Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger
26.3.2021
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3.4.2022
Eine Augenübung zur Freude des Hauses
Jahresaussenprojekt 2021
Zum achten Mal vergibt das Kunsthaus Baselland für ein Werk das grosse Aussenbanner für die Dauer eines Jahres. 2021 wird es durch das Künstlerpaar Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, die in Langenbruck (BL) leben und dort tätig sind, bespielt.
Bereits der Titel der Arbeit spricht Bände: Eine Augenübung zur Freude des Hauses. Gerda Steiner & Jörg Lenzlingers Kunst macht des Öfteren Freude, ohne dass die beiden dabei den Blick auf gesellschaftsrelevante Themen verlieren; oder sollte man sagen, dass sie gerade auf diese Art und Weise die wichtigen Dinge ansprechen? Unser Sein im Hier und Jetzt, unser Verhältnis zur Natur beziehungsweise unseren Respekt gegenüber der Natur, die es immer wieder mit ihrer Schönheit und ihrer Besonderheit vermag, uns zu überraschen. Es geht ihnen aber auch um die Frage, wie respektlos und unverantwortlich wir mit der Natur bisweilen umgehen, anstatt uns als ein Teil von ihr zu verstehen. Wie wenig scheinen wir manchmal an die Kraft in uns als Teil eines Ganzen zu glauben!
Für die Jahreskarte des Kunsthaus Baselland 2021 haben die beiden eine Abbildung eines verletzten Fingers gewählt. Man mag auf die Verletzung fokussieren. Man könnte aber auch, so wie Steiner & Lenzlinger, den Blick auf etwas ganz anderes richten: auf das Verheilen der Verletzung und unsere Kraft der Erneuerung; Gönn dir eine frische Haut heisst denn auch der Titel der Abbildung – nicht von ungefähr wählte das Künstlerpaar dieses Motiv mitten in Zeiten der Pandemie.
2018 luden sie anlässlich ihrer grossen Einzelausstellung „Too early to panic“ zu einer Zeitreise im Museum Tinguely ein und 2013, im Kunstmuseum Chur, entstand im ehemaligen Bündner Naturhistorischen- und Nationalparkmuseum vor dessen Abriss ein gewaltiger, fantasiereicher Nationalpark, der das gesamte Gebäude verwildern liess. Gerade legen sie im benachbarten FRAC Alsace in Sélestat einen grossen Garten an, der zehn Jahre lang wachsen und gedeihen wird. In seiner Mitte vergruben sie einen Schatz, bestehend aus über 250 Schätzen aus der Bevölkerung von Sélestat und eingeladenen Freund*innen. Nach zehn Jahren wird er wieder ausgegraben und die gereiften Schätze ausgestellt.
In ihrer Wohn- und Arbeitsstätte in Langenbruck springen rund zwei Dutzend Hühner diverser Gattungen durch die Anlage, glücklich, so darf man behaupten. In den Gewächshäusern darf Grosses und Kleines, Bekanntes und Neues wachsen und gedeihen. «Du kannst gar nicht an die Natur heranrücken, du bist sie», betonten Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger vor einiger Zeit in einem Interview. «Die Natur steckt voll in dir drin, in jeder Pore, in jeder Zelle, in jeder Bakterie, in jedem Virus, es gibt kein Entkommen!»
Nun bespielt das Künstlerduo den Aussenbanner des Kunsthaus Baselland und lädt damit die Besucher*innen erst einmal zu einer Sehübung ein, wie sie es nennen. Auf dem Banner liest sich diese als Anleitung dazu: Eine Augenübung zur Freude des Hauses: Nimm 5 m Abstand zum Bild und folge mit deinen Augen langsam der schwarzen Linie ohne den Kopf zu bewegen. Einmal in Schwung geraten, bewegen sich die Augen also hin und her auf den Linien des grossen Banners, lassen zahlreiche Gedanken und Bilder zu, Bekanntes, Unbekanntes, verlieren sich, finden sich wieder, kommen an. Fast wie ein Blick durch ein Kaleidoskop, das sich, je nachdem wie man es dreht, immer wieder neu und fantastisch ändern kann. Mit etwas mehr Abstand eröffnet sich dann auch ein weiteres Bild hinter der Linienzeichnung, als deren Humus sozusagen. Ein grosses Wiesenstück, in deren Mitte sich die Struktur eines Samenstandes der Sonnenblume abzeichnet – und auch gleich das ganze Universum? Sind die Sonnenblumenkerne nicht – statt in konzentrischen Kreisen – spiralförmig ausgerichtet, wie man sie auch mit der Fibonacci-Folge beschreiben könnte? Von einem Punkt ausgehend, ins Immense wachsend, gar ins Universum? Können sich Gedanken nicht manchmal genauso verhalten: ein Beginn, aus dem sehr viele weitere Gedanken und bisweilen auch Handlungen folgen können, die wiederum Weiteres in Gang setzen?
Und wir als Betrachter*innen dieses grossen Bildes, das in den nächsten Monaten nicht nur ein Teil des Kunsthauses ist, sondern es gleichsam repräsentiert, stehen nun also davor und mittendrin zugleich. Ein Bild als Anleitung zum Sehen, zum Denken, zum Handeln. Da ist sie also wieder diese freudige Einladung des Künstlerduos an uns, den Blick zu weiten, vom Einzelnen auf das Ganze zu kommen, vom Ei auf das Huhn, von uns zum Universum. Am besten also man führt die Augenübung jedes Mal aus, wenn man sich vor dem Kunsthaus Baselland einfindet – ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, ob Tag oder Nacht, ob Krise oder Alltag. Dem Werk wird nichts etwas anhaben können. 24 Stunden geöffnet, immer. Es ist gleichsam krisensicher. Und es birgt immer eine Einladung, immer eine Freude, es geht immer aufs Ganze. (Ines Goldbach)
Gerda Steiner (*1967, Ettiswil) und Jörg Lenzlinger (*1964, Uster) arbeiten seit 1997 als Künstlerduo zusammen und leben und arbeiten in Langenbruck (BL).
Sie waren an zahlreichen internationalen Gruppen- und Einzelausstellungen vertreten. Unter anderem nahmen sie 2003 an der Biennale in Venedig teil. Im Kunsthaus Baselland wurden ihre Arbeiten bereits verschiedentlich in Gruppenausstellungen vorgestellt, etwa im Rahmen der Ausstellung Sehnsuchtsorte (2018) oder in der von Eric Hattan kuratierten Regionale 11.
Nach Bianca Pedrina (2014), Kilian Rüthemann (2015), Matthias Huber (2016), Daniel Göttin (2017), Vittorio Brodmann (2018), Gina Folly (2019) und Lena Eriksson (2020) ist das Jahresaussenprojekt von Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger das achte Projekt für das Kunsthaus Baselland.
Lesen Sie Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger im Gespräch mit Ines Goldbach zur Ausstellung Sehnsuchtsorte von 25. Januar bis 2. April 2018