Leonardo Bürgi Tenorio

31.1.  —
23.3.2025

the paths we walk


Solo Position. Eine Initiative der Abteilung Kulturförderung Basel-Landschaft

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Leonardo Bürgi Tenorio, Symbolkasten no. 3, 2025 Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Courtesy of the artist. Foto: Finn Curry
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Leonardo Bürgi Tenorio, from shadow to soil, 2025. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Courtesy of the artist. Foto: Finn Curry
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Leonardo Bürgi Tenorio, from shadow to soil, 2025. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Courtesy of the artist. Foto: Finn Curry
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Leonardo Bürgi Tenorio, homescapes, 2025. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Courtesy of the artist. Foto: Finn Curry
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Leonardo Bürgi Tenorio, the bright blazing of the ever occuring fire, 2025. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Courtesy of the artist. Foto: Finn Curry

Projektpartner


Schriftmarke Burgauer
Bgbasel schwarz zusatz

In seiner ersten Einzelausstellung widmet sich Leonardo Bürgi Tenorio der Geschichte und kulturellen Bedeutung von Terrarien. In Zeiten globaler Unruhen und Herausforderungen erfahren Terraristik und Zimmerpflanzen derzeit ein beeindruckendes Revival. Die Ausgestaltung eines Mikrohabitats innerhalb der eigenen vier Wände bietet eine kontrollierte und kreative Umgebung sowie eine sinnstiftende Alternative während Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit. Um sich dem Phänomen der Terrarien anzunähern, beschäftigt sich der in Basel tätige schweizerisch-mexikanische Künstler eingehend mit der kolonialen Geschichte des Objekts und dessen Fortschreibung in die Gegenwart. Mit neuen Bild- und Geruchswelten sowie durch erweiterte Erkenntnisse und Einblicke schafft er eine neue Narration der Habitate und ihrer Relevanz für unsere Gegenwart.
Solo Position ist ein biennales Wettbewerbsformat, das sich an Künstler*innen aus der Region richtet und ihnen eine erste institutionelle Einzelausstellung ermöglicht. Auf Initiative der Abteilung Kulturförderung des Kanton Basel-Landschaft wurde der Wettbewerb im Frühjahr 2023 zum achten Mal öffentlich ausgeschrieben. Mitglieder der Jury waren die Fachkommission Kunst des Kantons Basel-Landschaft sowie die Direktion des Kunsthaus Baselland.

Es ist die erste grosse institutionelle Einzelausstellung in dieser Dimension des in Basel lebenden Künstlers Leonardo Bürgi Tenorio, mit der er das gesamte Obergeschoss des neuen Kunsthaus Baselland einnimmt. Die drei grossen Raumstrukturen versteht er als drei Kapitel einer Narration, die sich uns als Betrachtenden nach und nach – im Gang durch diesen dichten Parcours – erschliesst.

Ich treffe Leonardo im Vorfeld der Ausstellung in seinem Basler Atelier, in dem er seit vielen Monaten diese Ausstellung mit unterschiedlichsten Medien, Materialien und Formaten entwickelt. Eine Auslage, mit der der Künstler sich einem Thema annähert: Er untersucht die Historie von Vivarien – Behältern für die Aufzucht und Pflege von Pflanzen oder Tieren –, um unser Verhältnis zu Mensch, Kultur, Exotik und Heimat aufzufächern und zugleich kritisch zu hinterfragen. Dies tut er, ohne die Poesie und Kraft der Kunst dabei zu vernachlässigen. Wir treffen uns für ein Gespräch über seine Arbeit und seine Biografie, durch die er sowohl mit der Schweiz als auch mit Nord-Mittelamerika aufs Engste verbunden ist. Ich frage mich, ob es gerade dieser offene Blick aus unterschiedlichen Perspektiven ist, der ihn so überzeugend, einfühlsam, präzise und zugleich unverstellt auf Themen wie Kolonialismus, Weltwarenhandel, Humanität und ökologische Fragen blicken lässt. «Ein Grossteil der lateinamerikanischen Gesellschaften», erläutert er, «besteht in ihrer Mehrheit aus Mestizen. Das bezeichnet im Deutschen die Nachfahren von Europäern und der indigenen Bevölkerung, vor allem Lateinamerikas. Als Sohn einer mexikanischen Mutter und eines Schweizer Vaters bin ich fast schon so etwas wie ein Neo-Mestiz. Ich denke, dass die Identität und die Realität von Menschen mit gemischten ethnischen Hintergründen auf dieser Welt die Komplexität des Kolonialismus widerspiegeln.»

Es ist aber nicht allein seine eigene Geschichte, die Leonardo Bürgi Tenorio seit den letzten Jahren in seinem künstlerischen Schaffen erzählt – so viel Nabelschau würde ihm nicht anstehen. So wählt er denn auch für seine Ausstellung den Titel the paths we walk. Dieses «we» sind genau wir: der moderne, zeitgenössische Mensch, der aus unserer Perspektive auf Länder und Themen blickt; eine westliche Perspektive, die man als privilegiert erkennt – gerade mit Blick auf den Globalen Süden.

Während unseres Gesprächs erinnere ich mich an einen Text der Philosophin Eva von Redecker über den Begriff der Freiheit. Gerade aus westlicher Perspektive ist dieser immer noch mit Reisefreiheit und Abenteuerlust verbunden. In dieser Vorstellung von Landschaftserkundung, aber auch Expandismus verwebt sich das – wie es Leonardo Bürgi Tenorio nennt – romantisierte Bild vom Reisen und «Entdecken» von Kolonialisten, aber auch Wissenschaftlern, wie etwa jenem von Alexander von Humboldt. the paths we walk greift diesen Gedanken des Sich-Bewegens und Sich-bewegen-Wollens auf, und doch schwingt darin die Frage mit, auf welchen ausgetretenen, alten oder auch fragwürdigen Wegen wir da wandeln, die es nun endlich, heute, hier und jetzt, neu zu gehen gilt.

So war die Zeit der Pandemie neben grossen gesundheitlichen Einschränkungen für viele gerade deswegen eine so deutliche Einschränkung ihrer Freiheit, weil nicht nur das Nach-draussen-Gehen, sondern auch das Reisen im grossen Stil eingeschränkt war. Die Welt war plötzlich auf die vier Wände beschränkt – und viele holten sich verstärkt Natur in ihre privaten Räume. Zimmerpflanzen, Aquarien und Terrarien als Lebensräume von Pflanzen und Tieren aus Tropen, Urwäldern, also diversen Klimazonen, erlebten in dieser Zeit ein gewaltiges Revival.

So hat es eine Sinnfälligkeit, dass wir während unseres Gesprächs im Atelier von Leonardo Bürgi Tenorio inmitten von leuchtenden Terrarien sitzen – ein zentrales Thema seiner Auslage im Kunsthaus und seiner künstlerischen Arbeit. «Was mich in dieser Recherche besonders fasziniert und beschäftigt hat», so Bürgi, «ist der Aspekt der Skalierung. Das wird man beispielsweise an der Malerei, den Räucherpyramiden und den Architekturmodellen in der Installation der Aquarien sehen. Die architektonischen Elemente übersetzen sich auf die Bedingungen der Pflanzen oder den anderen Weg herum. So sind Blumentöpfe, Aquarien, Terrarien etc. Möglichkeiten, einen Lebensraum in einer sonst für sie lebensfeindlichen Umgebung zu gestalten. Darin steckt meiner Meinung nach bereits eine starke Ambivalenz in der Beziehung zwischen Mensch und Pflanze, da sich in der Pflege eine Zuneigung erkennen lässt sowie ein Beschneiden und Kontrollieren der Pflanze. Ausserdem hat mich interessiert, wie die anfängliche westliche Faszination für die Tropen und Subtropen sich in die heutige Zeit übertragen hat. Diese Begeisterung für tropische Landschaften en miniature hat sich meines Erachtens aber etwas banalisiert und ist mehr zu einem Fantasiegebilde geworden.»

Die Skalierung schafft also Übersicht, Machbarkeit, aber auch Sicherheit, das Exotische zu entdecken – und zugleich nur eine überschaubare Grösse pflegen zu müssen. Ob darin ein unverarbeitetes Erbe des Kolonialismus liegt? Ich bewege mich weiter mit dem Künstler durch sein Atelier und bleibe mit ihm vor dem grossen neuen Gemälde stehen, das er kurz vor der Einrichtung der Ausstellung fertiggestellt hat. Eine gewaltige Berglandschaft tut sich dort auf, umspielt von Wasser und Pflanzen, die sich mangrovengleich durch Böden arbeiten. Die im Raum aufgestellten Räucherpyramiden, von denen ein, zwei bereits einen Aschekegel haben, scheinen diese gemalte Welt fortzuschreiben. Erst beim zweiten Blick zeichnen sich schemenhaft ein Gebilde aus Tropenhüten und Quallen ab, die als zweite Ebene vor dieser Landschaft zu schweben scheinen. Auch hier greift Leonardo Bürgi Tenorio auf historische Quellen zurück. Es sei, wie er meint, ein humoristischer Kommentar zu einem ursprünglichen Kupferstich von Alexander von Humboldt; ein westliches Bild einer Landschaft, ohne die eigene Rolle oder die Abdrücke, die man darin hinterliess, klar zu machen. «Die pith helmets (Tropenhüte) waren soldatische Ausrüstungen, sind jedoch umgangssprachlich eher als Entdeckerhüte bekannt. Damit legen sie das Missverständnis von Kolonialisten und Entdeckern oder auch Wissenschaftlern offen.» «Quallen», so Bürgi weiter, «gelten zudem im heutigen Diskurs um den Klimawandel als wichtige Indikatoren und auch als sogenannte Vorboten der Erwärmung auf dem Planeten.»

Mich erinnern sie auch an Beweglichkeit, wie sie den Quallen und noch mehr dem Kraken inne ist. Vielleicht also auch ein Hinweis darauf, dass wir dieses doch sehr komplexe Thema durch unsere geistige Haltung und hoffentlich auch handelnde Beweglichkeit wandeln können? Ob der Künstler das ähnlich sieht? «Das ist ein schöner Gedanke. Ich finde die Quallen sehr ambivalente Wesen. Sie haben eine unglaubliche Eleganz und etwas zutiefst Mysteriöses in ihrem gallertartigen Dasein. Diese Eleganz und Schönheit tragen jedoch zugleich etwas Bedrohliches und Gefährliches. Vielleicht sind wir Menschen in dieser polaren Existenz den Quallen ähnlich.»

Während ich mich wieder auf den Rückweg mache, kommt mir erneut das Buch über die Freiheit in den Sinn und darin der Gedanke, dass wir eine neue Bleibefreiheit etablieren sollten – also im Bleiben-Können und -Wollen, eine neue Freiheit zu sehen. Wenn wir uns daher also mehr darum bemühen, ein stärkeres Bewusstsein für unser Gegenüber aufzubringen, und dies nicht nur aus einer westlichen, sondern aus einer global verstandenen Perspektive, können wir neue Narrative nicht nur erzählen, sondern sie auch neu schreiben. Wir können beweglicher im Kopf werden, wie der Krake für neue Themen, und fühlen uns vielleicht selbst dann noch wohler dort, wo wir sind und bleiben wollen.

Kurator*in: Ines Goldbach