Pia Fries

3.2. —
9.7.2023

KHBL PF 4
Pia Fries, quintopylon 2 / 4, 2020. Ölfarbe und Siebdruck auf Holz, je 200 x 140 cm. Courtesy Sammlung Kunstmuseum Bonn. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly © Pia Fries / 2023 ProLitteris, Zürich
KHBL PF 3
Pia Fries, durch sieben siebe, 2022. Acryl auf Papier, ortsspezifische Installation. Courtesy: Pia Fries, Mai 36 Galerie, Zürich, Miles McEnery Gallery New York. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly © Pia Fries / 2023 ProLitteris, Zürich
KHBL PF 2
Pia Fries, bitu, 1995. 200 x 170 cm, Ölfarbe auf Holz; schwarze blumen erucarum ortus, 2005, je 240 x 170 cm. Ölfarbe, Siebdruck, Holz. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly © Pia Fries / 2023 ProLitteris, Zürich
KHBL PF 1
Pia Fries, bitu, 1995. 200 x 170 cm, Ölfarbe auf Holz; tonstich lo, 2008. 200 x 140 cm. Ölfarbe und Siebdruck auf Holz. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly © Pia Fries / 2023 ProLitteris, Zürich

Projektpartner


Hans und Renée Müller Meylan Stiftung

Hans und Monika Furer-Brunner Stiftung

Unbestritten gehört Pia Fries seit den 1990er-Jahren international zu den wichtigen Positionen innerhalb der Malerei. Geboren 1955 in Beromünster, CH, zog sie in den 1980er-Jahren nach Düsseldorf, um an der dortigen Kunstakademie bei Gerhard Richter zu studieren, dessen Meisterschülerin sie wurde. Sie entwickelte ihr eigenes, unverkennbares Werk, das über die Materialität des Gemalten die Möglichkeiten von Malerei und Raum erkundet. Für den von ihr entwickelten neuen, freien und zugleich offenen Malereibegriff wurde Pia Fries sowohl mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und zu renommierten Ausstellungen wie etwa die Biennale in Venedig eingeladen als auch auf mehrere Professuren berufen. Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland zeigt neben Arbeiten ab den 1990er-Jahren erstmals in der Schweiz ihre aktuellsten Werke, mit denen Pia Fries einen neuen künstlerischen Schritt geht. Ein Katalog begleitend zur Ausstellung ist in Planung.

Die Kataloge, die seit Beginn ihres Schaffens und ihrer Ausstellungstätigkeit in den 1980er-Jahren realisiert wurden, sind zahlreich. Lang ist die Liste der Orte in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Italien, den USA usw., in denen Pia Fries mit ihrem Werk gezeigt wurde, für das sie vielfach ausgezeichnet wurde. Jede Ausstellung setzt neue Akzente, kein Katalog gleicht dem anderen. Denn die Werkgruppen, welche die in Düsseldorf wohnhafte gebürtige Schweizerin seit den 1980er-Jahren kontinuierlich entwickelt und fortschreibt, bringen immer wieder Neues, noch nicht Gesehenes oder Gekanntes hervor. Routine ist keine Option. Pia Fries schafft ein Vielfaches an Werk, Ideen, Formen, Möglichkeiten – und vor allem Aktualitäten.

Ich besuche die Künstlerin zur Vorbereitung unserer Ausstellung im Kunsthaus Baselland in ihrem Atelier in Düsseldorf, in dem sie sich seit vielen Jahren eingerichtet hat. Nach Düsseldorf führte sie in den 1980er Jahren das Studium an der Düsseldorfer Akademie, die sie als Meisterschülerin von Gerhard Richter abschloss. Die Jahre zuvor studierte Fries an der Kunstgewerbeschule in Luzern in der Bildhauerklasse bei Anton Egloff. Hier scheinen sich zwei wichtige Momente zu treffen, die ihr Schaffen seit Beginn ausmachen: das plastische Arbeiten, das Material formt und zugleich raumgreifend wird, vergleichbar dem bildhauerischen Tun; sowie die malerische Geste, die sich die Fläche, das Colorit, Rhythmen bestimmt, Träger aneignet, durchstreift, formuliert, erobert. Die Wucht und Energie all ihrer malerischen Werke, die Plastizität und Dichte, die zugleich nach dem realen Raum als Echoraum verlangt, scheint genau aus dieser künstlerischen Vereinigung zu kommen.

Das wird auch in den Räumen des lichtdurchdrungenen Ateliers von Pia Fries deutlich. Die grossen Bildformate – meist Ölfarbe auf einem Holzträger, die längst das Körpermass der Künstlerin überschreiten – werden mit sicherem Griff von ihr getragen, gewendet, gedreht. Dies geschieht nicht allein, um sich immer wieder Raum zu schaffen für den nächsten Arbeitsschritt und um parallel an Werkgruppen arbeiten zu können. Das Drehen, Wenden, Distanznehmen, Wieder-Hervorholen, bisweilen Übermalen, das Festlegen von oben und unten, das Verwerfen, dann final Definieren gehört zu einem wichtigen Schritt im gesamten Entstehungsprozess und sagt bereits viel über das Werk und die künstlerische Handschrift von Pia Fries aus. Es ist das Werk, das Entstandene, das die endgültige Ausrichtung vorgibt, nicht ein feststehender Plan dahinter. Es sei das Bild, was sie steuere und lenke, so Pia Fries, ein gegenseitiges Hin und Her, ein Auseinander und wieder Ineinander und Zusammenkommen.

Die eher dunklen, fast erdtonigen Malereien auf noch kleinerem Bildträgermass aus den 1980er-Jahren kommen einem ins Gedächtnis. Auf diesen trug Pia Fries in Verdichtungen und Schichtungen Farbmaterial auf unterschiedliche Trägermaterialien auf und führte es bis an die Ränder und auch darüber hinaus, ohne oder mit nur geringen Weissstellen. Gerade bei dieser abgeschlossenen Werkgruppe, die doch eine starke Anbindung an das Hier und Jetzt der Werke von Pia Fries aufweist, mag sich die Malerei als die Schaffung eines Bild- und Materialkörpers verfestigt haben. Mit dem einher geht das Arbeiten und auch Bearbeiten der Ölfarbe auf unterschiedlichen Untergründen wie Nesseln, Leinwand, Holz und Rupfen mit Bürsten, Spachtel, Pinsel oder Rechen. Es fliesst, wird geklopft, gedreht, trocknet.

Schon früh ist es nicht das Narrativ, das Pia Fries interessiert und nur eine (Lese-)Richtung kennt. Aus gutem Grund schwingen in den gegebenen Titeln zwar Dynamiken und auch Möglichkeiten mit, nicht aber Eindeutigkeiten: bric-à-brac, tonstich, zorten, tann. Es ist ein eindeutiges Streben zu Präsenz von Textur, Farbe, Auftrag, zu Kraft, Energie und vor allem zu einer Realität, die einlädt – zum visuellen Abtasten, Ausgraben, Einlassen.

«Die Wechselwirkungen zwischen mir und der Welt», so die Künstlerin, «beziehungsweise zwischen mir und dem Bild sind beständig in Bewegung und so auch der fragende, bemessende Blick in den Bildraum und in die Bildzeit». Von Anbeginn gründet Pia Fries’ künstlerisches Arbeiten auf einer grossen Offenheit dem Prozess gegenüber sowie auf einem Anerkennen, was werden, gelingen, aber auch verworfen werden kann. Wenngleich konzeptionell nach jedem Schritt weitere angelegt sind, lässt sich die Künstlerin immer wieder vom Material selbst leiten, von dem, was spontan oder auch zufällig passiert. Was bereits in den 1990er-Jahren bis in die 2000er-Jahre immer präsenter wurde – der weisse Bildraum innerhalb der Malerei –, hat noch eine weitere wichtige Qualität innerhalb ihres Schaffens eingenommen: der Einbezug der physisch realen Umgebung.

Die neuen Werke, die nun im Kunsthaus Baselland unter anderem zu sehen sind, zeugen eben genau davon. Für sie hat Pia Fries Papierbahnen verwendet, die einige Meter lang und hoch sind, und versah sie an einigen Stellen mit Siebdrucken. Dafür wählte die Künstlerin Fragmente und Abbreviaturen des berühmten Stichs Herkules Farnese von Hendrick Goltzius, um sie anschiessend mit weiteren Farbschichten zu versehen. Schon allein aufgrund der Grösse der dicken Papierbahnen ist nur ein schrittweises Arbeiten möglich. Die Dynamik und Vitalität, zugleich aber auch Körperhaftigkeit der Linie eines Kupferstichs von Goltzius oder wie in einer weiteren Werkgruppe einer Maria Sibylla Merian sind es, die Pia Fries in ihrer Form des malerischen Zitats interessiert.

Aber man würde der Künstlerin und ihrem Werk nicht gerecht, sähe man in diesem Wiederaufgreifen an historischen Bildzitaten oder auch den von ihr selbst eingefügten Bildern und Fotografien über das Siebdruckverfahren allein ein formales Interesse. Vielmehr führt eben jene Auseinandersetzung mit dem Prototyp eines männlichen Körpers à la Goltzius oder den Naturbeobachtungen und Metamorphosen der langen Zeit eher unterschätzten Merian zum Kern des Schaffens der von Pia Fries: mit der gewaltigen Energie, die Pia Fries jedem Werk zugrunde legt, mit jedem Aufgreifen von etwas bereits Bestehendem, um es in einen anderen Zustand und daher auch in die Aktualität zu führen, legt die Künstlerin auch eine Dringlichkeit in jede Arbeit. Es ist ein Anerkennen von Zuständen, von Narrationen ohne narrativ zu werden, ein Ernstnehmen der physischen Oberfläche, die sich unmittelbar mit der realen Umgebung verbindet und dieselbe in Schwingungen zu versetzen vermag.

In einer Zeit wie der gegenwärtigen, die als krisenhaft, fragil, unsicher und herausfordernd erfahren wird, die einen Umbruch bedeutet und doch eher als Zwischenzeit zu definieren wäre – zwischen einem Nicht-Mehr und zugleich einem Noch-Nicht –, ist unsere physische und handelnde Präsenz im realen Miteinander wichtiger denn je. Orte mit physischer Qualität zu schaffen, wie es die Kunst ermöglicht, haben daher eine uneingeschränkte Dringlichkeit. Diese Einladung sollten wir annehmen. (IG)

Kurator*in: Ines Goldbach