Bianca Pedrina

20.1.  —
19.3.2017

Bianca Pedrina hat im Kunsthaus Baselland ihre grosse institutionelle Einzelausstellung ausgerichtet und präsentierte im gesamten Untergeschoss neue Werkserien.

Gleich im ersten Raum der Ausstellung formulierte die in Wien und Basel lebende und arbeitende Künstlerin Bianca Pedrina ihr anhaltendes Interesse an der Fotografie als Mittel, um die visuelle Wahrnehmung zu hinterfragen. Eine zentrale Rolle spielt dabei für sie die Gattung der Architektur und deren Geschichte, welcher sie formal und inhaltlich auf unterschiedlichste Weise nachspürt. Die Fotografien von Marmorschnitten, die Pedrina auf weichen PVC-Fussbodenbelägen drucken liess, schmiegten sich mal an die Architektur des Kunsthauses und seine Elemente wie Pfeiler, vorgelagerte Wände oder standen — gestützt durch Armierungseisengitter — an der Wand. Die gegensätzlich wirkende Materialität des Gesehenen und die Erfahrung, die sich damit verband — die Härte von Marmor, als Foto auf einer weichen, formbaren Trägermatte —, irritierte. Zugleich unterstützte diese Irritation Pedrinas Untersuchung der Beziehung vom Betrachter zu seiner unmittelbaren Umgebung und dem Wahrheitsanspruch an die Fotografie im Allgemeinen. Die (dekorativen) Marmormotive, so die Künstlerin, stammen von der Fassadenverkleidung des Wienerischen Looshaus, der kontroverseste Bau des — Ornament verweigernden modernen Architekten Adolf Loos.

Die grosse Videoinstallation Orbita, die Pedrina als neues Projekt eigens für die Ausstellung entwickelt hatte, nimmt in der gesamten Auslegeordnung einen wesentlichen Stellenwert ein. Dieses Werk vereinte die wichtigsten Anliegen der Künstlerin und ging der zentralen Frage nach, wie wir unser Umfeld wahrnehmen und wie Wahrnehmung funktioniert. Sinnfällig verband Pedrina Details aus der Architektur des Kunsthauses mit jenen, die das menschliche Auge im Rahmen einer Untersuchung zeigen. Nach und nach konnte den Schichten des Auges näher gekommen werden. Das Instrument des Sehens — das Auge — wurde dabei näher analysiert. Eingebettet in Projektionen, die einen anderen Blick auf die Kunsthaus-Architektur zeigten — Nahaufnahmen von Ecken, Übergängen, Rissen, Spiegelungen, Licht- und Schattenwürfen, von Gewolltem und Zufälligem —, liessen das Gegenüber sensibel werden für Ort, Architektur und Zeit. Vergleichbar mit den gezeigten Geräten aus der Optometrie, das sich nach und nach während der Untersuchung den Schichten der Augen und dem Dahinterliegenden annähert und die Sehfunktion bewertet wie auch misst, ermöglicht Pedrina ein verfeinertes (räumliches) Sehen auf das (architektonische) unmittelbare Umfeld — fern von jeglicher Idealisierung, aber offen für Neuentdeckungen.

So zollten denn auch die Fotocollagen Art in public space, die Bianca Pedrina in einer Art Studiosituation präsentiert, dem Gedanken Rechnung, sich für einmal über physische und finanzielle Grenzen gedanklich hinwegzusetzen und Architektur und Kunst im öffentlichen Raum als freie, überdimensionale Geste zu denken. Es zeigte aber vor allem auch die Möglichkeiten von Fotografie: statt vermeintlicher Wiedergabe von Wirklichkeit ein kritischer Kommentar sein zu können, der den Blick für das unmittelbar Umgebende schärfen kann.
Text von Ines Goldbach


Auszug aus der Publikation Bianca Pedrina

Man kennt das: Wir bewegen uns durch Strassen, Städte und Orte, und plötzlich blicken wir auf — scheinbar ohne besonderes Zutun — fantastisch Merkwürdiges. Eine bestehende Architektur erhält von einem Nutzer einen sonderbaren Anbau; gebaute oder aufgestellte Gegenstände gehen im öffentlichen Raum eine seltsame Liaison ein, scheinen einen Ort zu möblieren. Hätte man jetzt eine Kamera bei sich und könnte nur diesen gesehenen Moment festhalten, sagt dies doch so vieles darüber aus, wie wir uns an Orten einzurichten versuchen und wie unsere soziale Welt funktioniert.

Bianca Pedrina hat diese Kamera bei sich und drückt im richtigen Moment ab. Eben dann, wenn sich etwas zeigt, das mehr ist als nur ein Kommentar zu bestehender Architektur, zu Licht und Schattenwürfen innerhalb eines städtischen Gefüges. Ihre Sammlung an Fotografien, die oftmals auf Recherchereisen durch unterschiedliche Städte und Länder entstehen oder auch auf Streifzügen durch die Städte, in denen sie sich gegenwärtig am meisten aufhält — Basel und Wien —, legt den Blick einer Künstlerin offen, die sich aufmerksam und zugleich mit einer grossen Offenheit durch ihre Umgebung bewegt.

Pedrina nähert sich seit nunmehr vielen Jahren konsequent mit der Kamera ihrem gebauten Umfeld an. Es ist aber nicht eine klassisch anmutende Architekturfotografie, der sie nachgeht. Nur in seltenen Fällen widmet sie sich repräsentativen Bauten. Und wenn, dann meist im Detail. Die Künstlerin zeigt in ihren Aufnahmen eine gelebte Architektur. Eine, an die Hand angelegt wurde von jenen, die sich darin aufhalten, eine, die eine Zeitlichkeit erfahren hat und selbst aus unterschiedlichen Zeiten stammt. Gerade in der Annäherung an scheinbar unwichtige, marginale Details dieser gebauten Träume und Vorstellungen geht Pedrina dem Urbanen auf den Grund. Nicht von Ungefähr versah sie eine Serie mit dem Titel Intime Architekturfotografie, bei der sie sich an die zarte, zugleich aber auch brüchig gewordene Lineatur und Plastizität einer Stuckleiste in einem Wohnhaus annäherte. Fast muten diesen Aufnahmen an, als habe Pedrina nicht nur ihr Auge durch die Kamera zärtlich auf die Architektur gelegt, sondern auch ihr Ohr. Als habe sie all die Geschichten angefangen zu hören, die das gebaute Gegenüber ihr erzählt hat.

Bianca Pedrinas Fotografie hat daher viel mit Respekt zu tun. Einem Respekt gegenüber dem, was Architektur ist, einmal war, wofür sie stand und was ihr im Laufe der Jahre und Jahrzehnte widerfahren ist. Es hat aber auch sehr viel mit dem Respekt zu tun, den die Künstlerin ihrem Gegenüber — uns — entgegenbringt. Sie erzählt mit ihrer Fotografie keine Geschichten, glorifiziert oder kritisiert nicht. Eher lenkt sie den Blick auf das, was am Rande liegt, fast versteckt, und doch sichtbar für den, der sich mit einem feinen Blick durch die Gegenwart bewegt. Bianca Pedrinas Fotografien können unterschiedliche Formen annehmen. Mal stehen sie objekthaft im Raum, mit einer Trägerstruktur als Rückgrat oder Wände und Pfeiler umschmeichelnd, sind gewandelt als filmische Sequenz oder in einer Art Fotolabor intim präsentiert und auf ein bekanntes Mass gebracht. In ihrer — formalen wie auch inhaltlichen — Vielschichtigkeit zeigen sie denn auch eines auf: die Möglichkeiten, die die Fotografie heute bieten kann — statt abzubilden eine Fährte aufzuzeigen, wie Wirklichkeit gesehen und verstanden werden kann, wie wir uns mit der umgebenden Welt auseinandersetzen können, die sich unter anderem in der Architektur, in Sprache und Codes, in Objekten und Bildern ausdrückt. Die Fotografien von Pedrina zeigen aber auch, wie wir unseren Blick auf unsere soziale Welt schärfen und verfeinern können — nicht zuletzt, um an der Gestaltung des Morgen mitwirken zu können.
Text von Ines Goldbach

Ausstellung und Katalog wurden grosszügig unterstützt durch den Fachausschuss Audiovision/Multimedia Basel-Stadt und kulturelles.bl, Werkraum Warteck, Optometrie Zentrum sowie die Partner des Kunsthauses Baselland.

Parallel zur Einzelausstellung von Bianca Pedrina wurde jene von Doris Lasch im Kunsthaus Baselland gezeigt.

Kurator*in: Ines Goldbach