationen zu den Nymphen, den Naturgeistern aus der griechischen und römischen Mythologie. Sie leben fast unendlich lange und bleiben dabei ewig jung. Die Zeit, die in den beiden Skulpturen so offensichtlich voranschreitet, spielt für die Nymphen keine Rolle. Der weisse Stoff in den Vitrinen erinnert an ihre leichten weissen Gewänder, die zwischen Bekleidung und Nacktheit oszillieren. In der klassischen Bildhauerei ist die Fähigkeit, Falten und das Fliessen von Stoff in Stein zu meisseln, ein Beweis für bildhauerische Virtuosität. Das Motiv des Faltenwurfs zieht sich durch Darstellungen aus allen Epochen der Kunstgeschichte. Die Stoffe in Lo Bruttos Werk sind eine Hommage an diese unsterbliche Figur der Draperie, die von Kunsthistorikern und Philosophen, wie zum Beispiel Aby Warburg und Georges Didi- Huberman, »Ninfa« genannt wird (MG).

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Céline Manz, fold; Aubette 63, 2019/20. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Welche Auswirkungen haben Biografie, das Geschlecht oder der Umgang mit dem künstlerischen Nachlass auf die heutige Wahrnehmung von Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts? Dies ist eine der zentralen Fragen, die Céline Manz (*1981, Zürich, CH) mittels Strategien der Aneignung und Rekontextualisierung in ihrem Werk verhandelt. Die der 1889 geborenen Künstlerin Sophie Taeuber gewidmete Arbeit fold; Aubette 63, eine Serie von Neonskulpturen, wurde erstmals für die Einzelausstellung 9 espaces distincts von Manz im Kunsthaus Langenthal 2020 konzipiert und nun für die Regionale 22 durch neue Elemente ergänzt.
1928 stellte Sophie Taeuber als Bauleiterin in Zusammenarbeit mit Hans Arp und Theo van Doesburg das Freizeitzentrum »Aubette« in Strasbourg fertig. In einer raumgreifenden Installation im Kunsthaus Baselland verweist Manz auf die dortige Foyer-Bar, einen von Taeuber entworfenen Raum. Deren erster Entwurf Aubette 63 konnte aufgrund eines Vetos von van Doesburg (»zu farbig«) nicht in dieser Form realisiert werden. Obwohl es sich um ein Kollaborationsprojekt handelte, beanspruchte van Doesburg mehrfach die Autorenschaft der »Aubette« für sich allein. Manz, die Taeubers Pläne und Architekturzeichnungen studiert hat, tritt diesem Versuch mit einer Geste der posthumen Zurückeroberung entgegen. Taeubers Synthese von Architektur und Malerei überträgt die Künstlerin heute in ihre eigene Formensprache, indem sie Farben und Formen der architektonischen Zeichnung Aubette 63 extrahiert und diese als leuchtende Neonskulpturen in den Raum setzt (IT).

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Camillo Paravicini, Ferien in Düsseldorf I, 2021; Pius beim Podologen, 2021; Ferien in Düsseldorf II, 2021; Herakles und der Nemeische Löwe, 2021; Ferien in Düsseldorf III, 2021; The Great Pretender, 2021; Ferien in Düsseldorf IV, 2021; Die Knalltüte, 2021; Ferien in Düsseldorf V, 2021; Black Friday, 2021. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Man könnte vielleicht so beginnen: Camillo Paravicini (*1987, Poschiavo, CH) stellt sich gegen jede Form der Behauptung. Behauptungen wie: Das ist Malerei, das ist keine, das eine ist wichtiger als das andere, dies hat mehr Wertigkeit als das usw. Er scheint den künstlerischen Akt genau dafür zu nutzen, um etwas herauszufinden und diesen Behauptungen etwas entgegenzusetzen. Ausgangslage für die im Kunsthaus neu produzierte Serie etwa sind kleine, in Sekunden ausgeführte Zeichnungen. Sind sie interessant genug, um bestehen zu können? Um diese Frage beantworten zu können, greift Paravicini auf ein aufwendiges Verfahren zurück. Die Zeichnungen werden vergrössert und in einer Art Hinterglasmalerei in ein Gemälde verändert, das sich in seiner ganzen Erscheinung von einer schnellen, kleinformatigen Geste in ein scheinbar makelloses Werk auf Hochglanz wandelt. Eine Form von Veredelungsvorgang, könnte man sagen, vielleicht auch eine Art Behauptung?
Es ist konsequent, dass Paravicini neben diese nunmehr malerischen, grossformatigen, »veredelten« Zeichnungen ebenso neu produzierte, bislang nicht gezeigte Fotografien aus seinem Archiv zeigt. Nicht von ungefähr wählt Paravicini den Titel Ferien in Düsseldorf und spielt dabei auf jene Düsseldorfer Fotografieklasse um Hilla und Bernd Becher und insbesondere deren Schüler und Schülerinnen an. Persönlichkeiten wie Thomas Ruff, Andreas Gursky oder Candida Höfer sind mit ihren grossformatigen, ästhetisierten Bildern – meist entstanden im Ruhrgebiet – zum Inbegriff für künstlerisch hochwertige Fotografie geworden. Bewusst dreht Paravicini nun auch diese Wertevorstellung um: Er setzt die präzisen fotografischen Kompositionen ins Kleinformat und ordnet sie somit grössenmässig den schnell hingeworfenen Zeichnungen unter – dabei bleibt er ernst und humorvoll zugleich. Hat jenes Foto nicht vor allem auch malerische Qualität? Sind Gattungszuschreibungen heute überhaupt noch sinnvoll? Oder bekäme es möglicherweise eine andere Wertigkeit in unseren Augen, wenn sich das Format änderte? High und Low liegen eben oft sehr nah beieinander – im Leben wie in der Kunst (IG).

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David Richter, Untitled, 2020; Untitled, 2018; Arcadia, 2021; Red Bather, 2020; Untitled, 2018. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

David Richters (*1988, Basel, CH) Gemälde verhandeln Schwellenmomente. Sie oszillieren zwischen Referenz und Spiegelung, Vorder- und Rückansicht sowie Form und negativem Raum. Mit entfernten Verweisen auf Werke von Etel Adnan, Nicolas Poussin, Tom Thomson oder Joaquín Sorolla untersucht der Künstler Bildsysteme, die er mittels des Verfahrens der Monotypie (Abklatsch) in einen zeitgenössischen Diskurs setzt. Das mit einer Folie übertragene Bild wird dabei zur Membran, die nicht nur Räume miteinander verschränkt, sondern sich in diese ausbreitet. Sowohl durch die Leerstellen als auch die bildliche Umkehrung wird suggeriert, die Farbe dringe durch das Leinen hindurch, was Betrachter*innen neu verortet: Sie schauen auf die Rückseite – oder eine Idee davon.
Mittels Strategien der Aneignung sowie Affirmation und Negation der malerischen Geste kreiert Richter in einer Zusammenstellung von Arbeiten der letzten drei Jahre neue Bildräume, die zentrale Fragen eines klassischen Mediums ausloten (IT).

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Maja Rieder, Mal, 2015. Courtesy the artist and Tony Wuethrich Galerie. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Wer ein quadratisches Mass wählt, gibt keine Richtung vor – nicht nach rechts oder links, wie es von einem rechteckigen Mass ausgehen würde. Die Kraft kommt vielmehr aus der Mitte. Auch Grenzziehungen zwischen Malerei und Zeichnung weichen bei Maja Rieder (*1979, Solothurn, CH) einer grundlegenden Offenheit gegenüber ihrem künstlerischen Prozess. Ich erinnere mich an Aufnahmen aus ihrem Atelier: grosse, nur teilweise ausgerollte Papierbahnen, die beinahe den gesamten Boden bedecken. Die Künstlerin selbst, sich gebückt durch den Raum bewegend, mit breiten, teils selbst hergestellten Pinseln oder Bürsten. All die Grosszügigkeit, die ihre übergrossen, malerisch ausgeführten Zeichnungen ausstrahlen, liegen in diesen gekonnten Gesten: ein rascher Schwung, ein präzis ausgeführter Pinselstrich, der über das körperliche Mass geführt wird, eine intuitive Farbwahl, das gekonnte Führen von Farbe oder Tonwerten über den jeweiligen Bildträger, bis er ausläuft. Bisweilen werden die Papiere nass auf Chassis gespannt und später wieder davon abgenommen. Es sind die Ränder, die den Akt des Malens offenlegen und den Beginn von Linien, X-Kreuzen oder Schraffur zeigen; und die im Moment des Installierens wie ein zartes Gefüge sich mit Raumlinien zu verbinden scheinen (IG).

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Susanne Schwieter, Shh, 2019. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Susanne Schwieters (*1971, Basel, CH) skulpturale Arbeit aus der Serie tongues tritt von der Wand in den Raum hinein und begegnet Besucher*innen mit einer ruhigen Balance aus Farbigkeit, Linie und Weissraum. Die Form der pulverbeschichteten Aluminiumoberfläche erinnert dabei an eine Position der Zunge beim Vorgang des Sprechens.
Auf die Wand gesprühte Linien unterstreichen den zirkulierenden Vorgang der eingefrorenen Bewegung und verschwinden ins Unendliche unter dem Schatten des Metalls. Die Künstlerin beschreibt ihre abstrakten Arbeiten als »evolutive Formen«. Ein Konzept, das durch eine prozesshafte Annäherung die Übersetzung von Sprache in Zeichen untersucht und so flüchtige Bilder verfestigt. Shh, so der Titel des Werks, fragt auch nach der Bedeutung der Sprache für die eigene Identität sowie den damit einhergehenden Wahrnehmungs- und Denkstrukturen. Zeitgleich könnte es eine Beschreibung des Moments sein, in dem sich die Begrenztheit der Sprache abzeichnet und Farbe und Form einen Ausweg aufzeigen (IT).

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Kathrin Siegrist, Gartenzentrum, 2021. Courtesy the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto: Gina Folly

Kathrin Siegrist (*1984, Basel, CH) ist eine Künstlerin, die ihre Inspiration mehrheitlich aus gemeinschaftlichen und transdisziplinären Praxen schöpft. Der Austausch, das Diskursive und die Vermittlung besitzen eine zentrale Wichtigkeit in ihrem künstlerischen Schaffen, wobei sie mittels der Malerei einen Dialog zwischen Individuum und Kollektiv bildet.
Die hier im Kunsthaus gezeigte Arbeit erzählt von einer kollaborativen Situation im Atelier der Künstlerin: Die Installation des Vorhangs während der Regionale 22 sowie der begleitende Text sollen als Relikt oder Dokumentation eines Moments im Gartenzentrum fungieren. Während des Lockdown, als Anfang des Jahres kulturelle Einrichtungen aufgrund der Pandemie ihre Tore schliessen mussten, die Gartenzentren hingegen von diesen Restriktionen nicht betroffen waren, verwandelte Siegrist ihr Atelier in ein eben solches. In diesem Raum wurde in kleinem Rahmen der kulturelle Austausch aufrechterhalten, während dies in den angestammten Institutionen nicht mehr möglich war. In diesem Kontext entstand der Vorhang als ortsspezifisches Werk, als ein Display, ein funktionales und performatives Raumobjekt zugleich – eine Malerei, welche einen (sozialen) Raum bildet, die weich und beweglich ist, während das Gewebe der Vorhänge an klassische Bildträger erinnert.
Die organischen und synthetischen Gewebe, die ursprünglich den Raum von der Decke bis zum Boden bespielten, vermitteln durch ihre Materialität und Farbigkeit, Wärme und Geborgenheit. Sie laden dazu ein, sich dem Werk zu nähern, um die textile Malerei auf verschiedenen Ebenen zu erfahren (MS).