In Between

27.9.  —
17.11.2024

Zwischen Nicht-Mehr und Noch-Nicht


Judith Albert, Brigham Baker, Aysha E Arar, Saodat Ismailova, Bouchra Khalili, Klara Lidén, Christian Marclay, Eva Nielsen, Ursula Palla, Marijke Van Warmerdam, Ibtisam Tasnim Zaman

Das Dazwischen kann viele Gesichter haben – zeitlich, räumlich, gedanklich, politisch; es kann ein Möglichkeitsraum sein, ein Moment des Transits, ein Jetzt-noch-und-dann-nicht-Mehr.

Geschichten werden erzählt, erinnert, aufgedeckt, erwartet, gefürchtet und vielleicht nicht immer so wiedergegeben, wie es wichtig und wünschenswert wäre; das Land ist verlassen, die Ankunft ist noch weit. Die Natur neigt sich welkend zu einem Ende – oder ist es zugleich ein Anfang, der noch nicht sichtbar ist?

Was sind für uns Zwischenzeiten, Zwischenräume, Zwischengedanken? Von einem Zustand in den anderen, von einem Gedanken in den nächsten, vom Warten auf den ersehnten Anruf, vom Moment, der ein Leben verändern kann, von Räumen, Ländern und Zeiten, die hinter uns liegen oder sich vor uns ausbreiten.

Die Politökonomin und Gesellschaftswissenschaftlerin Maja Göpel spricht aktuell von einer Zeit der Transformation, in der wir uns als Gesellschaft befinden – einer Zeit, in der vieles zu einem Ende gekommen ist oder auch zu einem Ende «errungen» werden muss oder musste. Das Neue ist jedoch zugleich in vielerlei Hinsicht noch nicht angebrochen: Politische Systeme stehen zur Disposition respektive sind zerschlagen; sie formieren sich in einer neuen Radikalität, erstarken gefährlich oder lösen sich auf. Es ist daher eine Zeit, die Entscheidungen ermöglichen könnte, auch Richtungswechsel und neue politische, rechtliche, gesellschaftliche Ausrichtungen.

Die eingeladenen Kunstschaffenden gehen eben diesen Fragen nach. Sie lassen diese Zwischenmomente politischer, privater, territorialer und postkolonialer Räume spürbar und erfahrbar werden und offenbaren zugleich deren Vielschichtigkeit. Ein Dazwischen birgt Gefahren, aber auch Möglichkeiten, im Hier und Jetzt zu agieren.

KuratorIn: Ines Goldbach

KHBL_INBETWEEN_URSULA_PALLA_2024
Ursula Palla, EMPTY GARDEN 3, 2022, Bronze, Movebox, Dimensionen variabel, Courtesy of the artist, Judith Albert, Wolfsstunde, 2009, Video, Farbe, Ton, 3', Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland. Foto: Gina Folly.

Kann ein Garten wirklich leer sein? Diese Frage stellte sich mir bei der ersten Begegnung mit dem Werk Empty Garden 3. Es scheint, als wollte immer etwas wachsen wollen, sich durchsetzen, verwildern. Die Idee zu dieser Arbeit sei ihr im Garten von Giverny gekommen, so die Künstlerin, in jenem Garten, den Monet einst als grosse Park- und Wasserlandschaft anlegen liess. Dieser Garten diente ihm nicht nur als Inspirationsquelle für seine Malerei, sondern die Motive seiner Bilder fanden wiederum Eingang in die Gartengestaltung – ein künstlerischer Kreislauf, wie es scheint. Doch darin liegt eine entscheidende Ambivalenz, so Ursula Palla. Denn während der Garten für Monet selbst und auch für uns als Besuchende ein Füllhorn an Farben und überschwänglichem Wachstum darstellt, ist er für Insekten auf ihrer (Nahrungs-)Suche ein leerer Ort. Allein in den milden Wintermonaten zwischen November und März zeigen sich bisweilen Wildpflanzen und (Un-)Kräuter, die das strenge Gartenkonzept sonst nicht zulässt – eine Zwischensaison und zugleich ein Dazwischen, das auch die Künstlerin während ihres Aufenthalts dort erlebte. In Ursula Pallas Projektionsinstallation scheint die Membran – sei es Wand oder Bodenfläche –, die eigentlich als klare Werkabgrenzung fungieren sollte, sich mit dem Werk selbst zu vermengen. Die auf dem Boden aufragenden bronzenen Pflanzenstrukturen, die sich statt in satten Farben dunkel und zurückhaltend wie eine Zeichnung im Raum ausbreiten, werden von einer Projektion erleuchtet und zugleich erweitert. Nicht der schnelle Blick oder das rasche Vorübergehen ist hier gefragt, sondern das Schlendern, Stehenbleiben, Beobachten. Wiegt sich da nicht eine Pflanze hin und her und schält sich aus dem Unscharfen immer deutlicher heraus?

Diese feinen Zwischentöne sind die wesentliche Grundlage für Ursula Pallas jahrzehntelanges präzises Schaffen, was sich in den beiden Arbeiten von ihr in der Ausstellung – Empty Garden und Distelblatt. Zwischen Skulptur, Installation und Videoprojektion, zwischen schnellem Lauf und feinen Bewegungen, zwischen dunklen Raumpartien und hell Erleuchtetem, zwischen Wachstum und in Bronze gegossenem, festgehaltenem Zustand – das Dazwischen gehört grundlegend zu ihrer künstlerischen Praxis. Diese Praxis verliert das Schöne nie aus dem Blick und achtet zugleich auf das Vergängliche, das Bedrohte, das Vergehende und unwiederbringlich Verschwindende. Empty Garden ist daher kein Paradox, sondern ein Zeitporträt von etwas, das war, ist und auch sein könnte.

KHBL_INBETWEEN_EVA_NIELSEN_2024
Eva Nielsen. Zoled II, 2022, Öl, Acryl und Siebdruck auf Leinwand 375 x 275 cm, Lucite (They II), 2023, Acryl, Tinte, Transferdruck auf Leinwand, 190 x 140 cm, Installation Lucite, 2023, Metall, Holz, bedruckter Stoff, 302 x 437 x 117 cm, Parallax, 2023, DiptychSiebdruck auf Organza auf Öl auf Leinwand, 190 x 200 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy of the artist and Peter Kilchmann Gallery. Foto: Gina Folly.

Mit Drucktechniken sei sie gross geworden, erwähnt Eva Nielsen im Gespräch, und so mag sich ihre Affinität und auch ihr fast natürlicher Umgang zu Siebdrucken und Überlagerungen generell begründen. Und doch ist da viel mehr in ihren Malereien, die sich auf vielen Ebenen in bestehende Räume einschreiben und zugleich selbst Räume ausbilden. Als Tapetendruck, nur wenige Millimeter von der Wand abstehend, als Leinwandgemälde in unterschiedlichen Grössen an der Wand installiert oder als skulpturale Struktur mitten im Raum platziert, öffnet sich die Malerei von Eva Nielsen als malerischer Raum im Raum.

Oftmals sind es architektonische oder skulpturale Fragmente, die in ihren Werken ablesbar sind. Die inneren Bilder, die hier wachgerufen werden, mögen so vielschichtig sein wie die Betrachtenden selbst: kunsthistorische Zitate von Land-Art-Künstlern und -Künstlerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre, ruinös gewordene oder noch nicht vollendete Bauen, Kriegshinterlassenschaften an Küstenstreifen, skulpturale Setzungen, Öffnungen und Übergänge sind ebenso präsent wie Landschaften, in denen schemenhaft Menschen erscheinen, träumerisch im Gras liegend, in die Weite blickend. Doch eine genaue Deutung bleibt offen. Gerade in der Überlagerung mit der Malerei, die landschaftsähnliche Perspektiven ermöglicht, Verortungen der architektonischen Fragmente setzt und sie dennoch frei im Raum schwebend zeigt, schafft Eva Nielsen vor allem Denk- und Sehräume. Sie bietet die Möglichkeit zu erfahren und einer nicht linear zu verstehenden Narration zu folgen. Denn trotz der Erinnerungen an Bekanntes erzählt das Gesehene von einem noch nicht Erlebten.

Als würde die französische Künstlerin uns selbst an die Grenzen von Bezüglichkeiten führen, so wird auch das Material durch unterschiedliche Druck- und Maltechniken bisweilen an seine eigenen Grenzen geführt. Nicht zuletzt, um offen zu sein für das, was nicht nur das Material, sondern auch uns antreibt und am besten vorantreibt: die Zufälle im Leben, das Noch-nicht-aber-vielleicht-schon-Bald. Vielleicht hat Eva Nielsen auch deshalb der Blick aus dem Fenster des Kunsthauses so begeistert – weil dort bereits vieles möglich war und noch vieles möglich sein wird. Das Eintreffen von etwas, das weder planbar noch vorhersehbar ist und dessen Verlauf – ob gut oder schlecht – nicht immer klar zu fassen ist.

KHBL_INBETWEEN_CHRISTIAN_MARCLAY_2024
Christian Marclay, Telephones, 1995, Video, 7’30”. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist und Julia Stoschek Foundation, Berlin. Foto: Gina Folly.

Seit über 40 Jahren arbeitet Christian Marclay konsequent an der Verbindung von unterschiedlichen Disziplinen und Gattungen wie Video, Collage, Sound, Skulptur, Installation, Performance, Fotografie. Sein hier gezeigtes Werk Telephonesgehört heute zu den Meilensteinen in der Geschichte der Videokunst. Erstmals verwendet der Künstler hier eine bearbeitete Abfolge von Schwarz-Weiss-Bildern sowie Farbfilmausschnitte der Kinogeschichte, die sich allesamt um das Telefonieren drehen: das Warten auf einen Anruf, das Abnehmen des Hörers, das Hineinsprechen, Abwarten und Wieder-Auflegen. Die Verwendung der verschiedenen Telefone wird zu einem bedeutungsvollen Akt, denn die verschiedenen Protagonisten und Charaktere legen innerhalb der kurzen Sequenz und deren Neumontage jeweils eine neue Bedeutung in diesem kurzen Moment des Miteinander-Sprechens, Aufeinander-Wartens oder gar Einander-Bedrohens oder -Erschreckens.

Er habe immer schon den Impuls verspürt, so Marclay, Collagen zu schaffen, sei es mit gefundenen oder gedruckten Objekten oder mit Ton. Denn: «Warum nicht auf das reagieren, was um einen herum bereits existiert, anstatt das Rad neu zu erfinden? Schallplatten ermöglichten es mir, bereits existierende Klänge zu mischen, aber die Idee, Klänge zu mischen, die mit auf eine Leinwand projizierten Handlungen verbunden sind, also diegetisch sind, kam mir in den 1980er-Jahren mit dem Aufkommen von Videodiscs wie der LaserDisc. Das war jedoch technisch zu kompliziert, und ich habe immer Low-Tech bevorzugt.» Die aneinandergereihten Filmsequenzen, die Marclay für Telephones nutzt, lassen sich als eine kluge, bisweilen sehr amüsante Neuzusammensetzung verstehen, die eine neue zeitliche Logik und Ordnung schafft. Obwohl die vielen kurzen Ausschnitte eigentlich nichts miteinander zu tun haben, werden sie in der Montage zu einer neuen Erzählung überführt. Ähnlich einer musikalischen Komposition kombiniert Marclay filmische Handlungen und Geräusche zu einem neuen «Klang-Bild».

KHBL_INBETWEEN_SAODAT_ISMAILOVA_2024
Saodat Ismailova, 18000 Worlds, 2023, Video, Farbe, Ton, 31’, Letters, 2014-2019 Fotopapier 3 Fotos je ca. 39 x 29 cm, 1 Foto ca. 38 x 40 cm , Black kurpa, 2017, Plea 4 kurpacha, 2021, Baumwolle, Synthetic5 x 5 m, 3 x 189 m,Fear, 2014-2019. Fotopapier, 6 Collagen je ca. 19 x 30 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy of the artist. Foto: Gina Folly.

Von den 18 000 Welten, die das Universum ausmachen, erleben wir nur die eine. Mit diesem Satz, der den mythischen Glauben ihrer Heimat reflektiert, beginnt die grosse Videoarbeit von Saodat Ismailova, die nun erstmals in der Schweiz zu sehen ist. Die aus Usbekistan stammende Künstlerin, die seit einigen Jahren in Paris lebt, eröffnet gerade hier das grundlegende Verständnis für ein Land inmitten Zentralasiens, in dem die Menschen zwischen Aufklärung und einer technisch ungebremsten Gegenwart leben, eingebettet in jahrhundertealte Rituale, Mystik, Legenden und Erzählungen.

In einer collagenartig angelegten Videoform, die sowohl gefundenes historisches Material als auch aktuelle Aufnahmen der Künstlerin selbst kombiniert, bezieht sie sich auf die Entwicklung des Filmes, beginnend mit den frühen Stummfilmen in Usbekistan bis hin zu den Filmen der Sowjetunion, die die Filmgeschichte in ganz Zentralasien geprägt haben.

Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Landschaften, da sie das Leben der Menschen massgeblich beeinflussen: «Alles», so die Künstlerin im Gespräch, «kommt vom Wasser»; vom Fluss, von den Tieren, deren Geräuschen, Sprache, Bewegung und den Erinnerungen, Ritualen und Geschichten, die sich daraus entwickeln. Doch ist hier nicht nur das Ökosystem in Gefahr, sondern auch das politische System, insbesondere die Stellung der Frauen. Oftmals sind es Frauen, die in Ismalovas Videos die Hauptrollen spielen. Sie sind laut der Künstlerin die Bewahrerinnen des kulturellen und spirituellen Erbes des Landes, das über Generationen hinweg, von Müttern zu Töchtern, durch Geschichten und Bräuche weitergegeben wird. In einem Land des Umbruchs sind gerade diese Geschichten, Rituale und der Glaube an ihr Fortbestehen besonders in Gefahr. Die Moderne scheint Kulturen ihrer Essenz zu berauben. Die jüngere Generation verlässt das Land; die einst mühsam errungene Freiheit der Frauen, scheint nicht unantastbar – es reicht ein Blick auf die Nachbarländer Russland oder Afghanistan, um zu verstehen, wie schnell Errungenschaften der Freiheit und Gleichberechtigung zunichtegemacht werden können.

Saodat Ismailova bewahrt diese feinen Bänder des Fortschreibens, zeigt Landschaften von atemberaubender Schönheit und glaubt an das Fortbestehen von Erinnerungen und Geschichten. Ihre Kunst ist als Einladung zu verstehen, sich auf diese bildgewaltigen Erzählungen einzulassen.

KHBL_INBETWEEN_BOUCHRA_KHALILI_2024
Bouchra Khalili, The Speeches Series, 2012-2013, Speeches - Chapter 1: Mother Tongue, 2012 Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton, 21’56”, Speeches - Chapter 2: Words on Streets, 2013, Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton, 18’47”, Speeches - Chapter 3: Living Labour, 2013, Ein-Kanal-Video, Farbe, Ton, 24’03”, Austellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist und Gallery mor charpentier, Paris. Foto: Gina Folly.

Die französisch-marokkanische Künstlerin Bouchra Khalili erforscht in ihrem vielschichtigen Werk, das Film, Video, Installation, Fotografie, Druckgrafik, verlegerische Tätigkeiten, und Textilien umfasst, intensiv mit Migrationsströmen im Mittelmeerraum und deren Auswirkungen auf die Migrant*innen in den verschiedenen Ländern auseinander. Während der Zeit der arabischen Aufstände von 2010 bis 2012 begann die Künstlerin zudem, eine Reihe von Projekten zu entwickeln, die sich mit der Geschichte der Emanzipation und Befreiung in Nordafrika und dem Nahen Osten beschäftigen.

Die im Kunsthaus gezeigte Videotriologie The Speeches Series greift eben diese Themen auf und unterteilt sie in Sprache (Kapitel 1), Staatsbürgerschaft (Kapitel 2) und Arbeit (Kapitel 3). Im ersten Kapitel Mother Tongue (Muttersprache) arbeitete die Künstlerin mit fünf in Paris und den umliegenden Vororten lebenden Exilanten und Exilantinnen zusammen. Diese wurden von der Künstlerin gebeten, wichtige Ausschnitte gesellschaftspolitischer oder kultureller Natur von Aimé Césaire, Mahmoud Darwish, Édouard Glissant, Malcom X oder Abdelkrim El Khattabi in ihre eigenen Sprachen zu übersetzen, auswendig zu lernen und zu rezitieren. Für das zweite Kapitel Worte auf der Straße arbeitete sie mit fünf Einwanderern in Genua zusammen, die gemeinsam mit der Künstlerin Manifeste zu Themen wie Nationalität, Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit entwickelten. Im dritten Kapitel Living Labour schildern fünf New Yorker als sogenannte «Sans papiers» ihre täglichen Arbeitsbedingungen. Sie spiegeln die Struktur der Unterdrückung, die sie erleben, und zeigen auf, wie tief die soziale und politische Ausgrenzung reicht. The Speeches Series ist eine eindringliche Untersuchung der gegenwärtigen Migrantensituation, in der die Ermächtigung durch Sprache eine zentrale Rolle spielt. In Khalilis Arbeiten wird Sprache zum Medium, das sowohl die Realität als auch den anhaltenden Kampf der Migrant*innen vermittelt – sowohl in der Gegenwart als auch in der Geschichte.

KHBL_INBETWEEN_IBTISAM_ZAMAN_2024
Ibtisam Tasnim Zaman, Unkindness of Ravens, 2024, Öl auf handgeschnittener Leinwand, 122 x 198 cm, Ein Land Weiss Waschen, 2024, Öl auf handgeschnittener Leinwand, 142 x 183 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist und see you next

Die in New York lebende Künstlerin und Poetin setzt sich seit Beginn ihres Schaffens intensiv mit Fragen der Gewalt und Unterdrückung der LGBTQIA-Gemeinschaft im Nahen Osten – aber auch weltweit – sowie den Folgen des Neokolonialismus auseinander. Ihre eindrücklichen Malereien, die durch die Art der Präsentation an orientalische Wandteppiche und deren Form des Geschichtenerzählens erinnern, eröffnen für das aufmerksame Gegenüber eine bildstarke Narration, die zwischen kollektivem Gedächtnis und privaten Erinnerungen vermittelt.

In der Arbeit Al Awra – The Intimate Parts, für welches die Künstlerin ausgezeichnet wurde, stellt Ibtisam Tasnim Zaman vier unterschiedliche Frauentypen dar. Diese Frauen müssen sich innerhalb patriarchalischer Gesellschaften vom Jemen bis in die Türkei – wie die im Hintergrund dargestellte Karte andeutet – anderen Gesetzen unterwerfen. Das Werk sei, so die Künstlerin, teilweise autobiografisch: Es reflektiert die Erfahrungen ihrer Mütter, die sich als Lesben in einem Underground-Schwulenclub in Dubai kennengelernt hatten und mit den daraus resultierenden rigorosen Folgen zu kämpfen hatten. Zudem ist es auch Ibtisam Tasnim Zamams eigene Geschichte als Black Lesbian American, die in einem strengen, muslimisch-religiösen Haushalt und somit einer streng patriarchalischen Gesellschaft aufwuchs und sich trotz aller Hürden und Gewaltkonfrontationen zu befreien wusste.

Auch ihr neuestes Werk spürt ihren persönlichen Erfahrungen in Basel nach. 2024 verbrachte sie sechs Monate im Rahmen eines Atelierstipendiums im Atelier Mondial auf dem Dreispitz. Die Künstlerin beschreibt den Schaffensprozess als einem Fiebertraum gleichend, in den unterschiedlichste Erfahrungen, sowohl positive als auch negative, eingeflossen sind. Es ist auch ein Versuch, das Verständnis von Vergleichbarem und Unterschiedlichem der Orte zu vertiefen, die sie im Lauf ihres Lebens bereits besucht hat.

Ibtisam Tasnim Zamam betrachtet in ihrer künstlerischen Arbeit jedoch nicht nur auf ihre eigene Geschichte, sondern auch auf Strukturen der Unterdrückung verborgene Aspekte in Europa sowie der Schweiz. Ihr in Basel entstandenes Werk Ein Land Weiss Waschen setzt sich mit postkolonialen Fragen zur Schokoladenindustrie der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert auseinander. Es beleichtet auch deren langanhaltenden Auswirkungen auf Länder wie Ghana, den Kongo und die Elfenbeinküste. Diese milliardenschwere Industrie verlange, so die Künstlerin, den Import der Hauptbestandteile Kakaobohnen und Zucker. Diese Nachfrage sei verbunden mit hohen Armutsraten, Abholzung und einem Monopol auf Nahrungspflanzen sowie gewaltvoller Unterdrückung von Menschen, darunter vielen Kindern. Diese verheerende Struktur aus Reichtum, Ausbeutung, Unterdrückung und gelebter Neutralität manifestiert sich für die Künstlerin auch in einer der bekanntesten und zugleich ambivalenten Kinderbuchfiguren der Schweiz: Globi. Diese Figur findet ebenfalls Eingang in ihre Malerei.

KHBL_INBETWEEN_AYSHA_E_ARAR_2024
Aysha E Arar, Guernica, 2023, Acryl auf Kleid 205 x 138 cm, Goose in love, 2023, Kugelschreiber auf Kleid, 33 x 160 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland. Courtesy of the artist und Dvir Gallery, Paris. Foto: Gina Folly.

Das Werk der palästinensischen Künstlerin Aysha E. Arar spricht von Freiheit, Liebe und unkonventioneller Leichtigkeit, wie sie es selbst formuliert. Ihr „Dazwischen“ ist eine Fähigkeit – die Fähigkeit, metaphorisch im Wasser und auf dem Land zu leben und zu agieren, gleich den Amphibien, und durch ihre Kunst eine Brücke zwischen Fantasie und Realität zu schlagen. Alles scheint für sie Bildgrund werden zu können, Träger von Geschichten, Bezügen, Träumen und Hoffnungen. Aysha Arar entwickelt ihre wild-pulsierenden, sich überlagernden, ausbreitenden und zugleich fein nuancierten Zeichnungen und Malereien auf Tüchern oder Kleidern, die sich vogelgleich auf den Wänden erheben. Ihre Malereien entfalten sich in grossen Gesten und leuchtenden Farben auf Leinwänden und werden im nächsten Schritt von der Künstlerin an den Konturen ausgeschnitten. Ähnlich einer Wand- oder Deckenmalerei bringt die Künstlerin ihre Werke im Ausstellungsraum an – alles fliesst zusammen, eingebettet in Zitate aus eigenen Texten und Gedichten. Man kann gut verstehen, warum Aysha Arar nicht nur den Pinsel, den Zeichenstift oder auch das Wort für ihre bildgewaltigen Narrationen benötigt, sondern auch das Lied, das sich als Ton über Räume, Grenzen und Ebenen erstreckt. Eine grosse Narration scheint den Raum erfasst zu haben, die von gestern, heute und morgen spricht, das Gegenwärtige nicht aus den Augen verliert und zugleich mutig in das Zukünftige aufbricht.

Die Titel, die Aysha setzt, führen bisweilen direkt ins Bildgeschehen, lassen Hände zu Umarmungen oder zu einem Ringen um Freiheit und Schutz werden. Sie erinnern an Geschichten wie Alice im Wunderland, in der die Welt auf dem Kopf zu stehen scheint; stets spürt die Künstlerin unserer gegenwärtigen Beziehung zur Welt nach, mit all ihren Brüchen, Schönheiten, Brutalitäten, ihrer Angst und Trauer, aber auch mit all den liebvollen und hoffnungsvollen Gesten und zugleich unserem steten Suchen nach Freiheit und Identität. Aysha beschreibst sich selbst als so vieles – Künstlerin, Frau, Mutter, Zeugin des gegenwärtigen niederschmetternden geopolitischen Geschehens, Symbol eines feministischen Aufbruchs und Aufbegehrens muslimischer Frauen. Vor allem aber ist sie eine Voranschreitende, deren Bilder in Wände und Ritzen dringen, Decken einnehmen und weiterfliessen. So gleicht denn ihre künstlerische Werkauslage fast einem grossen Garten, der wächst, sich verändert und sich liedgleich weiter in den Räumen ausbreitet.

KHBL_INBETWEEN_MARIJKEVANWARMERDAM_2024
Marijke Van Warmerdam, Dream machine, 2006 35 mm Film Loop, Farbe 2’39” Projektor, Loop-System , Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist und Galerie van Gelder, Amsterdam, Foto: Gina Folly.

Die in Amsterdam ansässige Künstlerin Marijke van Warmerdam hat seit den 1990er-Jahren ein umfangreiches filmisches Œuvre entwickelt, das sowohl 16 mm- und 35 mm-Filme, Videos, Fotografie, Skulpturen, Installationen als auch Malerei umfasst. Seit 2004 ist sie als Professorin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe tätig und aktiviert als Mentorin für junge Kunstschaffende die Entwicklung einer eigenen künstlerischen Brücke und Dynamik zwischen Skulptur, Film und Fotografie.

Die ausgeprägten, einnehmenden Werke von Marijke van Warmerdam sind meist kurze und zugleich hochpoetische Zeitmomente, die sie in ihren Filmarbeiten zeigt, wie die drei in der gegenwärtigen Ausstellung gezeigten Werke Dream machine, It’s time und Le retour du chapeau. Diese Arbeiten sind ohne Ton und dauern nur wenige Minuten; sie ähneln Alltagsskizzen, die vertraut anmuten – und doch wohnt ihnen stets etwas Fantastisches und Unbekanntes inne. Es sind Ausschnitte oder besser Einblicke, die unser Zeit- und Raumgefühl für einmal zu verändern scheinen – es dehnen oder verkürzen. In jedem Fall sind sie in der Lage, uns aus dem Alltagstrott herauszuholen. Denn es sind keine Geschichten, die die Künstlerin erzählt, sondern bildstarke, skulptural inszenierte Filmskizzen, die sich gerade in ihrer Kürze und im Loop gezeigt als ein neues Bild in unserem Gedächtnis verankern können. Denn blicken wir nach diesen Erfahrungen nicht etwas genauer auf mögliche Farbveränderungen in einem Wasserglas, wie bei der Arbeit Dream machine? Oder sehnen wir uns vielleicht schon bald nach dem berühmten Schweizer Juragebirge Le Creux du Van, wo – einer Legende zufolge – durch unvorhersehbare Wirbelstürme so mancher verloren geglaubte Hut möglicherweise von selbst wieder auf dem eigenen Kopf landet? Und tickt nicht ständig in unserer Hand eine Uhr – um das Handgelenk gewickelt oder als Mobiltelefon in der Hand –, um uns an die pausenlose Erreichbarkeit zu erinnern und die unaufhaltsam vergehenden Stunden?

Marijke van Warmerdams Filmarbeiten gleichen kleinen Wunschmaschinen, die trotz vieler Unsicherheiten fantastische Möglichkeiten aufzeigen. Sie ermutigen dazu, von Welten zu träumen, die oft gar nicht so weit von der Realität entfernt zu sein scheinen.

KHBL_INBETWEEN_BIRGHAM_BAKER_2024
Brigham Baker, Apostrophe (20-22), 2024 C-Print, Holz 26 x 31 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist. Foto: Gina Folly.

Brigham Bakers künstlerischer Ansatz lässt sich durch sein konzeptuelles und spielerisches Engagement mit natürlichen Prozessen und alltäglichen Materialien definieren. Seine Arbeiten, die sowohl malerische als auch skulpturale Formen umfassen, bieten neue Perspektiven auf kulturelle Objekte und Phänomene, indem sie diese in selbstreferenzielle Rahmen setzen, die ihre Wechselwirkungen mit der Zeit, der Natur und den Elementen hervorheben.

Die hier ausgestellten Fotografien von Flammen in handgefertigten Rahmen sind Teil einer neuen Serie, die Baker Anfang dieses Jahres während eines Aufenthalts in Paris geschaffen hat. Das Projekt begann, als Baker auf ein Foto der Architektin und Designerin Eileen Gray stiess. In einem der letzten bekannten Bilder von ihr sitzt Gray neben einem Kamin, der mit kaputten Möbeln, Kartons und anderen Gegenständen gefüllt ist, die darauf warten, verbrannt zu werden. Dieses Bild berührte Baker zutiefst, da das bevorstehende Feuer symbolisch für Grays nahenden Tod und den Übergang ihres Lebens und Werkes in das historische Gedächtnis steht.

Inspiriert davon begann Baker, Gegenstände von den Strassen von Paris zu sammeln – Möbel, Renovierungsschutt und ähnliche Materialien, wie sie auf dem Foto zu sehen sind. Er brachte diese Objekte in sein Atelier und arbeitete sie in ein wiederholtes Rahmenformat um. Die Abfälle dieser Materialien nutzte er als Zündholz, das er fotografierte, während es unvorhersehbar verbrannte. Diese Fotografien, die das Feuer zeigen, wie es dasselbe Material zerstörte, das auch für die Rahmen verwendet wurde, schaffen eine paradoxe Situation, in der verschiedene entropische Prozesse gleichzeitig dargestellt werden. Die rechteckigen, spiralförmig angelegten und übereinander gelagerten Rahmen aus unterschiedlichsten Materialien ähneln fast einem Blick durch den Kamin auf die Feuerstelle. Hier ist das Material nicht mehr der Grund des Feuers, sondern seine Repräsentation.

Die Arbeiten Apples wiederum entstammt einer 11-teiligen Fotoserie, die Baker anlässlich des Manor-Kunstpreises 2019 angefertigt hat. Über den Verlauf von Zeit fotografierte er einen Apfelbaum vor seinem Züricher Atelierfenster in Nahaufnahmen. Die am Baum hängenden Äpfel erzählen vom Werden und Reifen über das Vergehen, Verfaulen und nahezu Verschwinden und doch Verbunden-Bleiben mit dem Baum, an dem sie hängen. Jeder Zustand scheint seine Besonderheit und damit Poesie zu behalten.

Es sind feine Beobachtungen und die Bereitschaft zum Eintauchen und Näherkommen, die das Werk von Brigham Baker ausmachen und stets Momente des Wartens beinhalten.

KHBL_INBETWEEN_KLARA_LIDEN_2024
Klara Lidén, Untitled (Lightbox 2075), 2023, Lightbox, 50.5 x 274.5 x 15 cm, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist and Galerie Neu, Berlin. Foto: Gina Folly.

Die in New York und Berlin wohnhafte schwedische Künstlerin Klara Lidén widmet sich seit vielen Jahren einem facettenreichen Werk, das Performances im urbanen Raum, aber auch in privaten Räumen, gross angelegte Installationen sowie Filme und Videos umfasst. Bei ihren Arbeiten handelt es sich meist um eigene räumliche Aktivierungen, die sie im filmischen Werk festhält. So scheint denn auch der Begriff «Aktivierung» neben «sozialer Aktivismus» für ihr Werk treffend. Bevor sie sich der Kunst zuwandte, hatte Klara Lidén Architektur studiert, was ihr tiefes Interesse und ihre Faszination für städteplanerische Setzungen und die Gestaltung von Innen- und Aussenräumen erklärt. Mit dem eigenen Körper erforscht sie die physischen und mentalen Grenzen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum.

In ihren beiden Arbeiten im Kunsthaus verwendet Lidén Objekte, die erst bei längerem Hinsehen ihre frühere Nutzung und Zugehörigkeit offenbaren. Es handelt sich um die uns bestens bekannten, scheinbar nutzlos gewordenen Werbeleuchtkästen im öffentlichen Raum. Durch das Abkratzen von Farbe und Logos hat Lidén diese Leuchtkästen ihrer Funktion beraubt. Was einst als Werbung für Apotheken, die Berliner Zeitung oder Banken diente, präsentiert sich nun als weiss leuchtende Fläche – ein Versprechen von etwas, das mal war, zwar nicht mehr ist, aber vielleicht wieder sein kann. Die Werke zeugt aber auch von den weltweiten, gegenwärtigen urbanen Entwicklungen, die kaum merklich an uns vorüberziehen – von Orten, die sich öffnen, schliessen, zeitweise wichtig sind und plötzlich an Relevanz verlieren, und der Rolle, die wir als Stadtmenschen darin einnehmen.

KHBL_INBETWEEN_JUDITH_ALBERT_2024
Judith Albert, Mare mosso, 2015, Video, Farbe, Ton, 3’44”, Ursula Palla, Distelblatt, 2022, Aluminium, 68 x 140 x 75 cm, Courtesy the artist, Apostrophe (02,03 und 05), 2024, C-Print, Holz, 26 x 31 cm Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, Courtesy the artist. Foto: Gina Folly.

Seit bald 30 Jahren arbeitet die Videokünstlerin Judith Albert an einem beeindruckenden Œuvre bewegter Bilder, die sich auf besondere Art und Weise in das Gedächtnis der Betrachtenden einschreiben: In langsamen Abfolgen braucht es stets einen Moment, um sich im Gesehenen zurechtzufinden. Traum- oder märchenhafte und fantastische Szenen, oftmals mit Zitaten aus der Kunstgeschichte angereichert, überlagern sich mit zarten Bewegungen von Menschen in Fern- oder Nahsicht. Bisweilen können die Bewegungen nur erahnt werden, sodass Alberts Videoarbeiten treffend als Tableaux vivants beschrieben worden sind.

Schattenspiele und Dämmerlicht verleihen Judith Alberts Werken, wie etwa in Côte de Granit Rose, durch Überblendungen eine poetische Tiefe und Spannung. Verwandeln sich rosa Felsen hier in Körper? Birgt das Halbdunkel eine Gefahr, und wird der Mensch, der den weiten Kreis läuft, von diesem verschlungen? Wird die nackte Haut der Beine inmitten der immer dunkler werdenden Waldszenerie zum verletzlichen und verletzbaren Element? Mit Arbeiten wie mare mosso wählt die Künstlerin zudem eine mehrfach projizierte und gefilmte Doppelung: Während die erste Aufnahme auf ein Papier projiziert, manipuliert und erneut abgefilmt ist, bildet die zweite Aufnahme in der Überblendung der Schichten die eigentliche Arbeit.

Das «Dazwischen», wie es die Ausstellung im Kunsthaus nennt, dient Judith Albert als künstlerische Triebfeder für ihre Film- und Videoarbeiten. So scheint es einer Logik zu entsprechen, dass die in Zürich tätige Künstlerin nicht nur mit der Videokamera und dem Schnittplatz, sondern auch dem Zeichenstift und der digitalen Zeichnung arbeitet und das Subtile immer wieder mit präzisem Strich einfängt. Dass sie, wie sie in einem Gespräch äussert, weniger an einem Entweder–Oder, sondern vielmehr an einem Sowohl-als-Auch interessiert ist, das zugleich poetisch und politisch, laut und leise, sanft und gefahreinflössend sein kann, scheint im Hinblick auf ihr Werk mehr als konsequent.

Projektpartner