Dellbrügge & de Moll
17.1.
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29.2.2004
Trotzmodell
Wo sind wir? Das ist nicht die Basler Kunsthalle und ganz bestimmt nicht das Museum für Gegenwartskunst. Wir reiben uns die Augen. Kein Zweifel: Wir befinden uns in einer etwas verbauten Industriearchitektur.
Offensichtlich umgenutzt für Kunst. Eine Institution mit knappen Mitteln mitten in der Pampa. Oder, genauer gesagt: an der Peripherie. Willkommen im Kunsthaus Baselland. Als Standortbestimmung halten wir fest: Wir arbeiten an der Peripehrie. Geographisch gesehen ebenso wie gesellschaftspolitisch. Wir wollen mittenrein ins Geschehen, ins Zentrum der Aufmerksamkeit und Attraktionen. Aber wie? (Trampeln, mit den Fäusten trommeln, dem Kopf hämmern und schreien bis zum Atemstillstand.) Vielleicht tröstet die Peripherie-Mütze den Trotzkopf, den gekränkten Narzissmus. Trotz entsteht aus der Kompetenz, sich sein Handlungsziel vorzustellen und sich selbst als dessen Ursprung zu sehen. Man identifiziert sich und ist stark engagiert. Wird man in der Durchführung der Handlung behindert und steht kein alternativer Plan zur Verfügung, kommt es zu einem Systemzusammenbruch. Trotz, Negativismus oder massive Bockigkeit gilt gemeinhin als Zeichen für Unreife. Mit zunehmender Sprach- und Handlungskompetenz, d.h. einerseits mit erweiterten Zugriffsmöglichkeiten auf die Umwelt, andererseits mit Anpassung an Gegeben-heiten, mildert sich dieses Verhalten. Der Künstlerberuf oszilliert zwischen Anpassung und Renitenz. Dabei passt sich der Aufmüpfige ungewollt stets auch der Erwartung an, dass der Künstler widerständig zu sein habe. Den Künstlerberuf auszuüben bedeutet, eine Rolle zu spielen. Der Begriff «Trotzmodell» steht für die Distanz, das Stellvertretertum und das Exemplarische der Künstlerrolle als Modell. Kein Wunder, dass es Tränen gibt, wenn klar wird, dass alles nicht so gemeint war, und dass die Kunst eigentlich nur heilen und ästhetisch überhöhen soll, statt etwas real zu verändern. «Trotzmodell» erklärt das bockige Beharren auf eigenen Handlungszielen zur Qualität. Mit den T-Shirts «Trotzmodell TM» kann jeder Besucher sich selbst als Trotzmodell labeln. Und den Trotz hineintragen, von der Peripherie mitten ins Zentrum. Um den vielschichtigen Code der Künstlerrolle transparent zu machen, haben Dellbrügge & de Moll als Kommunikationsinstrument einen Dresscode entworfen: Farbcodierte Kleidung für Künstler, an der die ökonomische und ideologische Verortung ihrer Träger direkt ablesbar ist. Zwei Prototypen wurden für die Ausstellung im Kunsthaus Baselland produziert.
In der Ausstellung zitieren Dellbrügge & de Moll ihr Aquarell Elfenbeinturm von 1991: «Als Leitfiguren haben wir ausgespielt.» — «Genau. Wir ziehen uns zurück und widmen uns der Landschaftsmalerei.» Eine Trotzreaktion auf die der Kunst bescheinigten gesellschaftlichen Irrelevanz. An der Peripherie lernt man rasch, dass eine Institution nicht nur aus ihrer Architektur, der Verwaltung und der losen Kette ihrer Wechselausstellungen besteht, sondern in hohem Masse auch aus ihrem Publikum. Macht es sich den Ort zu eigen, spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wo er ist und was dort stattfindet. Das Wesentliche ist, das die Zuschauer zu Beteiligten werden. Mit der Fotoreihe Kunst-Werke ‘93 holen Dellbrügge & de Moll den gleichnamigen Berliner Ausstellungsort, der die Transformation einer heterogen bespielten Plattform zu einer etablierten und hermetischen Institution durchlaufen hat, nach Muttenz.Wenn man nicht im Zentrum sitzt, muss man den Leuten einen Grund geben, sich an die Peripherie zu bewegen. Nehmen wir die Rituale kultureller Verköstigung. Ganz unter uns: Wir lieben die Tischleindeckdichs glamouröser Eröffnungen; wir wünschen uns volle Büffets, die alle Traumata des Zuspätkommens, Zukurzkommens oder Nichtreinkommens heilen. Aber es hilft nichts. Nicht nur der Künstler als Leitfigur hat ausgespielt, auch der Künstler als Dienstleister ist abserviert. Überfluss entsteht erst, wenn jeder etwas mitbringt und grosszügig zum «Buffet canadien» beiträgt. «Potluck» nennen das die Amerikaner, nicht zu verwechseln mit «Potlatch», dem Ritual der Maori, das Marcel Mauss als einen exzessiv betriebenen Austausch von Gaben beschrieb. Dabei geht es nicht um eine wirtschaftliche Zirkulation von Werten, sondern um die Stiftung sozialer Verbindungen, die wir für dieses inszenierte Büffet in Anspruch nehmen wollen. Drum: «Bringt was mit fürs Büffet!»
Text von Dellbrügge & de Moll