Regionale 19

25.11.2018  —
7.1.2019

Liquid Planet: Abstrakte Malerei heute

Wie viel Kraft und Gegenwärtigkeit trauen wir Malerei heute zu? Wie viel Relevanz und Präsenz? Die diesjährige Regionale im Kunsthaus Baselland stellt 20 Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Generationen aus der trinationalen Region vor. Alle legen in ihrem Werk einen Schwerpunkt auf die ungegenständliche Malerei und verhandeln dabei Möglichkeiten einer anhaltend relevanten malerischen Praxis.

Die ausgewählten und eingeladenen Künstler und Künstlerinnen werden mit vornehmlich grossformatigen, mehrere Werke umfassenden Präsentationen vorgestellt.

Parallel zu dieser Gruppenschau zeigen die KünstlerInnen Muda Mathis, Sus Zwick und Hipp Mathis im Annex des Kunsthauses ihr neues Werk L’univers de Germaine — ein dreiteiliges Videoprojekt, in dessen Fokus die 82-jährige Germaine Winterberg — eine aussergewöhnliche, weit gereiste Basler Persönlichkeit — steht.

KuratorIn: Ines Goldbach; Assistenzkuratorinnen: Carole Ackermann, Klarissa Flückiger und Ines Tondar

Amadio Anna G 2018 1
Anna Amadia, The closest I could get, 2017, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Foto: Serge Hasenböhler

In ihrer Serie The closest I could get bewegt sich Anna Amadio (*1963 in Belp, lebt und arbeitet in Basel) so nahe wie nur irgend möglich an die Malerei heran — und dies auf eine aussergewöhnliche Weise. «Jedes Bild nimmt auch Raum ein, ist dieser oft auch vergessen, da er sehr gering erscheint», so die Künstlerin. Diesen Raum, der Teil der Malerei ist, untersucht Amadio in ihrer Serie. Indem sie den Farbauftrag von Schlüsselwerken der Kunstgeschichte nachspürt, besser gesagt, Schicht für Schicht mit den exakt gleichen Pinselstärken und dem gleichen Duktus nachmalt, erreicht Amadio einen intensiven haptischen Dialog mit dem Gegenüber. Im nächsten Schritt übergiesst Amadio die feinen Malerei-Landschaften mit Acrylfarbe, wobei die Wahl der Farbe an die Originalbilder angelehnt ist. Danach zieht sie diese farbigen Acrylhäute von ihren Trägern ab und offenbart dabei das Negativ — und damit den Raum des Bildes. Amadio befreit die Malerei von ihrem bekannten grossen Nenner, der Erkennbarkeit, und ermöglicht uns gewissermassen einen Blick hinter die Kulisse. Sie diskutiert in ihren Werken die Schnittstelle zwischen Bild und Raum, zwischen Malerei und Skulptur, und sie übersetzt damit Meisterwerke der Malereigeschichte in einen zeitgenössischen Dialog. (KF)

Braun Anja G 2018 1
Anja Braun, Bridge, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Als «Malerei im erweiterten Feld» bezeichnet Anja Braun (*1985 in Freiburg i. Br., lebt und arbeitet in Basel) ihre Arbeit. Im Kunsthaus Baselland ist sie während der Regionale 19 mit einem Werk vertreten, das einerseits einer monochromen Malerei entspricht, andererseits Skulptur und Installation ist. Eine violette Fläche, deren Farbe sich zu verändern scheint, leicht schillernd im natürlichen Lichteinfall. Der bemalte Gipskörper fungiert auch als Resonanzkörper. Die feinen Geräusche werden mittels Resonatoren auf den Gips übertragen und erhalten einen unverwechselbaren Ton: Das Plätschern von Wasser sowie verschiedene andere Stimmen aus der Natur gehen von dem malerischen Objekt aus. Durch diese «klingende Malerei» erreicht Braun einen Moment der direkten Begegnung zwischen Objekt und Gegenüber. Es ist gerade diese Kombination aus Form, Farbe und Klang, die das Anziehende, beinahe Verführerische der Arbeit ausmacht. Das Werk strahlt Ruhe, aber auch eine erstaunliche Kraft und Präsenz aus.
Seit Langem setzt sich Anja Braun intensiv mit Formen, Materialien, Oberflächen und der Energie der Malerei auseinander. Durch den Klang gibt sie ihren Objekten eine eigene Sprache und Aura. Braun selbst beschreibt sich als aus der Malerei kommend, jedoch lässt sie sich dabei nicht auf ein Medium beschränken. «Ich kann mit einem Video genau so malen wie mit Pinsel und Farbe.» Das grundlegende Interesse bleibt die Faszination für das Auratische, die Illusion sowie die Untersuchung von Form und Farbe. (KF)

Cozzani Emma G 2018 1
Emma Cozzani, Out of the Blue, 2016, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Ismael Lorenzo

Emma Cozzanis (*1989 in Ajaccio, lebt und arbeitet in Strassburg) Ansatz bildet eine Schnittstelle zwischen den drei Dimensionen Bild, Raum und Sprache. Ihre Videoarbeit Out of the Blue von 2016 ist ein Eintauchen in Farbe, die immerzu fliessend ist. Sie geht davon aus, dass jeder Mangel an visueller Stimulation zu einer Reihe von lebhaften, hellen und mehrfarbigen Halluzinationen beim Menschen führt. Cozzanis Referenzen zu den Bereichen Literatur und Theater werden durch das Auftauchen einer dritten Stimme neben einem Dialog zwischen zwei fiktiven Charakteren deutlich. Diese suchen jeweils nach neuen Wegen des Sprechens und Sehens. Die von der Künstlerin erzeugten Formen spiegeln das sensible Verhältnis zur Realität am Rande der Fiktion wieder. (IT)

Falkner Adrian G 2018 1
Adrian Falkner, Abandoned – Winter is coming 1-3, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Der in Basel tätige Künstler Adrian Falkner (*1979 in Liestal, lebt und arbeitet in Basel) setzt sich konsequent mit dem Begriff der Oberfläche auseinander. In seiner neuesten Serie befragt er die Oberfläche als Träger und als Material. Der poetische Titel Abandoned gibt bereits einen Hinweis auf den thematischen Inhalt der Arbeit. «Abandoned» bedeutet so viel wie herrenlos oder verlassen. Die verwaist wirkenden Gemälde bestehen aus Schichten von Leinwand, gerissenem Papier und sanften Farbtönen. Durch diese Fragmente und Farbigkeit wird eine endende oder vergangene Zeit spürbar. Falkner verhandelt in seinen drei Werken jedoch auch eine gänzlich andere Schnittstelle. Indem er eine nicht perfekte, raue, von Papierschnipseln geformte Oberfläche als Arbeitsmaterial wählt, stellt der Künstler Graffiti und Malerei einander auf neue Weise gegenüber. Ein Graffiti wird massgeblich von seinem Untergrund geprägt: die raue Oberfläche von Putz, vielschichtige Plakatwände und geriffelte Metallgehäuse; werden bespielt und sich angeeignet — ähnlich der provokanten Arbeitsweise der Affichisten. Adrian Falkner thematisiert die Problematik des White Cube, der ungeformten, charakterarmen Oberflächen in einem traditionellen Ausstellungsraum. Als ein Künstler, der sich auch in der Graffitiszene bewegt, findet Falkner einen malerischen Weg, den Diskurs um die Frage der Graffitikunst im Ausstellungskontext zu führen, indem er die Oberfläche zum Inhalt seiner Gemälde macht und diese nicht durch Provokation auszeichnet, sondern ihnen eine Vergänglichkeit zuspricht. (KF)

Fontana Corsin G 2018 1
Corsin Fontana, Ohne Titel #29, 2015; Ohne Titel #1, 2011/12, Ohne Titel #23, 2014, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

An Effekten ist Corsin Fontana (*1944 in Chur, lebt und arbeitet in Basel) in seiner Malerei nicht interessiert. In einem zeitintensiven Prozess werden mit viel Ölkreide — spezielle, aus Leinöl und Farbpigmenten gepresste Zylinderstäbe — horizontale oder vertikale Bahnen und Liniengeflechte auf die gespannte Leinwand geführt und gedrückt. Die maximale Grösse der Werke entspricht dem Körpermass des Künstlers und erzählt vielleicht zugleich etwas vom Masshalten in seiner Malerei. Keine Effekte, doch eine bisweilen malerischere Ausführung der einzelnen Bahnen, die je nach geschnittener Ölkreide mal breitere, mal schmalere Bahnen ausweisen können. Meist ist es nur eine einzige Schicht an Streifengefügen, die er auf die Leinwand setzt und damit eine überraschende Wirkung erhält.Der Druck auf die Ölkreiden, die Fontana in meist eher gedeckten Farben und Tonwerten verwendet, verändert auch die Grate, die sich zur Seite anheben; der Künstler selbst spricht von «Brauen», um das geradezu landschaftsgleiche Relief seiner Gemälde zu beschreiben. Dieses Relief ruft Licht und Schatten hervor, die Daseinsfrage ist Inhalt seiner Malerei. Die so entstehenden Ölkreidezeichnungen und -gemälde faszinieren nicht nur durch die Gleichzeitigkeit von Bildgrund, aufgetragener Struktur und der dadurch zart vibrierenden Oberfläche bei gleichmässig einfallendem Licht, sondern auch deswegen, weil sie zum Ausdruck bringen, was abstrakte Malerei kann – trotz der Reduktion der Mittel ein Höchstmass an Präsenz im Raum. (IG)

Freisager Katrin G 2018 1
Katrin Freisager, Liquid Landscape 5, 2016; Liquid Planet 2, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Abstrakte Malerei mit den Mitteln der Fotografie? Malerische Fotografie? Katrin Freisager (*1960 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich und Basel) schafft genau beides. Ihre verführerisch und zugleich rätselhaft anmutenden Fotografien zeigen einen neuen Weg, den die Malerei heute gehen kann. In einem ersten Prozess mischt Freisager unterschiedliche Öle, Farbpigmente oder auch Tuschen und bringt diese auf Glasflächen auf oder mischt sie in Wasserzylindern zu überraschenden Verbindungen — einem malerischen Prozess nicht unähnlich. Erst dann wird das Resultat in das richtige Licht gesetzt und zur Kamera gegriffen. In der Fokussierung auf die Nahsicht auf die so entstandenen Pigment- und Wasserablagerungen arbeitet die Künstlerin erstaunliche Tiefenschärfen und Details heraus. Gleich einer Alchimistin, lässt Freisager für uns Landschaften entstehen, die sich zwar jeder genauen Zuschreibung zu entziehen scheinen und dabei doch die Fähigkeiten besitzen, Erinnerungen und Gefühle von Orten oder Situationen wachzurufen und zugleich ein rein abstraktes Bild zu sein. (IG)

Ganster Anja G 2018 1
Anja Ganster, O.T. (Lianas 5), 2018; Fold, 2017; O.T., 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Anja Ganster (*1968 in Mainz, lebt in Binningen, BL) findet über den Ausschnitt und die Reduktion den Weg in die Abstraktion. Seit vielen Jahren hinterfragt sie konsequent das Verhältnis zwischen der gegenständlichen Welt und der individuellen, sich stets verändernden Wahrnehmung. Ganster orientiert sich an Licht und Schatten als formgebende Instanzen, wobei unter Einsatz verschiedener Techniken vielschichtige, gross- und kleinformatige Malereien entstehen.
Eine zentrale Grundlage ihrer Arbeit bildet das Reisen in fremde Länder und die damit verbundene Neuordnung der inneren und äusseren Zustände. Dabei zielt die Künstlerin nicht auf die Darstellung spezifischer Orte ab, sondern vielmehr auf den Ausdruck einer alles umfassenden, atmosphärischen Wirklichkeit. Ganster entzieht den dargestellten Objekten ihren räumlichen Kontext und rückt damit das innere, sich laufend neu konstituierende Sehen in den Vordergrund. (CA)

Handschin Gert G 2018 1
Gert Handschin, Quadratbild, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenbähler

Die hier gezeigten Werke der fortlaufenden Serie Quadratbild von Gert Handschin (*1959 in Basel, lebt und arbeitet in Basel) sind aus mehreren Zentimeter dicken MDF-Platten gefertigt und messen nur 17 Zentimeter Kantenlänge. Durch die Bearbeitung der Kanten und das Auftragen von unterschiedlichsten Farben in mehreren Schichten realisiert der Künstler aus einst identischen Platten eine Vielfalt an skulpturalen Gebilden, die in ihrer Raumwirkung stark divergieren.
Das Spiel mit der optischen Täuschung ist für Handschins Werk prägend. Aus der Fläche lässt er Räume entstehen oder manipuliert diese durch geschickt platzierte Eingriffe. Auch in früheren Arbeiten, die sich oft im Spannungsfeld zwischen der Zweidimensionalität und dem Skulpturalen bewegen, nutzte er bereits die Malerei als Technik. Die Serie Quadratbild zeigt diese jedoch noch offener und mit deutlich sichtbarem Malgestus, wodurch der Künstler das Thema der seriellen Produktion spielerisch aufbricht. (CA)

Hauri Thomas G 2018 1
Thomas Hauri, Ohne Titel, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Das Kunsthaus Baselland zeigt im Rahmen der Regionale 19 zwei grossformatige Arbeiten von Thomas Hauri (*1974 in Menziken, lebt und arbeitet in Basel), die einen neuen Schritt innerhalb seines Werkes markieren. In seinen 2018 entstandenen Arbeiten Ohne Titel nutzt er die Technik der Negativfrottage. Ein von ihm gewählter Begriff, der den Unterschied zur gängigen Frottage, nicht Farbe auf weisses Papier aufzutragen, sondern dunkle Farbe davon abzuspülen, verdeutlicht. Zu Beginn trägt Hauri mehrere Farbschichten auf, zuoberst eine schwarze. Anschliessend bringt er das Papier zu einer ersten Abwaschung ins Freie. Innerhalb ausgewählter Felder bearbeitet Hauri das Papier mit einer Bürste auf asphaltierten Untergründen.Nach dem Abspülen der gelösten schwarzen Farbe entsteht ein auch für den Künstler im Moment des Machens unvorhersehbares (Ab-)Bild, das aufgrund des scheinbaren «Durchleuchtens» der unteren Schichten an Röntgenaufnahmen architektonischer Strukturen erinnert. (IT)

Hofmann Hanspeter G 2018 3
Hanspeter Hofmann, Ohne Titel, 2004; Ohne Titel, 2018; Ohne Titel, 2008, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Foto: Serge Hasenböhler

Hanspeter Hofmann (*1960 in Mitlödi, lebt in Binningen, arbeitet in Basel) arbeitet in Werkserien und aufeinander aufbauenden Prozessen. Es können lang anhaltende Phasen sein, bei denen aus der einen Bildfindung eine neue entsteht oder wieder verworfen wird. Das Detail einer Struktur, eines Liniengefüges, eines Images, welches nicht selten an abstrakte Organismen erinnert, wird zum Hauptsujet eines anderen. Unterschiedliche Formate legen neue bildnerische Schwerpunkte. Gleich einer naturwissenschaftlichen Forschung hinterfragt Hofmann in seinen oftmals grossformatigen Werken den Mikro- und Makrokosmos des In-der-Welt-Seins. Es ist ein stetes Changieren zwischen organisch anmutenden Strukturen und Bildelementen wie Totenköpfen, Schriften, Vögeln, Affen etc., die das abstrakte Gefüge brechen. «Sciencepop» möchte man als Begriff dafür erfinden. Das planerische, auch strategische Vorgehen gewinnt in seiner kraftvollen, bisweilen an medizinische Bildgebungsverfahren erinnernden Bildsprache ebenso an Bedeutung wie der Zufall und das Entstehen-Lassen aus dem Prozess heraus. Dieses künstlerische Vorgehen ist für Hofmann Teil eines Erkenntnisgewinns, der sich als Erklären- und Verstehen-Wollen und -Können auf den Betrachter respektive die Betrachterin zu übertragen vermag, ohne dabei an Sinnlichkeit einzubüssen. (IG)

Huber Matthias G 2018 2
Matthias Huber, Ohne Titel, 2017, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Matthias Huber (*1980 in Bottmingen, lebt und arbeitet in Basel) beschäftigt sich mit Fragen der Bildfindung. Dabei können die Sujets abstrakt, figürlich oder konkret sein oder auch wie Farb- und Formstudien wirken. Sein Atelier erinnert an eine breit gefächerte Ordnungsauslage, in welcher der Künstler malend sammelt und archiviert. Fast scheint es so, als würde Huber jedem Farbton all seine Möglichkeiten entlocken — eine von ihm mit Pigmenten gemischte Farbe kann beispielsweise zu einem Quadrat auf kleiner Leinwand vermalt werden, in einem sehr grossformatigen Werk als abstrakte Form zu tragen kommen oder weiterführen zu einer Figur, die an ein Tier oder Gegenstand erinnert. Malen ist für Huber genau das: das Anlegen eines vielschichtigen Bild-, Formen- und Farbarchivs. Sinnlichkeit büsst dieser künstlerische, theoretisch anmutende Vorgang jedoch nicht ein. Denn jeder Bildfindung legt Huber ein sicheres Gespür für emotionale und räumliche Wirkung zugrunde, die sich im Gegenüber zu entfalten vermag. (IG)

Jung Kwanyoung G 2018 1
Kwanyoung Jung, Wasserfall, 2017, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Mit der Arbeit Wasserfall betritt Kwanyoung Jung (*1974 in Seoul, lebt und arbeitet in Karlsruhe) eine neue Phase seines Schaffens. Wo zuvor der utopische Raum das zentrale Element war, beginnt Jung nun, diesen Raum zu erkunden. Die Linien, mit welchen er seine Raumbilder aufbaute, werden befreit, um eine eigene Form zu finden. «Ich habe immer Räume geschaffen und diese durch lineare Strukturierung untersucht und geformt. Nun steht die Frage im Zentrum, was befindet sich in diesen Räumen — vielleicht ein Wasserfall?» Die strengen Linienbilder werden durch die gewählte Technik auch in ihrer Dynamik aufgebrochen. Durch das Auftragen, Einwirken und Wiederauswaschen von Gouache auf Steinpapier entsteht diese einzigartige Farbgebung, die den Wasserfall so lebendig und wandelbar erscheinen lässt. Jung sieht seine abstrakte Formsprache als Möglichkeit, Platz zu schaffen für eine eigene Welt, in der eigene Regeln aufgestellt werden können. Diese eigenen Welten erforscht er konsequent und akribisch, wobei ihm das Unerwartete und Überraschende auch als zentrales Werkzeug dient. (KF)

Klein Emil Michael G 2018 1
Emil Michael Klein, Emil Michael Klein, 2017, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Foto: Serge Hasenböhler

Wo beginnt ein künstlerischer Prozess? Wie beginnt ein Bild, ein Gemälde, eine Zeichnung, wie lässt sich eine Fläche gestalten, wie deren Kanten? Wie viel Nachvollziehbarkeit und Ehrlichkeit lässt Malerei zu? Emil Michael Klein (*1982 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich) beginnt seine Gemälde meist damit, wie andere den Prozess beenden — etwa mit der Signatur. Von ihr ausgehend wird eine ganze, grossformatige Fläche organisiert und schlussendlich zum monochromen Gemälde mit drei Buchstaben als malerisches Rückrad: EMK. Oder aber er beginnt bei Flächen, die er mit Ölfarbe auf die Leinwand aufträgt, in dünnen Schichten, frei über die Leinwand verteilt. Die Lineatur, die in der Begegnung und dem sich Aufeinander-zu-Bewegen entsteht, interessiert ihn. Sie wird mit weiterer Ölfarbe formuliert, herausgearbeitet, überdeckt, neu formuliert, kann pastos oder in nur ein bis zwei Linienführungen umgesetzt sein. Zarte Bleistiftstriche werden sichtbar und legen das künstlerische Vorgehen offen. Der suchende Maler, der sein Ringen offenlegt? Eher ist es das Offenlegen eines Prozesses, der nicht linear verläuft, sondern bisweilen erst in der Umkehrung, im Neu-Sehen und -Denken seine Sinnfälligkeit auch für jenen erhält, der nicht nach Pinsel und Leinwand greifen kann. (IG)

Levi Renee G 2018 Rgb Website
Renée Levi, Elaine, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Es könnte auch eine Wandmalerei sein, so weit breitet sich die Arbeit von Renée Levi (*1960 in Istanbul, lebt und arbeitet in Basel) über viele Meter auf der Wand des Kunsthaus Baselland aus. Tatsächlich entspricht das Mass einem handelsüblichen Format für grosse Baumwolltücher. Levi interessiert der Raum als Ort oder auch der Raum einer zweidimensionalen Fläche an sich, der durch den rasch aufgetragenen Gestus — gemalt oder gesprayt — gewandelt wird und das Gegenüber verführen vermag. Für Levi kommt Malerei vor allem einem Angebot gleich; ein Angebot mitzuleben und sich nicht nur visuell, sondern auch physisch wie emotional auf die Malerei einzulassen. Wie ein Kraftfeld umfängt ihre Malerei das Gegenüber, will nicht erklären oder intellektualisieren. Sie versteht ihre in meist enormer Geschwindigkeit und unter hohem Körpereinsatz entstandene Malerei eher als eine Einladung sich mitreissen und aktivieren zu lassen — um im Idealfall selbst aktiv zu werden. (IG)

Sari Dorian G 2018 1
Dorian Sari, Bleaching, 2018, Curvy, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Kunsthaus Baselland

Eine Matratze begleitet den Menschen in intimen Situationen wie dem Schlafen, Träumen, Schwitzen oder gar dem Sterben. Jeder Mensch habe eine eigene Matratze verdient, findet Dorian Sari (*1989 in Izmir, lebt und arbeitet in Basel und Genf). Der in Basel tätige Künstler ist ein Beobachter von Politik, Sozialbewegungen und Emotionen. Für seine Arbeit Bleaching, 2018, teilte er das Innenleben einer 90-Zentimeter-Matratze, die er auf der Strasse fand und an der langen Seite zusammennähte. Das sich darin befindliche schwarze Füllmaterial wurde von ihm im unteren Teil nachträglich gebleicht — auch als Reaktion auf eine Dokumentation zum «Skinbleaching» in afrikanischen Ländern. Die Aufhellung der Haut ist ein Trend, den farbige Frauen verfolgen. Mithilfe illegaler «Skinbleaching»-Cremes streben sie nach hellerer Haut, meist auf Kosten ihrer Gesundheit. Die Skulptur von Dorian Sari wirkt durch die Aufhellung wie ein abstraktes Gemälde, wobei das Innenleben der Matratze als Leinwand dient. Für die Arbeit Curvy hingegen verwendete Sari Epoxyharz und Reissverschlüsse. Das stille Nähen als Ritual innerhalb des Produktionsprozesses hilft dem Künstler, seine Beobachtungen in bestimmte Materialien zu entladen. Wo Reissverschlüsse eigentlich ein Öffnen und Schliessen bedeuten, hebelt Sari diese Funktion aus, indem er sie mit Harz für immer verschliesst. Zudem befindet sich dahinter scheinbar nichts — nur ein Gestell, das uns an den Rahmen einer Leinwand erinnert. (IT)

Schori Angelika G 2018 1
Angelika Schori, Behind the silver Rainbow #1-6, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

In ihrer Arbeit diskutiert die in Basel tätige Künstlerin Angelika Schori (* 1981 in Biel/Bienne, lebt und arbeitet in Basel) die Begriffe Malerei, Skulptur und Zeichnung gleichermassen. Grafische Formen erheben sich von den Flächen und lösen so das Bild von der Wand. Ihre Objekte beginnen Raum einzunehmen und öffnen sich einer neuen Dimension. Zugleich «malen» einige ihrer Arbeiten eigene Bilder, indem die Farben, welche Schori bei diesen Werken auf die Hinterseiten der Metallplatten aufträgt, einen Farbschein auf die Wand dahinter werfen. Durch die Reflektion der Farbe auf die weisse Wand entsteht eine verselbstständigte Malerei ohne direkten Farbauftrag. Durch das Verwenden von klaren Flächen, Linien und Farben findet Angelika Schori einen Weg, die Fundamente von Zeichnung und Malerei in Skulptur zu überführen. In ihren ortsspezifischen Werken ist zudem eine präzise Auseinandersetzung mit dem Raum zu spüren, wobei das Umkehren des Raumes oder das Betrachten aus einem anderen Blickwinkel im Zentrum stehen. Ihre Arbeiten lassen die Betrachtenden innehalten, um über die Wahrnehmung von Raum und Perspektive nachzudenken, und sie laden dazu ein, sich von den sanften Farb- und Formspielen verzaubern zu lassen. (KF)

Seitz Bruno G 2018 1
Bruno Seitz, o.T., 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Bereits beim ersten Schritt ins Atelier ist es klar: Es geht um Malerei. Ausgedrückte Farbtuben stapeln sich zu kleinen Bergformationen, der Geruch von Ölfarbe ist unausweichlich. Bruno Seitz (*1955 in Solothurn, lebt und arbeitet in Basel) braucht viel Ölfarbe für seine Gemälde, sehr viel; auch für die kleinformatigen, kaum breiter als 50 Zentimeter. Muten die Werke von Weitem als pastose, abstrakte Gemälde an mit möglichen Anklängen an Landschaft oder kunsthistorische Zitate, bietet die Nahsicht ein anderes Bild. Farbkrater tun sich dort auf, zeigen die unzähligen Farbschichten, die über- und nebeneinander liegen. An ihren Bruchstellen und -rissen erzählen sie von einem Malprozess, der Zeit, Erinnerung, aber auch das Wagen, Scheitern und Neubeginnen in sich trägt. Verwischt, mit dem Spachtel aufgetragen, in zeitintensiven Prozessen, ganz oder noch nicht durchgetrocknet, vermag Seitz seit Jahrzehnten aufzuzeigen, dass Malerei auch etwas anderes als Öl auf Leinwand bedeuten kann, dass dieses Verhandeln von kontrolliertem Auftrag und gleichzeitigem Zulassen von Emotionen — im ständigen und lang anhaltenden Vis-à-vis mit der Leinwand — auch plastische, raumgreifende Arbeiten hervorbringen kann. Das Auge wird zum Archäologen, das gräbt, entdeckt, sich verliert. Und erstaunt sein darf, wie tiefgreifend im doppelten Sinn Malerei heute sein kann. (IG)

Suter Vivian G 2018 1
Vivian Suter, Ohne Titel, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Der Begriff «abstrakte Malerei» greift bei der mit Basel eng verbundenen Vivian Suter (*1949 in Buenos Aires, lebt und arbeitet in Guatemala) nur am Rande. «Radikal im Dschungel», betitelte vor wenigen Monaten eine Tageszeitung ihr Schaffen. Und auch das mag irritierend anmuten. Wie also lässt sich der richtige Begriff finden für eine Malerei wie die ihre, die alle Realitäten aufzunehmen vermag; deren Atelier tief in der Regenwaldlandschaft von Guatemala zwar Böden und Decken hat, aber nur wenige Wände. In welchem die Landschaft, das Wetter, die Tiere ebenso ihren Anteil haben wie die Malerin selbst. Meist werden die noch ungespannten Leinwände von Vivian Suter mit grossen, gestischen Pinselbewegungen und Acrylfarbe bearbeitet, der Witterung ausgesetzt, durch die Landschaft getragen, getrocknet, weitergemalt. Alle Ablagerungen von Zeit und persönlicher Malerei finden sich auf den Leinwandtüchern, die mal eine klare Begrenzung durch einen Keilrahmen erhalten können oder auch frei von Wänden oder Decken hängen. Abstrakt ja, aber auch real, so real, dass all das, was im Moment der Entstehung anwesend ist, ein wesentlicher Teil des Werks bleibt und sich nachhaltig einschreibt. (IG)

Weggenmann Markus G 2018 2
Markus Weggenmann, Flache Skulptur Nr.5+7, LW 109+110, 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Die teils gewaltigen Grossformate, vor denen Markus Weggenmann (*1953 Singen, lebt und arbeitet in Zürich) seit Jahrzehnten in seinen Werken nicht zurückschreckt, beginnen meist sehr klein. Bisweilen sind es Blätter im A3-Format, auf welchen er mit raschem Pinselstrich, frei und ohne Vorzeichnungen, Bildfindungen entstehen lässt; Farb- und Formkombinationen werden spontan gesetzt, weitergeführt, verworfen, wieder aufgegriffen. Ein erstaunliches Bildarchiv hat sich so entwickelt. Erst in einem zweiten Schritt werden einzelne Bilder herausgegriffen und auf die grossen Formate, die bis zu drei Meter annehmen können, in höchster Präzision mit matten, nur schwach gebundenen reinen Pigmenten auf liegende Leinwandträger übertragen. In der aktuellen Werkserie, die Weggenmann selbst als «flache Skulpturen»bezeichnet, sind es Formationen, die an Denkmäler, Stelen oder Steingebilde oder auch Assoziationen an hoch aufragende Köpfe erinnern mögen. Und doch ist es nicht das abstrakte Formenvokabular, das den Künstlern in erster Linie zu neuen Arbeiten antreibt — die Frage nach der Präsenz von Malerei, nach der Wirkkraft interessiert ihn; und nach dem, wie Malerei den Raum einnehmen und zu transformieren vermag. (IG)

Zgraggen Maria G 2018 1
Maria Magdalena Z'Graggen, #1001217 Terra (Monte Amiata), 2017; #1050118 Terra (Lapislazuli), 2018, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2018, Foto: Serge Hasenböhler

Die viel gereiste Basler Künstlerin Maria Magdalena Z’Graggen (*1958 in Basel, lebt und arbeitet in Basel) verwendet Farbe als lebendige Materie. In ihrer pastosen Qualität ist sie der Künstlerin ein teils fügsames, teils nicht kontrollierbares Gegenüber. Sie bietet Möglichkeiten und zeigt Grenzen auf, die durch den Arbeitsprozess stets neu verhandelt werden. Mit der Auslotung dieser Grenzen entstanden die zwei hier gezeigten Werkgruppen TERRA und The Fools. Während die beiden Serien formell eine lustvolle Einheit eingehen, entstammen sie unterschiedlichen Entstehungsprozessen. Die Serie TERRA ist Resultat eines bis ins Detail geplanten, mit hoher Konzentration ausgeführten Ablaufs. Die Ölfarbe, deren Nuancen die Künstlerin durch sorgfältiges Zusammenfügen von Pigmenten aller Erdteile erzeugt, wird in zahllosen Schichten auf einen glatten Holzträger aufgetragen, wodurch Malereien mit grosser Dichte und Leuchtkraft entstehen. Parallel dazu schafft Z’Graggen The Fools– eine Serie kleinformatiger, spontaner Werke auf Leinwand, die als narrenhafte Reflexionen die Ernsthaftigkeit der Malerei spielerisch hinterfragen. (CA)

Texte von Carole Ackermann, Klarissa Flückiger, Ines Goldbach und Ines Tondar.