Anita Kuratle
17.1.
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29.2.2004
Sichten
Die Künstlerin Anita Kuratle, u.a. Dozentin an der Hochschule für Gestaltung in Basel, präsentiert im Kunsthaus Baselland ihre erste Einzelausstellung. Gezeigt werden stilisierte Darstellungen von alltäglichen Objekten, die Kuratle aus Holz, Gips und Metall produziert.
Die neuen, speziell für die Ausstellung konzipierten Werke versetzen den Betrachter in eine Alice in Wonderland-Situation: Perspektiven verkehren sich, die Wahrnehmung von oben und unten wird irritiert, verschiedene aus dem Alltag bekannte Objekte, die in ihrer Zusammenstellung eine ungewöhnliche Ortssituation kreieren, lassen den Rezipienten unweigerlich mit der Frage «Wo befinde ich mich eigentlich?» kollidieren. Ein Baukran, der den Ausstellungsraum vom Fussboden bis zur Decke füllt und den Eindruck erweckt, als würde man ganz klein davorstehen und zu ihm hochsehen, zieht den Boden unter den Füssen der Betrachter förmlich nach unten. Zwei mit einer Kette verbundene Metallpfosten in unmittelbarer Nähe zum Kran hingegen bringen den Boden wieder auf die gewohnte Sichtebene zurück. Zwei Fahrräder, die je nach Standpunkt des Betrachters wie Zeichnungen, dann wieder wie dreidimensionale Objekte aussehen, bringen die Horizont-Wahrnehmung ins Wanken: Eines der Fahrräder scheint näher zum Rezipienten zu stehen als das andere und das, obwohl sie sich beim genaueren Hinsehen leicht überlappen. Die perspektivische Irritation setzt sich in einer Häusergruppe fort. Verschiedene Fassaden, aufgenommen aus der Untersicht, ragen aus dem Boden des Ausstellungsraumes und verzerren neuerlich die Raumwahrnehmung.
Die einzelnen urbanen Elemente — die Häusergruppe, der Baukran, die Pfosten, ein Hochkamin und die Fahrräder — stehen zueinander in einem Gefüge, bei dem sich die gewohnten Winkel, Geraden, Horizonte ebenso wie die Empfindungen von links, rechts, oben und unten auflösen. Indem die Künstlerin die Massstäblichkeit des Gewohnten verschiebt und die Perspektiven verfremdet, schafft sie Irritationen, die uns das Sehen neu lehren. Im Zeitalter der Bilderflut, wo das Abgebildete ebenso schnell entsteht wie es wieder verschwindet, wirken die alltäglichen, von Kuratle verwendeten Bildmotive wie eine Art «ralentisseurs» (Verlangsamungsobjekte). Ihr a priori bekanntes Aussehen schafft schnell eine Verständnisbrücke, die aufgrund der perspektivischen Verzerrung der Objekte erneut überquert werden muss. Kuratle fordert mit ihren Werken ein genaues, hinterfragendes Betrachten. Ihr Interesse gilt einer Wahrnehmung, die über «das rein visuelle Erlebnis hinausgeht und zu einer neuartigen körperhaft-emotionalen Reaktion führen kann» (Kuratle).
Text von Sabine Schaschl