Gina Folly
15.2.2019
—
29.2.2020
Fashion, Sex and Death – Science – Sports, Gardens and Conspicuous Consumption
Jahresaussenprojekt
Gina Folly beschäftigt sich in ihrem Werk seit vielen Jahren eingehend mit dem Medium Fotografie, das sie um neue Formen und Präsentationsmöglichkeiten erweitert und ergänzt. Sowohl politische, ökonomische, kulturelle, sozialeEreignisse und Phänomene gleichermassen wie ökologische Fragen, mit denen sie ihr unmittelbares Umfeld präzise reflektiert und analysiert, können eine wesentliche Rolle innerhalb ihrer installativen Arbeiten spielen. Der Mensch in seiner von ihm geschaffenen Umgebung — zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, in der steten Kreation des jeweiligen Lebenskonzepts — sind weitere Themen, die Folly interessieren. Für das Jahresaussenprojekt 2019 Fashion, Sex and Death — Science — Sports, Gardens and Conspicuous Consumption traf Ines Goldbach die Künstlerin zum Gespräch
Ines Goldbach: Ich würde gerne mit dir über deinen speziellen Umgang mit Fotografie sprechen, die einerseits das zentrale Medium deiner künstlerischen Praxis ist, andererseits von dir immer auch installativ und räumlich gedacht wird. Indem du alltäglichen Dingen und Situationen nachspürst, sie auch gerade durch das fotografische Auge erkennst und festhältst, hinterfragst du deine Umgebung sinnfällig, humorvoll und zugleich mit einer ironisch-feinen Kritik, und generierst daraus unter anderem auch Rauminstallationen. Die Gestaltung des Aussenbanners scheint mir daher aus vielen Gründen sehr passend innerhalb deines Werks. Alltag, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Realität und Übersteigerung treffen sich hier, und zugleich öffnest du damit einen weiteren architektonischen Raum. Lass uns damit beginnen, wie du auf das Motiv gekommen bist, das du nun zeigst.
Gina Folly: Im Frühling 2018 hatte ich die Chance einer dreimonatigen Residency am Swiss Institute New York. Glücklicherweise konnte in dieser Zeit bei einem sehr guten alten Freund von mir wohnen. Das Motiv des Aussenbanners für das Kunsthaus ist ein Bild von seinem Büchergestell. Es ist aber nicht einfach das Bild einer persönlichen Bibliothek, sondern hat zugleich etwas Allgemeingültiges. Das Bild ist für mich ein Platzhalter für Freundschaft, Liebe, Vergangenheit, Zukunft und Imagination, vielleicht in einem Wort zusammengefasst: für das Leben. Dabei hat das Motiv verschiedene wichtige Ebenen, die immer wieder in meiner Praxis auftauchen. Zum einen hat es für mich in diesem Büchergestell auch sehr persönliche, private und intime Exemplare an Publikationen, zum Beispiel Bücher, die Freunde von mir gemacht haben; zum anderen Texte, die für die Entstehung einiger meiner Arbeiten kontextgebend und sinnstiftend waren, und gleichzeitig ist es auch die Sammlung von Büchern und die Kategorisierung des Büchergestells eines Freundes. Das macht das Motiv für mich zu einer Enzyklopädie meines persönlichen Lebens und gleichzeitig zu einem Motiv, das in einem universellen abstrakten Sinn Gültigkeit erhält.
IG: Für mich erzählt das Motiv sehr viel von einer Welthaltigkeit – eine alte Vorstellung der grossen Enzyklopädie, ein Weltwissen und zugleich der Wunsch, die Welt in ihre einzelnen Bereiche unterteilen und damit ordnen zu können. Kannst du diesen Wunsch in deiner künstlerischen Untersuchung des Alltags teilen?
GF: Alltag ist für mich ein sehr wichtiger Teil meiner Praxis, vielleicht sogar der Wichtigste.
IG: Der Alltag wird auch ein wesentliches Moment deiner Arbeit nun für das Kunsthaus Baselland ausmachen. Das Werk wird für die nächsten 12 Monaten in einem öffentlichen Raum präsent sein, 24 Stunden pro Tag, und wird damit einen gewaltigen Aussenraum aktivieren, ändern, irritieren und sich darin einschreiben. Ich erinnere mich dabei aber auch an deine Werke, für welche du in den kleinsten Räumen, die dir zur Verfügung standen — nämlich Kartonschachteln – Videos gezeigt hast. Das mag im ersten Moment genau das Gegenteil sein, rein im Hinblick auf die schiere Grösse. Jedoch ist es vielleicht genau das Gleiche: mit dem zur Verfügung stehende Raum zu arbeiten, in seiner Alltäglichkeit, und ihn durch Bilder — bewegt oder unbewegt — zu aktivieren. Wie siehst du das?
GF: Es fasziniert mich, an verschiedenen Grössenverhältnissen und Proportionen auszuprobieren und herauszufinden, wie ein neutraler Betrachter respektive eine Betrachterin darauf reagiert. Zum Beispiel mag ich mit am meisten an dem Banner für die Fassade des Kunsthaus Baselland, dass die Bücher fast lebensgross werden und somit automatisch in einen Dialog beziehungsweise eine Beziehung mit dem Gegenüber treten und vielleicht auch dadurch etwas abstrahiert werden.
IG: Spannend an deiner künstlerischen Herangehensweise finde ich zudem, dass du – einer künstlerischen Forschung ähnlich – dir unterschiedlichste Fragestellungen oder auch Themen vornimmst wie Natur, Tiere, der Versuch, Natürlichkeit an Orte zu bringen, die durch eine grosse Künstlichkeit geprägt sind, etwa wie ein Zoogehege. Oder aber, was du 2014 im Rahmen des Satellitenprojekts des Kunsthauses auf dem Dreispitz realisiert hast, in dem du spezielle Lampenobjekte als Glasskulpturen mit Tageslichtlampen für einen grossen Raum geschaffen hast, welcher der Umgebung für einen begrenzten Zeitraum einen Ort der Ruhe und Erholung angeboten hat. Ich erinnere mich auch an deine Arbeit Untitled (Haemanthus albiflos, Suite), die du 2013 konzipiert hast. Dabei hast du auf eine spezielle Pflanze, ein Elefantenohr, zurückgegriffen, deren Name und Aussehen unter anderem an ein Hörorgan erinnern. Von der Decke hängend installiert, wurde die Pflanze von einem kleinen Lautsprecher flankiert. Die feinen Musik-Sound-Sequenzen wurden von dem befreundeten Komponisten und Programmierer Stephen Lumenta zusammengestellt, um – wie du es nanntest – das Wachstum der Pflanze zu beeinflussen. Wenn ich diese Arbeiten vor Augen habe, dann hat das für mich viel damit zu tun, dass du deinem Gegenüber ein Angebot machst, im Alltag innezuhalten, kritisch zu sein und sich zu verhalten. Geht das in diese Richtung?
GF: Nicht ganz. Es interessiert mich vielmehr, meine eigenen Fragen und Unklarheiten, die ich habe, beantwortet zu bekommen, von meiner Umgebung, in der ich mich gerade befinde. Dabei interessieren mich politische, ökonomische, kulturelle, soziale Ereignisse und Phänomene sowie unsere jeweiligen Verhaltensweisen dazu. Oft arbeite ich mit minimalen Kontextverschiebung von Symbolen, die die Verheissungen des Strebens nach mehr Natürlichkeit und Produktivität in einer zunehmend technisierten Umwelt thematisieren.
IG: Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, den des prozesshaften Arbeitens, denn eine Vielzahl deiner Arbeiten entwickeln sich und gehen auseinander hervor. Würdest du das bei dem Motiv des Aussenbanners auch so sehen – als einen Schritt innerhalb einer Schrittfolge?
GF: Ja, absolut. Meine Arbeiten generieren sich fast immer aus einer Fotografie. Ich führe eine Art Tagebuch, meist mit meinem Telefon aufgenommen. Ich dokumentiere meinen Alltag als Beobachter. Es sind architektonische Strukturen, Objekte und soziale Ereignisse, die unseren Alltag vereinfachen, stören, komplizierter machen oder die ich nicht verstehe. Gerade deshalb kann es interessant werden, sie zu dokumentieren. Diese Momente verschwinden meistens wieder in meinem Archiv. Wenn ich an einem konkreten Projekt arbeite, hole ich sie wieder hervor. Daraus entstehen meistens approbierte Objekte, die ich reproduziere und spezifiziere. In diesen Prozessen geht es mir darum, in Beziehungen zu treten. Sei es die Person kennenzulernen, welche das für mich attraktive Objekt hergestellt hat oder den Grund der Existenz dazu kennt, und den richtigen Produzenten zu finden, um die jeweiligen Arbeiten exakt nachzubauen. Diese Auseinandersetzung ist wichtig, da es fast immer das Bestehen einer Arbeitmanifestiert und legitimiert.
Gina Folly. 1983 in Zürich geboren, lebt und arbeitet aktuell in Basel und Paris. Sie absolvierte 2001 bis 2005 eine Berufslehre als Fotografin in Zürich. 2011 schloss sie ihr Bachelorstudium im Departement Kunst & Medien an der Zürcher Hochschule der Künste ab. 2014 schloss sie ihren Master of Art in Fine Arts an der ZHdK in Zürich ab. Mit Selina Grüter und Michèle Graf führt sie seit 2014 den Ausstellungsraum Taylor Macklin. Zahlreiche Residencyund Stipendien und Auszeichnungen. Momentan Aufenthalt mit dem Atelierstipendium Cité internationale des Artsin Paris.
Bisherige KünstlerInnen des Jahresaussenprojekts: Bianca Pedrina (2014), Kilian Rüthemann (2015), Matthias Huber (2016), Daniel Göttin (2017), Vittorio Brodmann (2018).